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Dein Vater ist die Tiefkühltruhe
Künstliche Befruchtungen mit tiefgekühltem Samen kommen häufiger vor als ,, Retortenbabys", sind aber in Österreich bis heute rechtlich überhaupt nicht erfaßt.
Künstliche Befruchtungen mit tiefgekühltem Samen kommen häufiger vor als ,, Retortenbabys", sind aber in Österreich bis heute rechtlich überhaupt nicht erfaßt.
„Frosty" war zweifellos ein passender und zugleich seine Herkunft kurz und bündig beschreibender Name für das Kalb, das im August 1978 in der Tierärztlichen Hochschule in Hannover auf die Welt kam. Es hatte im Embryonalzustand einige Wochen bei minus 196 Grad in flüssigem Stickstoff verbracht, ehe es — wieder-
um aufgetaut - weiterwachsen und schließlich geboren werden durfte.
Zu diesem Zeitpunkt war das Einfrieren menschlicher Samenzellen schon längst ein alter Hut, denn bereits seit den sechziger Jahren lagern die Samenzellen berühmter oder verdienstfreudiger Männer, etikettiert und nach diversen Gesichtspunkten wie
Haut-, Augen- und Haarfarbe, Hobbies, Intelligenzquotient etc. geordnet — in Samenbanken: der im Katalog auswählbare Vater.
Ein Schritt auf dem Weg zum geplanten Wunschkind?
Wie es fast immer der Fall ist, gab es nach den mit Erfolg ausgeführten Versuchen im Bereich der Tierzucht auch für die menschliche Art handfeste und sehr vernünftig erscheinende Gründe, weshalb männliche Samenzellen tiefgefroren wurden: Die ersten Astronauten, die eine Schädigung ihrer Keimzellen durch kosmische Strahlung nicht ausschließen konnten, wollten sichergehen, auch nach ihrer Rückkehr aus dem All Kinder bekommen zu können.
Bald darauf kam Robert Graham auf die, nicht ganz neue, Idee, „den genetischen Niedergang der Menschheit" aufzuhalten; er gründete eine Samenbank, mit
deren Hilfe die Menschheit mit Samen diverser Nobelpreisträger beglückt werden sollte. Daß Nobelpreisträger meist Herren in fortgeschrittenem Alter sind und die Risken genetischer Defekte dabei erhöht sind, fiel ironischerweise nicht ins Gewicht.
Da Nobelpreisträger aber nicht nur hervorragende Leistungen auf ihrem Arbeitsgebiet erbringen, sondern im allgemeinen auch nachdenkliche Menschen sind, war von Andrang keine Rede, und der einzige Nobelpreisträger, der sich zur Samenabgabe „aus Pflichtbewußtsein" bekannte, war William B. Shockley, einer der Wegbereiter des Transistorradios.
Mittlerweile gibt es, zumindest unter den Industrienationen, kein Land, das nicht eine oder mehrere Samenbanken hat. Aus Europa gibt es keine zuverlässigen Zahlen, in den Vereinigten Staaten schätzt man, daß jährlich an die 25.000 Kinder geboren werden, deren Mütter mit dem Samen anonymer Spender befruchtet werden.
Hat der Samenspender ein Recht auf Anonymität? So selbstverständlich ist das gar nicht. Es ist interessant zu erfahren, daß Mitte des vorigen Jahres Schweden und Großbritannien, zwei Länder also, in denen die künstliche Samenübertragung zur Routine
staatlicher Kliniken gehört, restrikte Gesetzesentwürfe vorgelegt haben. In beiden Ländern sollen künftig Kinder im Alter von 18 Jahren den Namen ihres biologischen Vaters erfahren können, wenngleich dadurch keinerlei Rechte oder Pflichten ableitbar sein sollen.
Übrigens darf in Schweden nicht irgendwer Samen spenden, dieses „Privileg" ist einer Berufsgruppe vorbehalten: den Mitgliedern des Offizierscorps der Armee.
Dazu ergibt sich eine Fülle von Fragen: Hat ein Mensch nicht ein Anrecht darauf, seine biologische Abstammung zu kennen? Wie mag es den sozialen Vater beeinflussen, wenn er — bewußt oder unbewußt - damit leben muß, daß jemand anderer seiner Frau etwas geben konnte, wozu er nicht imstande war? Besteht nicht die Gefahr, daß mit immer detaillierterem Angebot das „bestmögliche" Kind erwünscht und erwartet wird und somit es zu Erwartungshaltungen kommt, die weder vertretbar noch erfüllbar sind?
Da die heterologe Insemination (zum Unterschied von der homologen I. kommt dabei der Same nicht vom Ehemann) in Österreich bis heute im völlig gesetzfreien Raum stattfindet, könnte man bei einer legistischen Fassung — die wohl vonnöten wäre — einige dieser Punkte ernsthaft diskutieren.
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