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Dem Frieden darf man kein Ultimatum setzen

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Rigoberta Menchu ist eine vielbegehrte Frau. Seit ihr im Vorjahr der Friedensnobelpreis verliehen wurde, kann sie sich der Einladungen und Ehrungen gar nicht mehr erwehren. Die 34jäh-rige Maya-Quiche-India aus Guatemala wurde am 18. Februar in Genf zur UNO-Sonder-botschafterin für das Jahr der eingeborenen Völker ernannt.

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Rigoberta Menchu ist eine vielbegehrte Frau. Seit ihr im Vorjahr der Friedensnobelpreis verliehen wurde, kann sie sich der Einladungen und Ehrungen gar nicht mehr erwehren. Die 34jäh-rige Maya-Quiche-India aus Guatemala wurde am 18. Februar in Genf zur UNO-Sonder-botschafterin für das Jahr der eingeborenen Völker ernannt.

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FRAGE: Wie man am Beispiel Deiner Vorgängerin, der noch immer konfinierten Birmanesin Aung San Suu Kyi sieht, sind Friedensnobelpreisträger in ihrer Heimat nicht immer beliebt. Auch Regierung und Armee in Guatemala waren wenig begeistert über Deine Auszeichnung. Hast Du heute mehr Feinde?

RIGOBERTA MENCHU: Ich glaube, daß die Überraschung des Nobelpreises viele Leute zum Umdenken gebracht hat. Leute aus anderen sozialen Klassen, die vorher nichts gesehen haben, was uns einen könnte, erkennen heute eine nationale Identifikation oder die gemeinsame Zukunftsperspektive. Nach und nach erkennen sie, daß ich kein armes Hascherl bin, daß man mit mir reden kann, auch über heikle Themen. Hoffentlich erreicht diese Erkenntnis auch jene Gruppen, die die Rolle der Rigoberta Menchu nicht akzeptieren, weil ich für sie eine Subversive bin, eine India, die nicht über die Dinge reden kann, weil sie nicht auf der Universität war.

FRAGE: Im Jänner kam das erste Kontingent (2.430 Personen) von insgesamt über 40.000 Flüchtlingen aus Mexiko nach Guatemala zurück. Welche Lehren kann man aus der Erfahrung bei der Rückkehr ziehen?

MENCHU: Der größte Fehler war wahrscheinlich, daß die Volksbewegungen und die Zivilgesellschaft in Guatemala nicht alle ihre Mittel mobilisiert haben, um in Notfällen helfen zu können. Es ist doch nicht vorstellbar, daß es nicht möglich war, die Messe im Zfentrum von Huehuete-nango abzuhalten, die die Bischöfe dort vorbereitet hatten. Es wäre vermeidbar gewesen, daß das Essen nicht ausreicht und hundert Leute hungrig ins Bett gehen mußten.

Das Schlimmste war die Intoleranz der Regierung. Oft standen deren Delegierte während der Verhandlungen auf und weigerten sich, Alternativen zu suchen. Ihr Umgang mit den Vertretern der Flüchtlinge war meist von rassistischen Haltungen getrübt.

FRAGE: Die Flüchtlinge mußten das letzte Stück in ihr neues Siedlungsgebiet, den Poligono 14, geflogen werden, weil die Straße unpassierbar ist. Woran liegt das?

MENCHU: Es gibt Informationen, daß große Quantitäten Holz aus dem Poligono abtransportiert wurden, bevor die Leute ankamen. Keiner kontrolliert den Raub der Ressourcen und die ungeheure Umweltzerstörung in Guatemala. Diese Transporte haben die Straße nach und nach unpassierbar gemacht. Die Verhandlungen über die Restaurierung der Straße platzten, weil sich die Armee weigerte, die entscheidenden Passagen von zivilen Bauuntemehmen reparieren zu lassen. Die hätten sicherlich Dinge aufgedeckt, die die Militärs verheimlichen wollen.

FRAGE: Die Regierungsinstanzen verweigern ihre logistische Unterstützung für die kommenden Repatriierungen . Wird es trotzdem möglich sein, die Leute heimzubringen?

