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De uaria numguam satis

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Nimm Jesus Christus aus der Welt, was bliebe dann von der Geschichte Europas? Nimm Maria aus der Geschichte Europas, unzählbar wären die weißen Flecken in seinem Atlas.

Im Alten Ägypten wollte einmal ein Pharao das Andenken seiner Mutter ausradieren, weil sie ihn allzulang an der Regierungsübernahme gehindert hatte: wo immer Hatschepsut „verewigt“ war, ließ er ihr Bild aus der Wand schlagen - mit dem Ergebnis, daß man jetzt erst recht die Bedeutung der Vermißten ermißt. Und nun stellen Sie sich nur einmal die Denkmäler der großen Epochen europäischer Kunst vor, aus denen jede Erinnerung an die Mutter Christi und ihre Verehrung in der Christenheit entfernt wäre, was gäbe es da an verstümmelten Gedichten und Liedern, wie viele Sockel und Nischen ständen leer, wie viele Gotteshäuser wären namenlos - und welchen Anblick böten erst die vielen Gemälde in Kirchen und Museen, aus denen man das Bild der Gottesmutter herausgeschnitten, -gekratzt und -gemeißelt hätte?

Dieser Überlegung ist es natürlich nicht sosehr um die Schätze europäischer Kunstgeschichte zu tun. Sie möchte die Bedeutung verstehen, die das Mädchen Mirjam aus Nazareth für den Glauben der Christenheit durch die Jahrhunderte hin gehabt hat.

„De Maria numquam satis“, lautet ein vielzitierter Spruch, der auch ebensooft kritisiert wurde. „Von Maria nie genug“ muß aber nicht heißen, daß den unzähligen Aussagen über die Gottesmutter immer neue hinzugefügt werden müssen, und natürlich erst recht nicht, daß das „Marien- lob“ keine Obergrenze kennt. Ich meine, daß dieser Satz anders verstanden einen sehr guten Sinn hat und so für jeden Katholiken, für jeden Christen eine Herausforderung bedeutet: die Herausforderung nämlich zu immer neuer Stellungnahme im Bewußtsein, daß man mit Maria nie wird an ein Ende gekommen sein.

Was aber für den einzelnen gilt, gilt auch für die Gemeinschaft, für die Kirche und die Kirchen. Es gibt nicht das eine und endgültige Marienbild, in dem alle früheren zusammenfließen, und das so wie es ist zu akzeptieren wäre. Und es gibt auch nicht, so meine ich, die Nische der Andacht, in der man Maria eben duldet, noch läßt sie sich ein für allemal einschließen in die bescheidene Sammlung einiger weniger Bibelverse. Das aber schlicht darum, weil ihre Gestalt von den Anfängen christlicher Verkündigung und kirchlicher Selbstreflexion her mehr war als nur die Frau, die (zufällig) Jesus geboren hat. In ihr haben die Christen und hat die Kirche - mehr als in allen anderen treuen Empfängern des Evangeliums - das Vorbild, Zielbild, ja vielleicht Wunschbild des eigenen Glaubens und einer Kirche nach dem Willen ihres Stifters gesehen. Wenn dem aber so ist, dann ist es wohl verständlich und auch notwendig, daß verschiedene Epochen der Kirchengeschichte verschiedene Marien-Bilder gemalt haben - in Antwort auf die jeweilige Zeit und ihre Fragen, Chancen und nicht zuletzt Bedrohungen. So wurde Maria (vielleicht schon im Neuen Testament) als die erlöste Tochter Zion gesehen, als die Magd Gottes (an der Seite des Gottesknechts), als die Neue Eva, als Bild und Verkörperung der Kirche. Beim Konzil von Ephesus (431), auf dem es um die wirkliche Gottessohnschaft Jesu ging, war es ihr Titel „Theotokos/Gottesgebärerin“, der die katholische (allverbindliche) orthodoxe (rechtgläubige) Lehre kurz und einprägsam zum Ausdruck brachte. Eine Kirche, die sich verpflichtet wußte, den rechten Glauben durch die Geschichte hin unversehrt zu bewahren, konnte dann in Maria die „Uberwinderin aller Häresien“ wie überhaupt aller gottwidrigen Mächte sehen: die „Siegerin in allen Schlachten Gottes“ an der Seite dessen, der allein Sieger über Sünde und Tod ist.

Man mag manche Entwicklung im Selbstverständnis der Christenheit und damit auch im Ma- rien-Bild vergangener Zeiten heute bedauern; wer einfach den Stab bricht, macht sich die Sache sicher zu leicht. Gerade eine Zeit, die so viel von Gerechtigkeit redet und manchmal auch heute noch ein gewisses Verständnis aufbringt für eine gewaltsame Abwehr oder Beseitigung von Unrecht, sollte sich bemühen, Menschen anderer Zeiten aus ihren Voraussetzungen heraus zu beurteilen: so etwa auch die katholischen Christen des 16. und 17. Jahrhunderts in unserer österreichischen Heimat zu respektieren, wenn sie sich im Aufblick zu Maria als dem Bild der treuen Kirche bei der Abwehr neuer christlicher Lehren und ganz besonders des militärisch andringenden Islams der Hilfe Gottes vergewissern wollten.

Ein solcher Respekt vor fremder Überzeugung und Haltung bedeutet freilich keineswegs schon Billigung oder gar kritiklose Übernahme des Vergangenen. Ein Kirchenbild, das unserer Zeit mit ihren Fragen, Chancen und auch Bedrohungen gerecht werden soll, wird auf eine kriegerische Sprache ebenso verzichten, wie es jede isolierte Betrachtung der Gottesmutter vermeiden wird. Wenn aber zugleich heute verschiedene neue Zugänge zu Maria gesucht und gefunden werden, wenn sie nun als konkreter Mensch und als Frau in einer männlich bestimmten und interpretierten Welt in den Blick kommt oder als Sängerin des Magnificat viele mit ihrem Bekenntnis zu dem Gott, der „die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht“, zu faszinieren versteht, dann halte ich das für einen Beweis der neuen Gültigkeit des alten Wortes „De Maria numquam satis“.

P. Leo Wallner SJ ist Geistlicher Assistent des Hörfunkausschusses der ED Wien

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