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Debatte über den „gerechten Krieg“

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Es war in Drogheda, einer Stadt nahe der Grenze zwischen der Republik Irland und Ulster, wo Papst Johannes Paul II. die Iren auf den Knien angefleht hatte, vom Weg der Gewalt abzukehren. Jenseits der Grenze, in Nordirland, verhallte sein Appell scheinbar unge- hört - jedenfalls bei jenen, denen die Worte des Papstes vor allem gegolten hatten: den Terroristen der katholischen Untergrundorganisation IRA. 18 Menschen sind seit dem Papstbesuch vor knapp zwei Monaten nach Terroranschlägen verblutet.

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Es war in Drogheda, einer Stadt nahe der Grenze zwischen der Republik Irland und Ulster, wo Papst Johannes Paul II. die Iren auf den Knien angefleht hatte, vom Weg der Gewalt abzukehren. Jenseits der Grenze, in Nordirland, verhallte sein Appell scheinbar unge- hört - jedenfalls bei jenen, denen die Worte des Papstes vor allem gegolten hatten: den Terroristen der katholischen Untergrundorganisation IRA. 18 Menschen sind seit dem Papstbesuch vor knapp zwei Monaten nach Terroranschlägen verblutet.

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96 Menschen sind bis zum 14. November dieses Jahres schon Opfer des Terrors in Nordirland geworden (1978 waren es insgesamt 81). Seit 1973 wurden in keinem Jahr so viele Angehörige der Sicherheitskräfte (britische Armee und nordirische Polizei) ermordet wie heuer, 1979 droht ■überhaupt zum schlimmsten Jahr des Terrors seit 1972 zu werden.

Und das, obwohl sich die Iren und mit ihnen zusammen die ganze Welt Hoffnungen machten, daß nach dem nun schon zehn Jahre andauernden Bürgerkrieg der Irlandbesuch des Papstes einen Wendepunkt in der nordirischen Tragödie markieren würde.

Glaubte man ein paar emotionsvolle Stunden nach der Anti-Terror- Rede des Papstes in Drogheda, daß auch die Untergrundkämpfer der provisorischen IRA endlich zur Besinnung kämen, machten die Terroristen schon bald allen auf eine Lösung Hoffenden einen Strich durch die Rechnung: Sie erklärten, der Kampf werde fortgesetzt, zumal sie ja einen „gerechten Krieg“ ausfechten würden - und diese Art des Krieges sei von der katholischen Doktrin ja schließlich immer gebilligt worden.

Zwei Tage nach dem Papstappell töteten Angehörige der provisorischen IRA zwei Freiwillige des protestantischen paramilitärischen „Ulster-Verteidigungs-Regiments“ (Ulster Defence Regiment, UDR).

So brutal diese Antwort der IRA auf die Papstrede auch ist, so düster die Terrorbilanz in Ulster seit dem Besuch Johannes’ Pauls II. auch sein mag - ohne Wirkung geblieben ist der Irlandaufenthalt des Heiligen Vaters dennoch nicht. Peter McLachlan, neuer Vorsitzender der von den beiden nordirischen Friedensnobelpreisträgerinnen Betty Williams und Marread Corrigan gegründeten Bewegung „Peace People“ („Friedensmenschen“), erklärte in einem Gespräch mit der FURCHE, warum:

„Einmal ist die Diskussion über den angeblich .gerechten Krieg“ im katholischen Lager wieder in Gang gekommen - sicher eine der wichtigsten Konsequenzen des Papstbesuches.“ Denn ein Großteil der Katholiken in Nordirland sei nach der Papstrede in Drogheda vom IRA-Ar- gument nicht mehr so überzeugt, daß es sich beim Ulster-Konflikt um einen „gerechten Krieg“ handle.

Was McLachlan mit diesem scheinbar theoretischen Punkt anschneidet, ist durchaus realitätsbezogen, wenn man dem die Aussage gegenüberstellt, die Gerry Adams - ein führender Kopf der provisorischen IRA - in einem Interview mit dem amerikanischen Nachrichtenmagazin „Time“ machte. Adams meinte über die Unterstützung der IRA: „Es ist offensichtlich eine kleine Truppe, die gegen eine gewaltige Übermacht kämpft und die gar nicht existieren könnte, wenn es keine breite Unterstützung für sie gäbe.“

So breit ist die Unterstützung für die IRA aus dem nordirischen katholischen Lager bestimmt auch wieder nicht, aber gewiß gibt es noch genug Katholiken in Ulster, die den Terroristen in irgendeiner Weise helfen. Um es mit Mao Dsedong zu sagen: Sie sind das Wasser, in dem sich die Fische - sprich: Terroristen - bewegen können.

Daß den IRA-Aktivisten dieses Wasser mit der Zeit davonfließt, könnte, längerfristig gesehen, eine entscheidende Konsequenz des Papst-Besuches sein. Und darum ist die von McLachlan erwähnte wiederaufgeflammte Debatte über den „gerechten Krieg“ in Nordirland auch so wichtig: wenn nämlich nach und nach alle Katholiken in Ulster einse- hen, daß dies kein „gerechter Krieg“ ist und der IRA deswegen ihre Unterstützung versagen.

Was die Wirkung des Papstbesuches auf die protestantische Mehrheit in Ulster angeht, weiß McLachlan - selbst Presbyterianer -, wovon er spricht: „Für die Protestanten war es wichtig, zu hören und zu sehen, daß sich der Papst dermaßen gegen die Gewalt aussprach und daß es in der katholischen Kirche eine wirklich starke Führung gibt.“

Dennoch ist die Frontstellung zwischen den beiden religiösen Gruppen so festgefahren wie eh und je, kann eine Aufweichung der Fronten - als Folge des Papst-Besuches - höchstens längerfristig erfolgen. McLachlan trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er das Dilemma in Nordirland beschreibt: „Das katholische Argument ist: .Gebt uns Gerechtigkeit, und die Gewalt wird aufhören.“ Das protestantische Argument wiederum ist: .Gebt uns Frieden, und wir geben euch - vielleicht - Gerechtigkeit.“ “

„Jedenfalls“, fährt McLachlan fort, „wäre es für Katholiken wie Protestanten sehr wichtig, wenn mehr kirchliche Würdenträger aus dem Ausland nach Nordirland zu Besuch kämen. Sympathische und pastorale Persönlichkeiten könnten dazu beitragen, daß die Protestanten von ihren vorgefaßten abschätzigen Meinungen über die Hierarchie der katholischen Kirche wegkommen.“

Als besonders erfreulich sieht es McLachlan in dieser Hinsicht an, daß der Grazer Bischof Johann Weber einen Besuch in Ulsterso gut wie zugesagt habe.

Wenig Anzeichen für eine neue Nordirland-Initiative gibt es indes von der Regierung in London. Der britische Sozialminister Reginald Prentice, darauf von der FURCHE vergangene Woche in Wien angesprochen, meinte lediglich, daß eine Mehrheit der nordirischen Bevölkerung bei Großbritannien bleiben wolle und die konservative Regierung sich danach zu richten hätte. Es seien jedoch Bemühungen im Gange, einen Regierungsmechanismus mit betont regionaler Willensbildung für die Provinz Ulster zu finden.

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