MENCHU: Das ist eine große Herausforderung für die Zivilgesellschaft. Zu den ungefähr40.000 in den Lagern kommen noch rund 35.000 nicht gemeldete Flüchtlinge, die nach Angaben der Diözesen von Chiapas und Tapachula in Mexiko leben. Die meisten wollen von den Vereinten

Nationen anerkannt werden und zurückkehren. Wird es für sie noch schwieriger werden als für die ersten 2.500? Was wird aus den Menschen in den sogenannten Widerstandsdörfern, die in ihre ursprünglichen Gemeinden zurückkehren wollen? Alles wäre viel leichter, wenn ein Friedensvertrag unterzeichnet würde.

FRAGE: Wird es in diesem Jahr noch dazu kommen? Am 23. Februar wurde in Mexiko der Dialog zwischen Regierung und der Guerillafront URNG wieder aufgenommen.

MENCHU: Ich glaube, es wird ein langer Prozeß werden. Ein Jahr haben allein die Verhandlungen um die Bedingungen der Flüchtlingsrepatriierung in Anspruch genommen. Wenn die Leute nicht selbst die Initiative ergriffen hätten und losmarschiert wären, hätte es vielleicht noch länger gedauert. Dem Frieden darf man kein Ultimatum setzen, den einzelnen Etappen auf dem Weg dahin aber schon. Zum Beispiel wäre es wichtig, ein Abkommen über die Menschenrechte zu unterzeichnen. Über Menschenleben sollte nicht verhandelt werden. Deswegen beunruhigen mich die Äußerungen von Präsident Serra-no, der meint, die Menschenrechte können erst garantiert werden, wenn es Frieden gibt. Die internationale Beobachtung muß hier eine zentrale Rolle spielen und möglichst viele

Kräfte sollten mitmachen und Druck ausüben.

FRAGE: Welche ist Deine Rolle dabei?

MENCHU: Der Friedensnobelpreis hat Guatemala plötzlich ins Interesse der Weltöffentlichkeit gerückt. Nicht nur Guatemala, ganz Zentralamerika war weitgehend vergessen, und das hat Auswirkungen auf den Friedensprozeß in El Salvador und die Situation in Nikaragua.

FRAGE: Die Guerillafront URNG versucht in ihrer Antwort auf das Dialogangebot von Präsident Serra-no, Parallelen zum Friedensabkommen in El Salvador zu ziehen. Inwieweit ist es legitim, das salvadoriani-sche Modell als Vorbild zu nehmen?

MENCHU: Es gibt viele Ähnlichkeiten und Unterschiede. In Guatemala muß eine Lösung die Rechte der indianischen Bevölkerung einbeziehen. Die militarisierte Gesellschaft und die Zwangsrekrutierungen zum Militärdienst betreffen auch vor allem die Indigenas. Im Bereich der Menschenrechte liegen die Dinge ähnlich. Beide Regierungen haben Angst vor der internationalen Beobachtung. Das Landproblem betrifft El Salvador und Guatemala in ähnlicher Weise.

Als ich vor vier Jahren einen Zwischenstopp im Flughafen von San Salvador hatte, hätte ich nicht gedacht, daß dort der Friede so nahe war. Die Abkommen werden zwar nur schleppend erfüllt, aber ich glaube der Friede dort ist eine Realität. In Guatemala wurde ein .Jahr lang ein Abkommen über die Menschenrechte diskutiert. Schließlich waren die Regierung und die URNG bereit zu unterzeichnen, doch es ist noch immer nichts konkret geworden.

FRAGE: Ist es realistisch, wie in El Salvador die Reduzierung und Säuberung der Armee zu fordern?

MENCHU: Der Haushalt der Armee, die Finanzierung dieses Krieges verschlingt fast die Hälfte der Ressourcen des Landes. Auch viele Unternehmer haben erkannt, daß Guatemala zu einem der ärmsten Lander der Region würde, wenn der Krieg nicht bald beendet wird. Es ist also nicht übertrieben, eine Verminderung der Rüstungsausgaben zu fordern. Die Reduzierung der Truppen - und ich beziehe mich da auf die beider Streitparteien - muß das Ergebnis von Verhandlungen sein und an verbindliche Termine gebunden sein.

Mit der Friedesnobelpreisträgerin sprach Ralf Leonhard.

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