6935218-1983_07_07.jpg
Digital In Arbeit

DDR: Das Regime schlägt zurück

19451960198020002020

Vor einem Jahr setzte die autonome Friedensbewegung der DDR ihr erstes Zeichen: ein in der Dresdner Kreuzeskirche veran-staltetes Friedensforum. Nun hat das SED-Regime zum Gegenangriff geblasen: Hauptschauplatz der Auseinandersetzung ist zur Zeit die Stadt Jena.

19451960198020002020

Vor einem Jahr setzte die autonome Friedensbewegung der DDR ihr erstes Zeichen: ein in der Dresdner Kreuzeskirche veran-staltetes Friedensforum. Nun hat das SED-Regime zum Gegenangriff geblasen: Hauptschauplatz der Auseinandersetzung ist zur Zeit die Stadt Jena.

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Freund hat mir gestern am Telefon erzählt, wenn Dü jetzt hier in Jena wärest, würdest Du die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Die Leute sind eingeschüchtert, es herrscht eine ganz depressive Stimmung …’ . Heike Holzinger, Jahrgang 1959, lebte bis September letzten Jahres in der DDR. Nach zwei Jahren Wartezeit wurde ihrem Ausreiseantrag stattgegeben und sie übersiedelte nach Wien.

Ihre Heimat Jena, eine Stadt mit überdurchschnittlich vielen Wehrdienstverweigerern und NichtWählern, ist mittlerweile zum Symbol für das kompromißlose Vorgehen der DDR-Behörden gegen Mitglieder von Friedensinitiativen geworden.

Begonnen hat in der thüringischen Universitätsstadt alles vor

zwei Jahren: Der 23jährige Matthias Domaschk, Mitglied der Jungen Gemeinde, starb in der Untersuchungshaft des Staatssicherheitsdienstes. Offizielle Version: Selbstmord durch Erhängen; was seine Freunde bezweifeln. Als einer von ihnen, der junge Bildhauer Michael Blumenhagen, am ersten Todestag eine Gedenkplastik am Grab Domaschks aufstellt, ließ der Staatssicherheitsdienst sie abtransportieren, der Pazifist Blumenhagen wurde zur Nationalen Volksarmee (NVA) einberufen. Er weigerte sich, Verhaftung und sechs Monate Gefängnis waren die Folge. Sein Haus wurde abgerissen, er selbst mittlerweile in die Bundesrepublik abgeschoben.

Am 1. September 1982 wurde auch Blumenhagens Besitzverwalter, Roland Jahn, verhaftet, nachdem er am Vortag, dem Jahrestag der Gründung der Solidar-nošč, mit einer polnischen Fahne am Rad durch Jena gefahren ist. Jahn, bereits 1977 im Zusammenhang mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns exmatrikuliert, wurde wegen § 220 (öffentliche Herabwürdigung der DDR und ihrer Pohtik) und § 222 (Mißbrauch staatlicher Symbole) zu 22 Monaten Gefängnis verurteilt.

Der Fotograf Manfred Hildebrand, der Fotos des verstorbenen Domaschk verbreitet hatte, wurde kurz vor Jahreswende zu 16 Monaten verurteilt.

Im Rahmen der in fast allen Tei-

len der DDR von den evangelischen Gemeinden veranstalteten Friedensdekade vom 7. bis 17. November bildeten etwa 80 junge Leute auf dem „Zentralen Platz" in Jena einen Kreis. Mit den Gesichtern nach außen gewandt trugen sie Schilder mit der Aufschrift „Frieden"; zwei Minuten standen sie so und schwiegen.

