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Dem Leben einen Sinn geben

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Kardinal König überreichte am 3. Dezember Univ.-Prof. Dr. Viktor E. Frankl den Kardinal-Innitzer-Preis 1977. Univ.-Prof. Hans Asperger hielt die Laudatio. Er führte aus:

Frankls Studienjahre fielen in eine Zeit, in der sich gerade in Wien eine Revolution der Psychatrie vollzog, die wieder einmal für die ganze Welt neue Modelle schuf. Wagner-Jauregg zeigte, daß Psychosen mit medizinischen, in das organische Geschehen eingreifenden Mitteln behandelbar seien. Noch bedeutsamer aber war der Aufbruch auf dem Feld der „nichtorganischen“ Störungen, der Neurosen: die Ätiologie und, in engem Zusammenhang damit, die Behandlung der Neurosen wurde von der Tiefenpsychologie in ein ganz neues Licht gerückt, ein Licht so blendend, daß die Psychologie, die Soziologie, die Ethnologie, aber auch die Pädagogik und die Religionswissenschaften zutiefst davon beeinflußt wurden. Auf Wiener Boden spielte sich der Aufbau des Gedankensystems der Psychoanalyse Sigmund Freuds, das Aufkommen der Individualpsychologie Alfred Adlers, schließlich auch, wenn auch über Entfernungen, die Auseinandersetzung mit C. G. Jung ab.

Ein so wacher Geist wie Viktor Frankl mußte in diese geistigen Auseinandersetzungen intensiv hineingezogen werden, mußte daran Anteil nehmen. Früh schon war er literarisch tätig, zunächst sanktioniert von den Meistern, bald aber kritisch betrachtet von ihnen, weil er zu eigenständig war, schließlich seine eigenen Wege gehend.

Die Erweiterung der Kenntnis des seelischen Bereichs gegen das Unbewußte hin, zuerst durch Sigmund Freud, war eine Tat, die das Weltbild seiner Zeit veränderte. Wenn aber Freud mit Bewußtsein und Willen dabei „den Acheron in Aufruhr versetzen“ wollte, so lag darin eine große Gefahr. Dieser sind vor allem die weniger begabten Schüler des Meisters erlegen: daß man sich festfährt in einer stereotypen Deuterei festgelegter Sexualsymbole, einer monomanen Auffindung frühkindlicher sexueller Erlebnisse - und daß daraus in der psychotherapeutischen Praxis doch ein Manipulieren des an seiner Neurose leidenden Menschen wird.

Es erscheint folgerichtig, daß ein Mann von solcher geistiger Sensibilität und solcher Eigenständigkeit des Denkens wie Frankl bald das Ungenügende, in die Irre Führende dieser Systeme spürte und sich distanzierte - nicht in steriler Negation, sondern durch den Aufbau eines Eigenen, das nunmehr in großen Teilen der Welt als „Dritte Wiener tiefenpsychologische Schule“ gilt.

Daß Viktor Frankl diesen Weg fand, hängt zweifellos mit seinen ganz ungewöhnlichen Erlebnissen zusammen. Sehr wahrscheinlich hätte er 1938 einen Weg finden können, ins Ausland zu entkommen. Es mag für ihn selber schwer sein, das Gefüge der Motivation ganz klarzulegen. Das Gefühl, Menschen gegenüber verpflichtet zu sein, spielte dabei eine wesentliche Rolle. Eine Zeit konnte er als Leiter der Neurologischen Station des Rothschildspitals Leben seiner Volksgenossen retten, geschützt von dem dam

Vorstand der Neurologisch- Psychiatrischen Universitätsklinik, Otto Pötzl. Aber auch das versagte, als die allgemeine Brutalität und die Loslösung von allen menschlichen und göttlichen Gesetzen die Dämme überspülte.

Frankl kommt ins KZ, verbringt dort drei Jahre, beide Eltern, ein Onkel, die erste Frau gehörten zu den Millionen Opfern. Aber gerade in dieser Extremsituation erfolgte der entscheidende Durchbruch: „Die eigentlich menschlichen Ur- vermögen der Selbsttranszendenz und Selbstdistanzierung wurden im Konzentrationslager existentiell verifiziert und validiert“; der „Wille zum Sinn“, jetzt im Mittelpunkt von Frankls Philosophie und auch das zentrale therapeutische Anlegen, und der „survival value“, die beiden sind eins. Was aber in solch tödlicher Bedrohung gereift ist, das durfte, das mußte sich nach der Befreiung in der therapeutischen Praxis bewähren.

Es wird zur wahrhaft heilsamen Therapie, daß der helfende Arzt dazu hilft, daß der Patient den Sinn seines Lebens, seines Leidens findet. Viktor Frankls Buch „Die Suche nach dem Sinn“, wii;d zuerst in den USA, dann in aller Welt zum Bestseller. Die Menschen fühlen sich dadurch angesprochen, daß der Therapeut sie als Erkennende und Handelnde nimmt, nicht nur als ein Schlachtfeld, auf dem sich Unbewußtes begibt - und darin scheint ein wesentlicher Fortschritt einer tiefenpsychologischen Therapie begründet zu sein.

Von diesem therapeutischen Ansatz greift Frankl weit aus: er versucht, Menschen ganz allgemein zur Sinnfrage zu fuhren, nicht nur die neurotischen Kranken. Er wird zum Kritiker der Verirrungen der Zeit, etwa der modernen Sexwelle, die ja eine erschreckende Verengung des Menschenbildes bedeutet „wo Sexualität nicht-mehr Ausdruck von Liebe ist, vielmehr zu einem Mittel zum Zweck bloßen Lustgewinns geworden ist, da scheitert auch schon der Lustgewinn. Je mehr es dem Menschen um Lust geht, umso mehr vergeht sie ihm schon“ - Impotenz und Frigidität seien die Folge. Es kommt immer auf das Gleiche heraus: man müsse den Menschen „hoch ansetzen“, will man ihm gerecht werden, ihm helfen.

Frankl steht das Wort in ungewöhnlicher Weise zur Verfügung,

. das geschriebene wie das gesprochene - von klassischer Büdung durchtränkt und neue, schöpferische Gedanken aussprechend, bildhaft und hoch abstrakt, voll Ironie, weil der Schwäche des Menschen bewußt, aber auch immer sich selbt ironisierend (und gerade dadurch der ihm selber sehr wohl bewußten Gefahr begegnend, zynisch zu werden), auch sehr wachen Geistes der Begrenztheit des eigenen Denkens bewußt, wissend, daß dem Menschen nur relative Wahrheiten offenstehen, wissend, aber auch, daß gerade in der Einseitigkeit, die schöpferischen Menschen eigen ist, eine Chance liegt: der Wahrheit doch ein Stück näherzukommen.

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