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Demokratie als uralte Tradition

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Am 17. April wählen die Tiroler ihren neuen Landtag. Die demokratische Tradition des Landes ist schon uralt. Alt sind aber ebenso stark autoritäre Tendenzen in Tirol.

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Am 17. April wählen die Tiroler ihren neuen Landtag. Die demokratische Tradition des Landes ist schon uralt. Alt sind aber ebenso stark autoritäre Tendenzen in Tirol.

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Die Tiroler sind stolz auf ihre uralte demokratische Tradition. Mit Recht. Auch wenn man den Begriff Demokratie, wie wir ihn heute verstehen und verwenden, nicht ohne weiteres auf frühere Zeiten übertragen darf.

Daß es dazu kommen konnte, hängt mit dem Streit der damaligen europäischen Großmächte um Tirol zusammen und mit dem bereits bekannten und erprobten Freiheitssin der Tiroler. Da sich mehrmals gezeigt hatte, daß die Herrschaft über dieses wichtige

Paßland nur mit Unterstützung der Bevölkerung zu behaupten war, mußten sich die einzelnen Parteien — die Luxemburger, die Wittelsbacher und die Habsburger — des Wohlwollens und der Hilfe maßgeblicher Tiroler versichern.

Dies geschah durch die Zuer-kennung besonderer Rechte und Privilegien. Dazu gehört der „Große Freiheitsbrief" von 1342, den die Wittelsbacher am Beginn ihrer rund zwei Jahrzehnte dauernden Herrschaft über Tirol ausstellten und der allen, auch den sogenannten unteren Ständen bedeutende Rechte zusicherte — die freilich nie wirklich eingehalten wurden. Trotzdem gilt diese Urkunde als das Fundament der vielgerühmten Tiroler Freiheit und Demokratie.

Im Jahr J363 schlössen sich die Tiroler Österreich an, besser gesagt dem Herrschaftskomplex der habsburgischen Herzöge, die ihre Länder wiederholt aufteilten, wodurch Tirol zu Beginn des 15. Jahrhunderts einen eigenen Landesfürsten erhielt. Es war Herzog Friedrich IV., in Tirol bekannter als „Friedl mit der leeren Tasche", der mehrmals innen- und außenpolitische Krisen zu überstehen hatte und seine Regierung nur dank der Unterstützung durch die unteren Stände behaupten konnte. Dieses Bündnis zwischen dem Herrscher und seinen Untertanen in Stadt und Land hat beiden genützt.

Für die in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts immer häufiger werdenden Versammlungen der Landstände entwickelten sich allmählich feste Formen. Die Tradition des Tiroler Landtags, der die Fürsten beriet, Forderungen stellte, Steuern bewilligte und andere Rechte ausübte, nahm ihren Anfang.

Die Kompetenzen der Landschaft waren natürlich sehr von den Zeitumständen abhängig. Nicht immer kümmerte sich der Landesfürst um die altverbrieften Rechte.

Zu einer ernsten Krise kam es nach dem Tod Kaiser Maximilians im Jahr 1519, als auch wirtschaftliche Schwierigkeiten die Bevölkerung drückten. Da die landesfürstliche Regierung nicht handelte und die Mißstände in Verwaltung, Gerichtswesen und anderen Bereichen nicht abstellte, machte sich der allgemeine Unmut in einem Bauernaufstand Luft, in dessen Verlauf von Michael Gaismair, dem zu den Rebellen übergetretenen Sekretär des Brixner Bischofs, aber auch von einem Landtag der Bürger und Bauern in Meran ein umfassendes Reformprogramm entwik-kelt wurde.

Unter dem Druck des bewaffneten Widerstandes berief der Landesfürst im Juni 1525 einen Landtag nach Innsbruck ein, der tatsächlich eine neue Landesordnung ausarbeitete, die vielen Wünschen Rechnung trug, aber nicht allen. Gaismair wurde als tatkräftigster Führer der Opposition verhaftet, konnte aber fliehen und entwarf im Exil ein Staats- und Gesellschaftsmodell für eine Tiroler Bauernrepublik auf der Grundlage des Evangeliums. Es fehlten ihm jedoch die Machtmittel, seine radikal-demokratischen und sozialen Ideen durchzusetzen. 1532 wurde Gaismair in Padua von Kopfgeldjä-gern ermordet.

Die folgenden Jahrhunderte sind gekennzeichnet durch die allmähliche Zurückdrängung der ständischen Befugnisse, was auch mit dem zunehmenden Zentralismus in Österreich zusammenhängt. Seit 1665 hatte Tirol keinen eigenen Landesfürsten mehr und wurde von Wien aus regiert.

Obwohl den Tirolern im 18. Jahrhundert von ihrer demokratischen Verfassung nicht viel mehr übrig blieb als einige symbolische Einrichtungen, bedeutete ihre gänzliche Abschaffung nach dem von Napoleon erzwungenen Anschluß an Bayern (1805) eine schwere Brüskierung, die letztlich mit ein Hauptgrund für den Volksaufstand von 1809 war. Dabei zeigte es sich, wie wichtig und tief verwurzelt das demokratische Bewußtsein im Tiroler Volk war. Es gab genügend Männer, die bereit und gewohnt waren, Verantwortung auf sich zu nehmen und für die Allgemeinheit Opfer zu bringen.

Nach der Niederwerfung Napoleons wurde vom Kaiser und von der Wiener Regierung der Einsatz der Tiroler allerdings schlecht gelohnt. Von einer Wiedereinführung der alten Verfassung war keine Rede. Erst der Sieg des Liberalismus und Konstitutionalismus im österreichischen Kaiserstaat (1860/61) brachte auch der Tiroler Volksvertretung wieder mehr Kompetenzen. Doch das Wahlrecht war ziemlich eingeschränkt und die Verteilung der Sitze im Landtag auf die einzelnen Stände und Bevölkerungsgruppen äußerst ungerecht. Die Bedeutung einer Stimme hing von der Steuerleistung und der Zugehörigkeit zu einer Kurie ab.

Zwar gab es laufend Verbesserungen im Wahlsystem, doch galt die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts im Jahr 1907 nur für den Reichsrat in Wien, nicht aber für den Tiroler Landtag in Innsbruck, wo man sich über zeitgemäße Neuerungen nicht einigen konnte.

So hinkte Tirol trotz seiner uralten demokratischen Tradition um 1900 gerade in diesem Bereich hinter der gesamtösterreichischen Entwicklung nach. Nicht jeder Tiroler hört dies gerne. Dennoch sollte man es genauso wenig verschweigen, wie die Tatsache, daß es neben einer weitverbreiteten demokratischen Grundhaltung gerade in Tirol auch immer sehr starke autoritäre Tendenzen gab und daß Toleranz nie eine besonders ausgeprägte Eigenschaft der Tiroler war. Doch Geschichte ist ja dazu da, aus ihr zu lernen...

Der Autor ist Publizist und Verlagsinhaber in Tirol.

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