Am 24. Dezember, so konnte man hören, wolle man am selben Ort in ähnlicher Weise zusammenkommen. Was sich dann am Heiligen Abend abspielte, beschreibt der 1977 von Ost- nach Westberlin übersiedelte Schriftsteller Jürgen Fuchs in seiner

„Erklärung eines Sachverhalts" so:

„An den Ausfahrtsstraßen von Jena waren Kontrollen aufgebaut, ebenso am Bahnhof. Dennoch trafen sich an der Friedenskirche ca. 200 Menschen, die zu dem zentralen ,Platz der Kosmonauten’ vor der Stadtkirche gehen und dort — schweigen wollten. Nur wenige Dutzend kamen durch, die zivilen Ordnungshüter waren in Hundertschaften da und kontrollierten jeden verdächtig Aussehenden. Es waren aber nicht die Mitglieder der Jungen Gemeinde Jenas, von denen die Initiative zu dieser Schweigeminute ausgegangen war. Eher Kreise von Jugendlichen, die sich in der letzten Zeit ein wenig distanziert hatten von der Kirche: junge Arbeiter, die vielleicht unter anderen (politischen) Umständen studiert hätten, oder eine Chancen gehabt hätten, Abitur zu machen."

Und weiter heißt es in der Erklärung: „Ihre Distanz zu der Kirche in Jena hat damit zu tun, daß diese ihnen in letzter Zeit kaum einmal für ihre Sache Raum gelassen hat. Nachdem ein Mitglied des Altestenrats der Kirche und hauptamtlicher Mitarbeiter der Jungen Gemeinde erklärt hat, daß er jahrelang alledrei Wochen,Gespräche mit Mitarbeitern der Staatssicherheit hatte, ist die Verbitterung gewachsen."

Die Kirchenoberen — nicht nur in Jena — neigen in letzter Zeit eher zur Ansicht, Frieden sei eine innere Geisteshaltung, die man für sich vertreten soll, die aber keinen äußeren Niederschlag finden soll. Zwar ist die Kirche weiterhin um den Dialog in Sachen Frieden mit der Staatsführung interessiert, Ergebnisse blieben bislang jedoch aus: Der Vorschlag der Kirche, einen sozialen Friedensdienst (unserem Zivildienst vergleichbar) einzuführen, wurde als diskussionsunwürdig abgelehnt.

Träger der autonomen Friedensbewegung sind jedoch weiterhin „Friedenskreise" in der Jungen Gemeinde. Diese sind mehr an praktischer Friedensarbeit interessiert und müssen weniger taktieren als die Kirchenleitungen. Was auch innerkirchlich zu Spannungen führen kann, so wurde beispielsweise die Junge Gemeinde in Halle aufgelöst.

Als im Jänner ein aus Jena stammendes Forderungspapier in bundesdeutschen Medien veröffentlicht wurde, schlugen die DDR-Behörden zu. Elf Personen aus dem Freundeskreis der verurteilten Jahn und Hildebrand sitzen in Untersuchungshaft. Gefordert wurden in dem Papier vor allem öffentliche Information über die „Bausoldaten" (spezielle zahlenmäßig sehr kleine Einheiten der NVA, in denen ein Ersatzdienst ohne Waffe geleistet werden kann) und Kontaktmöglichkeiten zu Friedensinitiativen auch in anderen Ländern - etwa zur „Russell-Peace-Foundation" und zur „Gruppe Dialog" in Ungarn.

Was von den Behörden bisher unterbunden wurde.

Von einer Entspannung im Verhältnis Staat/Friedensbewegung ist nichts zu spüren. Die vom Chefideologen der SED, Kurt Hager, im Juni letzten Jahres verkündete These, es gäbe keinen essentiellen Unterschied zwischen dem Friedenswillen von Pazifisten, Sozialisten und Christen, strafen die jüngsten Ereignisse Lügen.

Das Klima der DDR - vor allem in Jena - wird von Exilanten häufig mit dem von 1976 verglichen, dem Jahr der Ausweisung Wolf Biermanns. Mit einem Unterschied: Waren die Träger der Bewegung damals exponierte Oppositionelle, so ist nun eine „neue Generation" am Werk, „der ihr Engagement wichtiger ist als der Verlust von Privilegien", wie es Hans-Peter Wensierski vom Evangelischen Pressedienst (in West-Berlin) erst kürzlich in der „Zeit" beschrieben hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung