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Demokratie: Ende der Geschichte

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Wer, wie der amerikanische Sozialphilosoph Francis Fukuyama, ein Buch mit dem gewaltigen Titel „Das Ende der Geschichte" schreibt, setzt sich sehr leicht dem Spott der Zyniker aus. Ohne in das Buch hineingeschaut zu haben, ließe sich der schnelle Einwand erheben, mit dem Zerfall der UdSSR und dem Untergang des kommunistischen Totalitarismus in Osteuropa, dem „Sieg" der liberalen Demokratie und des Kapitalismus amerikanischen Zuschnitts sei die Geschichte noch lange nicht erfüllt, geschweige denn zum Stillstand gekommen.

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Wer, wie der amerikanische Sozialphilosoph Francis Fukuyama, ein Buch mit dem gewaltigen Titel „Das Ende der Geschichte" schreibt, setzt sich sehr leicht dem Spott der Zyniker aus. Ohne in das Buch hineingeschaut zu haben, ließe sich der schnelle Einwand erheben, mit dem Zerfall der UdSSR und dem Untergang des kommunistischen Totalitarismus in Osteuropa, dem „Sieg" der liberalen Demokratie und des Kapitalismus amerikanischen Zuschnitts sei die Geschichte noch lange nicht erfüllt, geschweige denn zum Stillstand gekommen.

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Fukuyama geht es in seinem heuen Buch, das auf einen 1989 weltweit großes Aufsehen erregenden gleichnamigen Aufsatz zurückgeht, nicht um partikulare Ereignisse einer politischen Geschichte - sondern um den philosophischen Duktus, das große Ziel und Anliegen einer „universalen Weltgeschichte" im Sinne von Immanuel Kant oder G. W. F. Hegel. Fukuyama will die philosophischen Bedingungen einer geglückten Geschichte in Erinnerung rufen, oder besser, die Voraussetzungen ergründen, wie möglichst alle Menschen ein befriedigendes Leben innerhalb einer politischen Ordnung führen können.

In Zeiten des ausgenüchterten Umgangs mit den theoretischen Grundlagen unseres politischen Systems, in denen die meisten demokratischen Politiker (und Journalisten) niemals etwas von Hobbes, Locke, Rousseau, geschweige denn Kant und Hegel oder den theoretischen Überlegungen hinter den Menschenrechten gehört haben, stellt Fukuyama in Übereinstimmung mit der Tradition der politischen Aufklärung die provokante Frage, ob denn die Menschheitsgeschichte überhaupt ein Ziel und damit einen Sinn haben kann. Hier beschwört einer die gültige Leistung der politischen Aufklärung, der Prinzipien der Französischen Revolution von 1789, und somit die Grundsuppe, in der wir alle im politischen Westen so selbstverständlich schwimmen - und die 1989 in den Staaten Osteuropas eine bislang letzte große Revolution hervorgerufen haben.

Die Metapher vom „Ende der Geschichte" sollte zumindest dem Christen geläufig sein und nicht vorschnell zum abfälligen Kopfschütteln verleiten. Das Christentum kennt diese Rede von der Endzeit, in der wir nach Christi Tod in der Gewißheit der Erlösung von Leid und Sünde leben. Für Hegel, den Fukuyama in der Interpretation des in Österreich weitgehend unbekannten französischen Intellektuellen Alexandre Kojeve wiederentdeckt hat, ist das „säkularisierte" Ende der Geschichte mit der Erfüllung der politischen Ziele der Französischen Revolution gekommen: Mit der Idee der Demokratie, mit ihrem vom Volk ausgehenden Rechtsbegriff, den Menschenrechten und der offenen Partizipationsmöglichkeit für jeden Bürger an den politischen Entscheidungen und Ämtern, hat sich der Unterschied zwischen Herr und Knecht in der politischen Ordnung verwischt: Gleichheit und Freiheit, beides Begriffe, die Jahrhunderte lang vom Christentum in ihrer moralischen Dimension gepredigt wurden, haben sich politisch durchgesetzt.

In den USA wird die Demokratie gerne mit der Möglichkeit gleichgesetzt, der „pursuit of happiness" frönen zu können, was in der populären Verknappung so viel heißt, ungehindert Geschäfte machen und Besitz erwerben zu können. Diese „ökonomische" Engführung, die mit der marxistischen Ansicht verwandt ist, daß die Geschichte ein ewiger Kampf der ökonomischen Interessen -also Klassenkampf - ist, will Fukuyama die Einsicht Hegels entgegenhalten, wonach die eigentlich treibende Kraft hinter der Geschichte die „Sehnsucht" des Menschen nach der „Anerkennung" seines Wertes und seiner Würde ist. Das Wissen um seine persönliche Würde und den Wert seines tätigen Daseins ist, hat bereits Sokrates in der Überlieferung von Plato erkannt, als „thymos" ein Teil unseres menschlichen Selbstverständnisses, also ein Wesensmerkmal der menschlichen Natur. Der Wert und die Würde des Menschen bestimmt sich daher nicht allein ökonomisch - und darum haben die Menschen in Osteuropa nicht nur am Mangel an Konsumgütern in einer sozialistischen Zentralverwal-tungswirtschaft gelitten, sondern, wie Vaclav Havel immer wieder betont, an der moralischen Entwürdigung, die darin bestand, gegen die eigene Würde sich einem ungeliebten Regime unterzuordnen und mit ihm zweifelhafte Kompromisse eingehen zu müssen.

Für Hegel ist das „Ende der Geschichte" mit der liberalen Demokratie deshalb angebrochen, da sie als politische Ordnung das Selbstwertgefühl, die Sehnsucht nach der Anerkennung, nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich festschreibt. Das Bewußtsein vom Selbstwert und die Sehnsucht seiner Anerkennung sind für Hegel das Kontinuum in der universalen Menschheitsgeschichte, und daher kommt der Demokratie eine „universale" Bedeutung zu, in der sich "das Ziel der Menschheit auf gegenseitige Anerkennung erfüllt hat.

So überzeugend Fukuyama in seinem Buch diese „Sehnsucht nach der Anerkennung" des Selbstwertgefühls als die politische Triebkraft der Veränderung in der Geschichte beschreibt, so wenig geht er auf die „inneren Widersprüche" der - vor allem amerikanischen -Demokratie ein, die zwar Freiheit und Gleichheit politisch zu garantieren versteht, in der aber durch die beharrliche Ideologie von den ökonomischen Gesetzen des „freien Marktes" vielen Menschen (Stichwort Zweidrittel-Gesellschaft) die „Sehnsucht nach Anerkennung" zum Beispiel des Werts ihrer Arbeit oder ganz einfach ihres Daseins vorenthalten wird. Francis Fukuyama muß daher in einem wichtigen Punkt korrigiert werden: Wenn die metaphorische Rede vom Ende der Geschichte nicht ihren Sinn verlieren will, dann ist wohl eher mit der „sozialen Demokratie" westeuropäischen Zuschnitts dieses Ende der Geschichte gekommen. Und der Kenner der Situation wird freilich sagen, daß noch sehr viel zu tun bleibt, bis alle Bürger im Bewußtsein leben, ihr Selbstwert werde von der gesellschaftlichen und politi-schenOrdnung „anerkannt"..

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