6931374-1982_30_06.jpg
Digital In Arbeit

DDR: Schwerter zu Pflugseharen

19451960198020002020

Die Militarisierung der DDR-Gesellschaft schreitet unvermindert fort. Doch zunehmend regt sich dagegen Widerstand -vor allem in der evangelischen Jugend. In den letzten Wochen und Monaten häuften-sich Meldungen über autonome Friedensaktivitäten im SED-Staat.

19451960198020002020

Die Militarisierung der DDR-Gesellschaft schreitet unvermindert fort. Doch zunehmend regt sich dagegen Widerstand -vor allem in der evangelischen Jugend. In den letzten Wochen und Monaten häuften-sich Meldungen über autonome Friedensaktivitäten im SED-Staat.

Werbung
Werbung
Werbung

Es sind einige Tausend, die in der Kirche, dem einzigen staatsfreien Raum der DDR-Gesellschaft, zusammenkommen. Sie geben sich mit dem Parteislogan „Frieden schaffen gegen NATO-Waffen” nicht zufrieden, sondern fordern dazu auf, doch auch einmal die eigenen Raketen zu zählen.

Höhepunkte dieser Bewegung, die von der Basis getragen wird, waren ein Friedensforum zum 37. Jahrestag der Zerstörung Dresdens im Februar und eine am letzten Junisonntag in der Ost-Berliner Erlöserkirche veranstaltete „Friedenswerkstatt”, zu der 3000 Teilnehmer kamen.

Evangelisches Friedensengagement hat in der DDR schon Tradition: Als im Jänner 1962 — sechs Jahre nach der BRD — die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde, wandten sich viele gegen diese Remilitarisierung und verweigerten den Wehrdienst. Auf Betreiben der evangelischen Kirche wurde von der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) dann im September 1964 die Möglichkeit geschaffen, in speziellen Baueinheiten der Nationalen Volksarmee (NVA) einen waffenlosen Wehrersatzdienst abzuleisten.

Doch die kritischen Stimmen verstummten trotzdem nicht. Denn diese „Bausoldaten” müssen auch militärische Hilfsdienste verrichten. Das provozierte die evangelische Kirchenleitung zu einer Eingabe, in der sie darum bittet, daß die Möglichkeit eines „Sozialen Friedensdienstes” — etwa in Spitälern — geschaffen wird.

5000 Christen unterzeichneten diesen Appell.

Zwar rechnet man nicht damit, daß dieser Forderung in nächster Zeit stattgegeben wird: Die Zeit dafür ist noch nicht reif. Es geht hier wohl auch in erster Linie darum, neue Wege und Denkmöglichkeiten aufzuzeigen, um der wachsenden Militarisierung der DDR-Gesellschaft Einhalt zu gebieten.

Diese Militarisierung beherrscht in immer stärkerem Ausmaß den DDR-Alltag: Im Rundfunk hört man Kinderlieder mit Lobeshymnen auf die Helden der NVA, das nach dem Krieg verbotene Kriegsspielzeug ist wieder zu kaufen und wird für die Kindergärten als „patriotisches Spielzeug” angeschafft.

In den Schulen wird seit 1978 in den letzten drei Klassen Wehrkunde unterrichtet, am Nachmittag lernen die Schüler im Sportunterricht Handgranaten-Werfen.

Die Freie Deutsche Jugend (FDJ), der sozialistische Jugendverband, sieht es unter anderem als eine seiner Hauptaufgaben an, Jugendliche als freiwillig Längerdienende zu gewinnen. Die FDJ arbeitet auch eng mit der paramilitärischen „Gesellschaft für Sport und Technik” zusammen, in der der überwiegende Teil der Jugendlichen die eigentliche militärische Grundausbildung durchmacht.

Die totale Ausrichtung des ganzen gesellschaftlichen Lebens auf das Militärwesen ist wohl ein Hauptgrund für das Anwachsen einer autonomen Friedensbewegung. Äußeres Erkennungszeichen war bis zu dessen Verbot ein Stoff-Aufnäher mit dem Bibelspruch „Schwerter zu Pflugscharen”. Er zeigt das sowjetische Mahnmal vor dem UNO-Gebäude in New York: einen Mann, der sein Schwert zu einem Pflug umschmiedet.

Dieser Auf näher tauchte in kurzer Zeit in Massen auf. Doch dann wurde er auch schon wieder verboten. Begründung: Der Aufnäher symbolisiere nicht die Friedenssehnsucht jener, die ihn tragen würden, sondern sei nichts anderes als eine Kritik am SED-Staat. Denn noch brauche man sowohl Schwerter wie auch Pflugscharen, wie Verteidigungsminister Hoffmann meinte.

Jugendliche, die der Aufforderung, den Aufnäher zu entfernen nicht nachkamen, verloren ihre Lehrstelle oder wurden nicht zur Matura beziehungsweise in die Hochschulen zugelassen.

Unter die Räder der DDR-Justiz kam aber auch der Berliner

Jugendpfarrer Rainer Eppel-mann, Verfasser des „Berliner Appells — Frieden schaffen ohne Waffen”, in dem er die Entmilita-risjerung Deutschlands fordert. Zu Beginn dieses Jahres wurde Eppelmann verhaftet, nach Interventionen der evangelischen Kirchenleitung dann aber wieder freigelassen.

Diese Reaktionen zeigen die Empfindlichkeit der DDR-Behörden den christlichen Friedensinitiativen gegenüber recht deutlich!

Wo liegen nun aber die Unterschiede zwischen dem christlichen Friedensengagement und der „aktiven Friedenspolitik” der DDR-Führung? Der SED-Staat geht davon aus, daß Sozialismus und Frieden „wesensgleich” seien und also die gesamte Politik des Warschauer Paktes Friedenspolitik sei. Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß die „wahre Friedenstat” des DDR-Bürgers die allseitige Stärkung des sozialistischen Staates ist. Den Frieden gefährden nur die „imperialistischen Länder”, da ja nur diese an der Rüstung verdienen.

Davon hebt sich die Friedenspolitik der evangelischen Kirche deutlich ab: Sie bestreitet zwar nicht die Friedensabsicht des Staates und stimmt auch in der Zielsetzung der Abrüstung und Entspannungspolitik voll überein

(beispielsweise in der Ablehnung des NATO-Doppelbeschlusses, doch setzt die Kirche andere, deutlich pazifistische Akzente.

Nur ist es so, daß Pazifismus in der DDR wie im ganzen Ostblock als eine Erscheinung angesehen wird, die innerhalb des Systems keinen Platz hat, da er den „Klassencharakter der Kriege” nicht berücksichtige und auch den „gerechten Krieg” ablehne.

Doch gerade in diesem Punkt sind jetzt neue Töne zu vernehmen. Kurt Hager, Mitglied des Politbüros der SED, hat in einer Rede vor dem Kulturbund der DDR ganz selbstverständlich davon gesprochen, daß es auch in der DDR pazifistische Friedensbestrebungen gebe und daß es ein Märchen sei, zwischen diesen und denen des Staates eine Kluft zu sehen.

Ob diese Rede einen Wendepunkt im Verhältnis der SED zur autonomen Friedensbewegung darstellt oder aber als Verwir-rungs- und Täuschungsmanöver anzusehen ist, ist schwer zu sagen.

Vorerst läßt sich nur anmerken: Die kirchliche Friedensarbeit geht weiter (so ist vom 7. -17. November eine Friedensdekade in allen Teilen der DDR geplant) und beide Seiten, Staat und Kirche, bemühen sich, es nicht zu neuerlichen Konfrontationen kommen zu lassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung