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Dem Terror keine Chance

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Schon einen Tag nach dem Terroranschlag von Köln war auf einer Sitzbank in der Heidelberger Altstadt die erste Sympathie-Schmiererei zu lesen: „Warum die Freude ver-Schleyer-n?“ Infame Freude über vier unschuldige Mordopfer und einen entführten, als Symbol des verhaßten „kapitalistischen Ausbeuterstaates“ geltenden Arbeitgeberpräsidenten. Man ist fassungslos angesichts des Spektrums von Gewalt und Terror, das sich entgegen allen Beschönigungen offenbar ungehindert behaupten kann.

Die Entführung von Hans Martin Schleyer ist der bisher letzte und gleichzeitig grausamste Anschlag jener fälschlich als , Anarchistenszene“ apostrophierten Terrorbande gegen den Rechtsstaat, deren zahlreiche Verästelungen alle den gleichen, bei Baader und Meinhofbeginnenden Ursprung haben. Mit der für die Terroristen erfolgreichen Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz vor zwei Jahren begann die Serie der spektakulären Anschläge. Damals war der Staat ratlos, weil er zum erstenmal an einem empfindlichen Nerv getroffen worden war. Konnte man das Risiko der Ermordung eines Menschen eingehen, nur um ein paar inhaftierte Terroristen nicht freilassen zu müssen? Durfte auf der anderen Seite der Staat soviel Schwäche zeigen und damit zu weiteren Anschlägen ermuntern?

Bundesinnenminister Maihöfer erklärte seinerzeit, das beschädigte Ansehen des Staates könne man reparieren, den Tod eines Menschen nicht. Trotzdem blieb bei aller Erleichterung über die Rettung von Peter Lorenz das ungute Gefühl zurück, mit dem Nach geben gegenüber den Forderungen der Terroristen einen Präzedenzfall geschaffen zu haben. Die Sorge war berechtigt, denn schon beim Überfall auf die Deutsche Botschaft in Stockholm sollte das „Erfolgsrezept“ erneut angewendet werden. Diesmal aber blieb Bonn hart. Die Ermordung von Generalbundesanwalt Buback war als solche geplant. Bei Jürgen Ponto hingegen, dem Vorstandssprecher der

Dresdner Bank, sollte mittels einer Entführung der Staat wieder erpreßt werden. Ponto wehrte sich - und wurde ermordet Mit Hans Martin Schleyer versucht man es nun erneut- und wieder stehen die Verantwortlichen vor der furchtbaren Alternative, nachzugeben oder hart zu bleiben, mit allen Konsequenzen.

Bei jeder Entscheidung wird aber die bange Frage übrigbleiben, wie man dieser mit lähmendem Entsetzen verfolgten Erscheinung des politisch-ideologisch motivierten Terrors entgegenwirken kann. Daß es keinen Schutz vor einem mit Kamikaze-Mentalität ausgeführten brutalen Anschlag gibt, ist eine traurige, aber nicht hin- wegzuleugnende Tatsache. Allenfalls Diktaturen und totalitäre Systeme vermögen auf diese Herausforderung mit der ihnen eigenen eiskalten Brutalität eine Antwort zu geben, die jedoch für einen demokratischen Rechtsstaat indiskutabel ist. Diese systemimmanente „Schwäche“ ist für Terroristen das verlockende, sie ihrer Sache so sicher machende Stimulans. Ein Rechtsstaat wie die Bundesrepublik - so ihre zynische Kalkulation - ist viel zu anständig, um ihnen mit gleicher Münze heimzahlen zu können.

Aus den bisherigen Erfahrungen mit den in Stammheim und anderswo inhaftierten Terroristen weiß man aber inzwischen auch, daß deren mörderische Gesinnung nicht aus eigener Kraft aufrechterhalten werden kann. Sie brauchen nicht nur ständig den der ideologischen Aufrichtung und Bestärkung dienenden Kontakt zu ihren Genossen, sie benötigen vor allem das, was seit der Ermordung Bubacks als „Sympathisantenszene“ in Erscheinung tritt. Dieses ihre kranke Phantasie begünstigende geistige Umfeld ist der Dünger für den Nährboden, aus dem dann die gewalttätigen Exzesse schießen.

