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Dem endgültigen Sieg Christi entgegen

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FURCHE: Heute werden wir fortwährend mit Prognosen konfrontiert. Sind die biblischen Prophezeiungen von der Endzeit etwas ähnliches?

P. FRANZ EDLINGER: Der biblische Endzeit-Begriff ist „progressiv“ zu verstehen. Es geht um ein Voranschreiten, ein Verdichten. Die Wiederkunft Jesu hat schon begonnen - vor allem mit der Geistaussendung. Das kann man bei vielen Kirchenvätern und Theologen nachlesen.

Wir stehen daher in der Endzeitphase. Aus christlicher Sicht ist Endzeit nicht als zeitliche Festlegung zu verstehen, etwa unter dem Motto: Am 2. August 2000 geht die Welt unter. Für mich ist die Endzeit ganz real angebrochen - aber sie ist noch nicht zur Vollendung gelangt.

FURCHE: Was kennzeichnet diese Periode?

EDLINGER: Viele Bibelstellen zeigen, daß in diesem Zeitraum eine Art Endkampf zwischen Christus und den Mächten der Finsternis stattfindet. Wir erleben diese Auseinandersetzung, sind mitten in sie hineingestellt. Und die Siegesmacht Jesu Christi verdichtet sich immer mehr.

Wir können nicht sicher sagen, wie lange dies noch währen wird. Jedenfalls aber stehen wir, die Kirche mit einer 2000jährigen Geschichte, anders da als die Urkir-che.

FURCHE: Worin liegt diese Andersartigkeit?

EDLINGER: Das Evangelium ist in der ganzen Welt verkündet. Es gibt keinen Winkel dieser Welt, wo ich nicht zumindest theoretisch Zugang zum Evangelium hätte. Ob ich es auch annehme, ist etwas anderes. Man denke auch an die Möglichkeiten der Massenmedien: Die Kirche ist da in einer Form präsent, die vor 200 Jahren nicht denkbar war. Die Bibel ist außerdem in 140 oder mehr Sprachen übersetzt - von Dialekten gar nicht zu reden.

FURCHE: Ist das Teil des Siegeszuges Christi?

EDLINGER: Ja. Aber es gibt dafür noch tiefere Anzeichen, gerade im spirituellen Bereich. An ihnen spüren wir, daß die Heilsgeschichte vorwärtsschreitet Es gibt seit dem Zweiten Vaticanum einen Aufbruch, der weltweit stattfindet. Immer gab es in der Kirche Erneuerung - aber sie war immer lokal begrenzt. Heute aber kannst du auf jedem Erdteil, wo immer du hinkommst, geistliche Erneuerungsbewegungen antreffen. Uber den ganzen Erdkreis geht ein Wehen des Geistes.

Wir erleben eine Auferstehung sondergleichen, eine Wiedergeburt des Glaubens, wie sie sich die Konzilsväter sicher nicht vorgestellt hatten. Uberall leben Gruppen geistiger Erneuerung.

FURCHE: Gibt es weitere Anzeichen des Voranschreitens?

EDLINGER: Auch die Offenbarung schreitet fort. Sicher ist uns in der Menschwerdung Christi die Fülle der Wahrheit geoffenbart worden. Aber es ist eine so gewaltige Botschaft, daß sie nicht auf einmal verstanden werden kann.

Im Ausschöpfen dieses Geheimnisses ist auch ein Fortschreiten festzustellen. Jesus hat uns ja gesagt, der Geist werde uns in alle Wahrheit einführen. Und das gilt nicht nur für den einzelnen in seiner Lebensgeschichte, sondern auch für die Kirche. Die Dogmengeschichte beweist uns das.

FURCHE: Aber viele stoßen sich gerade an den Dogmen.

