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Defizite von heute - Arbeitslose von morgen?

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Lieber „ein paar” Milliarden Schilling Schulden als um 100.000 Arbeitslose mehr, proklamierte Bundeskanzler Kreisky nun auch im Ausland seine Maxime - vor dem Parteitag der SPD. So dürfte aber ein verantwortungsbewußter Regierungschef das prekärste Problem Österreichs wirklich nicht bagatellisieren und simplifizieren - um so mehr, als damit ein höchst undemokratischer Diffamierungsprozeß gegen alle „Dissidenten” eingeleitet wird: Wer immer die Finanzpolitik der Regierung kritisiert, „dekuvriert” sich als antisozialer Interessenvertreter des „Kapitals”, dem es wichtiger ist, daß „die Kasse stimmt”, als daß die „Werktätigen” ihren sicheren Arbeitsplatz haben. Daß Kritik auch andere Motive haben könnte, wird von vornherein negiert.

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Lieber „ein paar” Milliarden Schilling Schulden als um 100.000 Arbeitslose mehr, proklamierte Bundeskanzler Kreisky nun auch im Ausland seine Maxime - vor dem Parteitag der SPD. So dürfte aber ein verantwortungsbewußter Regierungschef das prekärste Problem Österreichs wirklich nicht bagatellisieren und simplifizieren - um so mehr, als damit ein höchst undemokratischer Diffamierungsprozeß gegen alle „Dissidenten” eingeleitet wird: Wer immer die Finanzpolitik der Regierung kritisiert, „dekuvriert” sich als antisozialer Interessenvertreter des „Kapitals”, dem es wichtiger ist, daß „die Kasse stimmt”, als daß die „Werktätigen” ihren sicheren Arbeitsplatz haben. Daß Kritik auch andere Motive haben könnte, wird von vornherein negiert.

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Auf diese Manier wird jede Diskussion über das eigentliche Problem durch Emotionalisierung blockiert, Parteilichkeit gegen Vernunft ausgespielt. Dieses eigentliche Problem - man kann es nicht häufig und eindringlich genug betonen - sind aber die im atemberaubenden Tempo wachsenden Staatsschulden.

Von den 267,7 Milliarden Schilling Ausgabentotale im Bundesbudget 1978 sollen nicht weniger als 30,9 Milliarden oder 11,6 Prozent - so die offizielle Aufstellung des Finanzministeriums - zur Abdeckung der Finanzschulden aufgewendet werden. Damit man sich einen ungefähren Begriff davon machen kann, was dies bedeutet, seien zum Vergleich dazu die Gesamtausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung - inklusive der Kosten für die umfangreiche Bürokratie der einschlägigen Ressorts und der nachgeschalteten Dienststellen - angeführt: 35,4 Milliarden oder 13,4 Prozent. Der Aufwand für Recht und Sicherheit macht überhaupt nur 19,4 Milliarden oder 7,2 Prozent aus. Der Schuldendienst kostet uns also bereits beinahe soviel wie uns die Ressorts Unterricht und Wissenschaft zusammen und über ein Drittel mehr als die Aufwendungen für unsere Sicherheit.

Das sind die Konsequenzen der überdimensionierten Defizite, die seit einigen Jahren in Mode gekommen sind: Der Schuldenberg wächst und wächst und bindet immer mehr Budgetmittel, die zweifellos nutzbringender verwendet werden könnten.

Das kumulierte Defizit der Jahre 1946 bis 1971 - also die Schulden eines Vierteljahrhunderts - hatten 47 Milliarden ausgemacht. Dabei mußten in dieser Periode so gigantische Pro-’

bleme wie der Wiederaufbau Österreichs nach den Kriegszerstörungen, die Kosten der Besatzung, die Reparationen an die Sowjetunion und anderes mehr bewältigt werden.

Allein innerhalb der sieben Jahre von 1972 bis 1978 wird hingegen das kumulierte Defizit auf nicht weniger als 192 Milliarden - also auf mehr als das Vierfache der vorgenannten Summe - hinaufschnellen. Hat im Durchschnitt der Jahre 1946 bis 1971 das jährliche Defizit 1,8 Milliarden ausgemacht,, so beträgt es im Durchschnitt 1972 bis 1978 nicht weniger als 20,7 Milliarden.

Daß es in dem Tempo nicht weitergehen kann, ist evident. Aber bedauerlicherweise ist von konkreten Brems- manövern bisher nichts zu merken. Auch 1978 wird die Neuverschuldung - verschämt als „Nettodefizit” bezeichnet - nicht weniger als 24,5 Milliarden ausmachen. Das Gesamtdefizit wird aber über 40 Milliarden betragen, weil die forcierte Schuldenrückzahlung, auf die sich der Finanzminister so viel zugutetut, die Aufnahme zusätzlicher Kredite notwendig macht - was die „Leistung” der rascheren Rückzahlung als einige jmaßen problematischen Erfolg erscheinen läßt.

Ja, wenn es sich nur um „ein paar” Milliarden Schulden handelte - wie der Kanzler so en passant zu verstehen gegeben hat - würde seine Argumentation noch verständlich sein. Aber mit derart massiven Defiziten, wie wir sie gegenwärtig in Österreich verzeichnen müssen, kann man auf Dauer keine Arbeitsmarktpolitik betreiben - um so mehr, als ja nur ein Bruchteil der Mittel dem Arbeitsmarkt zugute kommen und von einer darauf zurückzuführenden Sicherung von 100.000

Arbeitsplätzen nicht im entferntesten die Rede sein kann.

Die Alternative „Defizit oder Arbeitslosigkeit” existiert genausowenig wie diejenige von „Inflation oder Arbeitslosigkeit”. Im Gegenteil, je höher die Defizite steigen, desto größer wird die Gefahr der Arbeitslosigkeit.

Die Defizite von heute sind nämlich nichts anderes als die Arbeitslosigkeit von morgen. Je höher man das kumulierte Defizit klettern läßt, um so massiver wird die künftige Arbeitslosigkeit ausfallen. Wenn man mit Schulden neue Arbeitsplätze schafft - noch dazu solche, die sich nicht einmal selbst finanzieren, geschweige denn amortisieren können -, dann erzielt man damit keine Vollbeschäftigung, sondern nur die Illusion einer Vollbeschäftigung, man löst keine Probleme, sondern schiebt sie nur hinaus. Die Desillusionierung kann nicht ausbleiben. In dieser Form kann jedenfalls nicht Arbeitsmarktpolitik betrieben werden.

Als die „FURCHE” - und beileibe nicht nur sie - zu Beginn der siebziger Jahre prophezeit hat, daß die Ausgä- benpolitik der Regierung, weit davon entfernt, eine dauernde ‘Prosperität herbeizuführen, uns lediglich Inflation, Staatsschulden und Steuererhöhungen auf den Hals schaffen wird, wollte das niemand wahrhaben. Dennoch ist es - leider - so gekommen. Wenn daher die Budgetpolitik nicht radikal in Richtung Ausgabeneinsparungen geändert wird, so wird unzweifelhaft auch die neue Prognose eintreffen, so unerwünscht uns dies auch allen sein wird.

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