Jener anonyme Göttinger Student, der unter dem Pseudonym „Mescalero“ mit Duldung des allgemeinen Studentenausschusses (asta) der dortigen Universität seinen infamen „Bu- back-Nach-Ruf ‘ publizierte, hat diese entscheidende Dimension bewußt- gemacht. Seine „klammheimliche Freude“ über den „Abschuß“ dieses „Typs“ und sein Bedauern, diese „Visage“ nicht mehr in dem „kleinen schwarz-roten Verbrecheralbum“ präsentieren zu können, das „nach dem Sieg der Revolution“ angelegt würde, setzte sich wie eine Wellenbewegung fort und brachte 180 Hochschullehrer dazu, das Pamphlet mit distanzierter Sympathie weiter zu verbreiten. Damit wurden alle die Lügen gestraft, die die Austrocknung dieses ideologischen Sumpfes nach der Inhaftierung des harten Kerns der Baa- . der-Meinhof-Bande als vollzogen gemeldet hatten.

Bis hinauf in höchste Regierungsetagen hörte man immer wieder das verfehlte Argument, nicht Repression und Maßregelung, sondern kritische Auseinandersetzung mit solcher Haltung und Gesinnung könne allein Abhilfe schaffen. Subsumiert wurde alles unter das Grundrecht der Meinungsfreiheit, auch wenn es sich um einen offenen Aufruf zur Gewalt handelte. Bei aller Toleranz vergaß man aber völlig, daß eine Demokratie nicht unbegrenzt belastbar ist, sondern nach dem Selbstverständnis des Grundgesetzes eine wehrhafte zu sein hat, will sie sich nicht selbst das Grab schaufeln.

Unbewußte, aber verhängnisvolle Unterstützung haben hier lange die t extremen linken Gruppierungen von SPD und FDP geleistet. Als der Staat : endlich mit denen den Kampf aufnehmen wollte, die ihn mit einem

• „Marsch durch die Institutionen“ aus- . zuhöhlen trachteten, liefen auch

• Jungsozialisten und Jungdemokraten

• dagegen Sturm, weil sie wie viele andere gefährliches Parasitentum mit , kritischer Emanzipation verwechselten. Mit unreflektierten Schlagworten wie „Berufsverbote“, „fortschrittli-

• ehe“ und „kritische Demokraten“, „Mundtotmachen unbequemer. Denker“, „faschistoider Staat“ etc. halfen : sie in falscher Solidarität denen das

Wasser zu tragen, die diesen Staat mit , allen Mitteln, auch der Gewalt, beseitigen wollen.

Der Gleichklang in der Diktion pro- voziert den Gleichklang in der Gesin- nung-eine Erfahrung, die der Weimarer Republik den Garaus machte. Auch damals wurde von politischen . Desperados und ideologisch und moralisch Entgleisten zuerst sprachlich die Humanität niedergerissen und

• dann die Parolen praktiziert, den Staat lächerlich zu machen, ihn ad absur- dum zu führen, ein Klimader Unsicherheit und des Hasses zu schaffen -

das ist und war das Ziel der Terroristen. Und dazu leisten alle die ihren traurigen Beitrag, die, sei es als Dichter, Publizisten, Professoren oder Politiker, den Staat als Mördergrube und faschistisches Gebilde verunglimpfen, wohl wissend, daß es ihnen nirgends sonst so gut gehen dürfte.

Auch nach dem Schleyer-Attentat gibt es immer hoch Verblendete, die, wie ein westfälischer Bezirk der Jungsozialisten, mit frappierender Instinktlosigkeit nichts anderes sehen als den Abmarsch der Bundesrepublik in einen Polizeistaat. Doch scheint der Terroranschlag von Köln vielen die Augen geöffnet zu haben, die bisher dazu neigten, alles als gar nicht so schlimm einzuschätzen. Die in Bonn lange vorherrschende Meinung, die vorhandenen rechtsstaatlichen Mittel reichten zum Kampf gegen den Terrorismus aus, ist nun der Erkenntnis gewichen, daß es ohne Deliberalisierung in manchen Bereichen nicht geht. Vor allem aber scheint die Bereitschaft zu wachsen, der „Sympathisantenszene" energisch zu Leibe zu rücken. Gegen den brutalen Terror, wie er sich in Köln zum wiederholten Mal gezeigt hat, gibt es keine Patentrezepte. Aber die wachsende „Kopf-ab“-Stimmung in der Bevölkerung sollte von den verantwortlichen Politikern ernst genug genommen werden, sich endlich in überzeugender Entschlossenheit zu diesem Staat Bundesrepublik zu bekennen und alles Notwendige zu seinem und der Bürger Schutz zu tun - auch um den Preis einiger liberalisti- scher Illusionen.

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