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Dem Schönen verpflichtet

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Felix Braun war bescheiden und stolz, behutsam und unbeugsam, spontan und zeremoniös, ich-versponnen und in unaufhörlich zentrifugaler Bewegung, eifersüchtig, in der eigenen Sphäre einzig zu sein und zugleich ebenso gefühlvoll wie aufopfernd hingegeben allen familiären und gesellschaftlichen Verpflichtungen.

Bescheiden erwies er sich, was sein eigenes Werk anlangte, dem er die Dichtungen seiner Schwester Käthe Braun-Prager vorzog, ganz zu schweigen von Max Meli, den er unter allen seinen Zeitgenossen als unvergleichbar empfand. Bei solcher Gewissenhaftigkeit erwuchs sein Stolz aus dem Bewußtsein, im Auftrag einer Tradition zu sprechen, deren Formen-, Ausdrucks- und Inhaltsreichtum er über Jahrtausende hinweg wie nur wenige über- und durchschaute.

Behutsam erwies er sich gegenüber allem Neuen, bei dem zu vermuten war, daß es dieses Erbe mehren oder für die Gegenwart nutzbar machen könnte. Unbeugsam jedoch kämpfte er für jene Schönheit, die als ästhetische Offenbarung von der Schöpfungsordnung kündet.

Für Felix Braun stand die Verantwortung des Künstlers im Zentrum seines Denkens und Schaffens. Am 4. November 1885 geboren, als Bruder zweier hochbegabter Geschwister, Käthe Braun-Prager und Robert Braun, in bürgerlichen Verhältnissen, aber am Rand des finanziellen Zusammenbruchs in Wien groß geworden, lernte er sehr früh jene Verantwortung kennen, welche in einem proportionalen Verhältnis zur Freiheit erst den Bestand von Gemeinschaften und somit den organischen Reifungsprozeß von Individuen garantiert. Spontan und zeremoniös sehen wir ihn vor uns, den hochgewachsenen Herrn, zumeist im dunkelblauen Anzug. Trotz seiner beträchtlichen Körpergröße hielt er sich bis zuletzt, ungebeugt von der Last seiner 88 Lebensjahre, sehr aufrecht, nur der Kopf war leicht zur Seite geneigt, eine Gebärde des Lauschens und jener Neigung, die er jedem Mitstreiter kollegial gewährte.

Vor seiner durchformten Persönlichkeit mußte alles Groß-und Absprecherische, jegliche kecke Herausforderung verstummen. Unstatthaft erschien ihm die Ironie, sofern sie nur beabsichtigt, wunde Stellen wie mit Essig zu verätzen oder einen intellektuellen Juckreiz auszulösen: „O ja, schreiben Sie ironisch, aber so, daß man es so wenig merkt wie im Alten Testament“, ermahnte er mich.

Was ihm als Ziel vorschwebte, war die Unmittelbarkeit eines kultivierten und geläuterten Charakters, der sich jederzeit darauf verlassen kann, daß jene Kräfte, die ihn ergreifen und mitreißen, niemals dämonische Tarnungen seines Egoismus, sondern der Geist selber sind.

Wenn der alternde Braun in seiner Selbstbiographie den jungen Studiosus der Kunstgeschichte ob seines sanguinischen Temperaments beklagt, so erheischt es die Gerechtigkeit, daß die Nachwelt feststellt, welch bedeutsamen Weg der Läuterung Felix Braun selber durchmessen hat, sind doch „Läuterung“ und „Verwandlung“ Generalthemen seines Lebenswerkes: 36 Dramen, vier mehrfach umgearbeitete Romane. Viele Essays: gleich dem Arbeitsvorgang bei vollendeten Ölgemälden wird sorgfältig Farblasur um Farblasur übereinandergeschichtet, bis jener Nuancenreichtum zustande kommt, der uns fasziniert. Damit ist aber auch schon gesagt, wie beladen dieses Leben gewesen ist, beladen von Arbeitsglück und Entsagungsmühsal. Als ein Meister der „zweiten Form“ liebte er die Meister der Urformen und der Urerfahrungen. Denn unabhängig vom jeweiligen Zustand und Umfang der Wissenschaft liegt in der Mitte, gleich weit von allem peripheren Wissen entfernt, das „Urwissen“: „Einst aber wußten alle drum, / Nun zuckt im Kreis ein Traum herum.“ (Hugo von Hofmannsthal). Während die Umfangbewegung der jeweüigen Empirie zeitabhängig ist, gehört diese Mitte, nach der Felix Braun strebt, der synchronen Welt an, der Gleichzeitigkeit aller Zeiten. Seiner Ansicht nach sind wir einem Gesetz unterworfen, einer für uns Undurchschaubaren Gerechtigkeit. „Darin liegt das Drama, das zwischen Gott und Welt anhält. Ob du nun glaubst oder zweifelst: das Drama bleibt das gleiche.“

Halten wir uns aber doch zuletzt daran, wie ihn Hof mannsthal charakterisiert hat. Als der junge Felix Braun versuchte, Hofmannsthals Mangel an persönlich erlebten Ich, maskiert durch Rollengedichte, fühlbar und begreiflich zu machen, antwortete der solchermaßen in seiner verborgensten, Problematik betroffene Dichter: Braun habe „eine Eigenschaft, welche unendlich selten ist: Tact.“

Seit 1908, da dieser Brief geschrieben worden ist, wurde viel getrommelt und reglementiert, die Taktsicherheit ist dabei nur noch schlechter geworden. Nichts wäre uns heute also nötiger als Felix Brauns Prosa mit ihrem vorbildlichen „Tact“.

Gleich Pisas Turm, hochaufgerichtet und dennoch schräge, so schwankte er, ein Fall, der nicht fällt, vom Karl-Marx-Hof, dem Heiligenstadt seiner Nachkriegsbleibe, hinüber in die Kirche, und seine Stimme mischte sich in die Litanei der betenden Arbeiterfrauen.

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