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Dem Reich unterstellt

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Nordwestungarn war seit 1526, das ganze historische Landesgebiet seit Ende des 17. Jahrhundertsein Bestandteil der österreichischen Habsburgermonarchie.

Dem Staat Ungarn wurde im Habsburgerreich eine von den machtpolitischen Veränderungen bedingte, mehr oder weniger ausgeprägte Sonderstellung zuteil: die Bindung mit den österreichischen und böhmischen Ländern brachte verschiedene Vor- und Nachteile mit sich.

Der Bereich Wirtschaft gehörte -laut der ungarischen historiographi-schen Tradition - zu jenen Gebieten, wo die nachteiligen Momente überwiegend waren. Die wirtschaftlich gebildeten ungarischen Zeitgenossen Josephs II. beschwerten sich in verständlicher und verzeihlicher Voreingenommenheit über die koloniale Lage Ungarns in der Gesamtmonarchie.

Die Wirtschaftsentwicklung Ungarns im 18. Jh. wurde an verschiedenen Idealen gemessen: die österreichischen Historiker sahen den Werdegang einer Gesamtmonarchie vor ihren Augen, ihre ungarischen Kollegen hingegen das Wunschbild eines ungarischen Nationalstaates. Die Wirtschaftspolitiker Maria Theresias und Josephs II. betrachteten die verschiedenen Länder der Dynastie als Bausteine einer zukünftigen, autarken Wirtschaftseinheit, förderten gewisse Wirtschaftszweige und hemmten die Entwicklung anderer laut den vermeintlichen Interessen der erwünschten Gesamtmonarchie. £

Unter diesem Gesichtspunkt wurden in Ungarn Agrarwirtschaft und Bergwesen bevorzugt, Textilmanufakturen aber vernachlässigt, wenn nicht unter-. drückt. Die historische Rechtfertigung dieser so logischen Politik war von der Zukunft zu hoffen. Die Entwicklung des 19. Jahrhunderts ging aber andere Wege, es kamen weder die Wirtschaftseinheit, noch die Gesamtmonarchie, sondern die nationalen Kleinstaaten des 20. Jahrhunderts: die Unterschiede im Entwicklungsgrad der einzelnen Länder überlebten das Habsburgerreich.

Joseph IL, der markanteste Förderer einer österreichischen Gesamtmonarchie, wollte andere Wege gehen. Er wollte die traditionelle Sonderstellung Ungarns völlig aufheben und da war keine Berechtigung mehr für jeweilige Diskriminierungen. Der ungarische Adel sollte seine althergebrachte Steuerfreiheit einbüßen, Ungarn aber als Gegenleistung die wirtschaftliche Gleichstellung mit den österreichischen und böhmischen Ländern erhalten. Dieser großzügige Vorschlag des Kaisers an seinen ungarischen Kanzler ging aber an die falsche Adresse: der ungarische Adel war politisch und auch wirtschaftlich nicht an der bürgerlichen Kommerzialfreiheit, sondern an Aufrechterhaltung seiner feudalen Freiheiten, seiner ständischen Privilegien interessiert. So blieb, trotz guten Willens, alles beim alten. Die Zollgrenze zwischen Österreich-Böhmen und Ungarn wurde aufrechterhalten, der Zolltarif nahm keine Rücksicht auf die ungarischen Interessen, und die josephini-sche Wirtschaftspolitik förderte nicht -doch hemmte auch nicht - die ungarischen Manufakturen.

Unter diesen Umständen ist es überraschend, daß Josephs II. Regierungszeit in Ungarn (1780-1790) doch durch eine lebhafte wirtschaftliche Entwicklung gekennzeichnet wird. Die Förderung des Bergwesens in Ungarn war eine schon jahrhundertealte Politik der Wiener Hofstellen. Die Modernisierung mehrerer ungarischer Eisenwerke könnte ihre Erklärung auch darin finden, daß sie staatliche Unternehmungen waren. Das Aus-dem-Boden-Schießen neugegründeter kleinbürgerlicher Manufakturen in den Jahren 1785 bis 1789 und ihr jäher Abbruch infolge der großen europäischen Wirtschaftskrise, die das Habsburgerreich 1789/90 erreichte, belehren aber den Historiker, daß die gestaltenden Wirtschaftskräfte mächtiger wirken, als auch die bestdurchdachte Wirtschaftspolitik. Und die Wirtschaftspraxis der, josephini-schen Regierung war nicht einmal zu sehr durchdacht: Verordnungen, die den ungarischen Markt den österreichischen und böhmischen Manufakturen sichern sollten, kamen - ungewollt -auch den ungarischen Manufakturisten zugute. '

Erfolg bedeutet dem Wirtschaftspolitiker, daß er fähig ist, die Haupttendenzen zu erkennen und sich ihnen, die Entwicklung fördernd, anzupassen. Joseph II. starb in der Erkenntnis, daß seine Ungarn betreffenden Pläne zusammenbrachen. Der Historiker einer späteren Zeit meint jedoch, daß der Kaiser mehr von den Haupttendenzen, auch den wirtschaftlichen, seiner Zeit erkannte, als seine meisten Gegner. Die Fähigkeit, sich anzupassen, war ihm nicht gegeben.

Der Autor ist in Budapest geboren und arbeitet am Institut für Geschichte der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, sein spezifischer Forschungsbereich ist die ungarische Geschichte vor 1800.

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