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Dem Haider eine Chance!

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Der Autor ist über die Wahl Jörg Haiders, dem Wandelbaren vom Neoliberalen zum Ultranationalen, zum FPÖ-Obmann unglücklich. Aber er soll seine Chance haben.

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Der Autor ist über die Wahl Jörg Haiders, dem Wandelbaren vom Neoliberalen zum Ultranationalen, zum FPÖ-Obmann unglücklich. Aber er soll seine Chance haben.

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Wer jahrelang gegen den falschen Nationalismus und für einen humanen Liberalismus gekämpft hat, ist über die Wahl Jörg Haiders zum FPÖ-Chef keineswegs glücklich. Aber seine Wahl ist demokratisch zustande gekommen. Sie kann auch auf dem nächsten Parteitag wieder korrigiert werden — wenn Haider zu weit abirrt oder die Nationalratswahl verliert.

Seine Wahl ist jedenfalls vorläufig zur Kenntnis zu nehmen.

Das dritte Lager soll weder ver-fehmt noch ausgelöscht werden, weil ein junger Heißsporn — bekannt geworden durch landesweit kritisierte, demagogische Eskapaden — zum Parteiobmann gewählt worden ist und einen maßvollen, gescheiten, aber wenig populären Vorgänger abgelöst hat. Haider ist ja deshalb gewählt worden, weil er ganz auf die — bisher so wenig gepflegte - politische Publizität ausgerichtet ist, weil er Stärke ausstrahlt und weil er das Gesetz des Handelns ungestüm an sich zu reißen pflegt, während seinem Vorgänger das Gesetz des Handelns (von seinen internen Rebellen und den äußeren Umständen) immer wieder aufgezwungen worden war. Also immerhin manches Positive mit dem bekannten Negativen gemischt.

Könnte nun nicht das Positive allmählich überwiegen, wenn er von einer besonderen, im allgemeinen Blickfeld stehenden, politischen Rolle gefordert wird?

Er hat es ja auch bisher verstanden, immer wieder mit einem neuen politischen Profil auf die Bühne zu treten: Zuerst präsentierte er sich als Neoliberaler (siehe seinen Artikel in der Zeitschrift „Berichte und Informationen“ vor zehn Jahren), dann im Parlament als Ultrasozialer und Privüegienbekämpfer und schließlich in Kärnten als Ultranationaler. Warum sollte es ihm nicht gelingen, sich nunmehr das vierte Profil, nämlich das des ruhigen Pragmatikers — vielleicht sogar mit einer gewissen staatsmännischen Note —, zu geben?

Er wird sich schon in diesen Tagen neu zu profilieren haben, wenn der Kampf um die Einheit der Partei zu bestehen ist und das Tauziehen um die Ausgangspositionen für die Nationalratswahl beginnt. Sein arrogantes Auftreten am Parteitag, mit dem trotzigunversöhnlichen Gesicht, das man auf dem Bildschirm vorgeführt bekam, dürfte aber nicht die richtige Note sein.

Man gebe ihm jedoch die Chance — wenn man diese neue Situation gelassen und auf demokratische Weise meistern will.

Zu wichtig ist die dritte Kraft für eine Demokratie europäischen Musters. Eine kleine liberale Partei als parlamentarisches Zünglein an der Waage kann sie gesund und lebendig erhalten:

Die schroffen Gegensätze zwischen der roten und der schwarzen Heilslehre sollen nicht ohne Puffer aufeinanderprallen. Eine dritte Kraft, die auf eine Politik der Vernunft und der ideologiefreien, praktischen Überlegungen ausgerichtet ist, kann ausgleichen, vermitteln und kleine Koalitionen möglich machen. In der Ersten Republik wäre ohne das dritte Lager überhaupt keine Regierungsbildung möglich gewesen. Und England hätte sich viele Erschütterungen - wie den ständigen Wechsel von Verstaatlichung und Entstaatüchung - ersparen können, wenn die starke Uberale Mitte parlamentarisch hätte mitspielen können.

Diese Ausgleichsfunktion werden die „Grünen“ nicht übernehmen können; denn sie sind selber die Unduldsamsten und bewegen sich in die Richtung eines radikalen Fundamentalismus.

Die FPÖ hätte auch noch eine andere Funktion zu erfüllen. Sie besitzt schon von altersher das Image einer Sauberkeits- und An-tiproporzpartei: Wenn sie das jetzt noch kräftig und überzeugend zur Geltung brächte und damit Stimmengewinne erzielte, könnte sie auch eine Selbstbesinnung und Einkehr der Großparteien herbeiführen; denn nichts überzeugt so stark wie ein Wahlerfolg des politischen Gegners!

Die ÖVP sollte im übrigen auch einsehen, daß ihre Gründungsidee, alle Bürgerlichen, die christlich-konservativen genauso wie die Freisinnigen, in einer einzigen Partei zu sammeln, in Österreich nicht verwirklicht werden kann. Wenn die Alternative nur auf „schwarz oder rot“ steht dann gewinnt rot. Das haben alle Bundespräsidenten-Wahlen vor Kurt Waldheim bewiesen.

Im Augenblick ist jedenfalls nichts anderes da, als die von Haider geführte FPÖ.

Versagt er, kann immer noch eine neue Partei gegründet werden, — auch nach der jetzigen Nationalratswahl.

Die großen Aufgaben der „Liberalen Mitte“ wird die derzeitige FPÖ nur dann erfüllen, wenn sich Haider als ernstzunehmender und verläßlicher politischer Faktor darstellen kann. Dazu müßte er allerdings auch

• seine Anhängerschaft vom aufgeputschten Fanatismus des Innsbrucker Parteitags zu einer ruhigeren, „liberalen Meinungsvielfalt“ hinüberführen,

• den besiegten und beinahe schon verscheuchten liberalen Flügel der FPÖ äußerlich sichtbar und innerlich echt zurückgewinnen,

• in der Bundespolitik konstruktive, auf gemeinverständliche Parolen hin konzentrierte Initiativen vorbringen und

• schließlich nicht nur „bühnenwirksame“ augenblicksbezogene Aktionen starten, sondern die anderen Politiker und die Medien zum „Langzeitdenken“ zwingen. Denn die wichtigen „Konzepte auf lange Sicht“ zu vertreten, ist schon lange eine Marktlücke in der österreichischen Innenpolitik.

Der Autor war Mitbegründer des „Verbandes der Unabhängigen“, ist Präsident des „Liberalen Klubs“ und Herausgeber der „Berichte und Informationen“.

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