EDLINGER: Die meisten Dogmen sind durch Herausforderungen aus der Welt entstanden. Irrlehren machten es notwendig, daß vorher unreflektiert und selbstverständlich Geglaubtes klargestellt werden mußte. Das gilt etwa für Fragen über die Person Jesu. Ich sehe auch das letzte Dogma, das von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel, als ganz wichtig für die Zukunftsfrage der Menschheit an: Vor uns steht ein Mensch wie wir, von dem gesagt wird, er habe seine Vollendung in der neuen Schöpfung erlangt.

Das wurde 1955 verkündet, zu einem Zeitpunkt, als das Wettrüsten besorgte Fragen nach der Zukunft aufzuwerfen begann. Dieselbe Frage beschäftigt ja auch die Menschen heute.

Und da verkündet die Kirche ihr Bekenntnis: Der Mensch hat Zukunft. Und diese Zukunft heißt: Er wird zur vollen Gemeinschaft mit Gott gelangen. Und wir kennen einen Menschen, an dem sich diese Zukunft schon vollzogen hat.

FURCHE: Wirkt die Kirche, wirken wir, so, als wäre diese Endzeit-Vision faszinierend?

EDLINGER: Beschäftigung mit der Endzeit stellt unser Leben in Frage. Ehrlich gesagt: Die meisten von uns möchten gar nicht, daß Endzeit wird. Es gibt ein kritisches Lied, dessen Kehrvers lautet: „Herr komm bald wieder — aber jetzt noch nicht“.

Da wird schon der Nagel auf den Kopf getroffen. In Gebeten und in der Liturgie ist immer wieder von der Wiederkunft Jesu die Rede. Aber es erschüttert uns nicht, weil wir sofort denken: „Das wird eh* noch lang dauern.“

FURCHE: Welchen Stellenwert hat eigentlich die Geheime Offenbarung?

EDLINGER: Zunächst einmal: Woraus ist dieses Buch entstanden? Johannes schreibt es in einer Zeit, in der die Christenverfolgung schon im Gange war, etwa Mitte des ersten Jahrhunderts. Die Christen fragen sich damals verständUcherweise: Was wird mit der Kirche? Werden die Mächte der Welt siegen?

Und darauf gibt dieses Trostbuch Antwort. Es ist zunächst eine Gegenwartsdeutung, obwohl es sicher auch einen Ausblick auf die Zukunft gibt.

Johannes sagt seinen Zeitgenossen: Seht, der große Endkampf zwischen Christus und den Mächten der Welt hat begonnen, und wir stehen mitten drinnen. Ihr dürft euch über all das, was geschieht, nicht wundern. Aber jede Schilderung gewaltiger Ereignisse endet immer mit einem Lobpreis auf Christus, den Sieger. Mitten in den brutalen Ereignissen wird für den Zeitgenossen erfahrbar: Christus siegt!

Von dieser Deutung der Gegenwart ist es möglich, eine Linie in die Zukunft zu ziehen. Aber nicht in der Form von Prognosen, wo man nachschlagen könnte, bei welchem Kapitel der Weltgeschichte wir gerade halten.

Die Offenbarung ist keine Chronologie des Weltunterganges, sondern auch für uns ein Trostbuch, das unsere Gegenwart als Heilsgeschichte deutet. Daher ist die Offenbarung ein sehr aktuelles Buch. Lesen wir ruhig von den vielen Greueltaten. Wenn wir uns umsehen, werden wir zugeben, daß vieles davon heute ähnlich in unserer Welt vor sich geht, dabei aber voll Zuversicht bleiben, daß Christus Sieger bleibt und dabei ist, seine Herrschaft anzutreten.

FURCHE: Ist unsere Zeit der Wiederkunft Christi nahe?

EDLINGER: Auf diese Frage kann man mit Vorbehalt ja sagen, wenn man nicht so verstanden wird, dies hieße, das Ereignis fände in zwei, drei oder zehn Jahren statt

P. Franz Edlinger OCist ist Autor des Buches „Tage der Enfįit“ (Herold, Wien 1987).

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