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Demokratie unmöglich in Lateinamerika?

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Die Welle, die durch Guérilleros, Parteizersetzung und Wirtschaftskrisen ganz Lateinamerika bis zum Äquator zu offenen oder verschleierten Militärregimen führte, schlägt jetzt zurück. Noch vor Ecuador und Perü hat Bolivien die angekündigten Wahlen um zwei Jahre, auf Juli 1978 vorverlegt. Man rätselt über die Gründe. Vor allem will Boliviens Staatschef General Banzer zur hundertjährigen Wiederkehr des „Salpeterkrieges” von 1879 den damals verlorengegangenen Zugang zum Pazifik wiedergewinnen, wagt es aber nicht, den von seinen Nationalisten bekämpften Landtausch mit Chile durchzuführen, ohne dabei von einem Parlament gedeckt zu sein.

General Hugo Banzer hat 1971 durch einen Staatsstreich den castristischen Präsidenten General Juan José Torres gestürzt und zunächst mit dem linksliberal gewordenen „Movimiento Na- cionalista Revolucionärio” und der faschistischen „Falange Socialista Boli- viana” regiert. Aber abgesehen von der „unnatürlichen Ehe” zwischen zwei ihrer Ideologie und Tradition nach verfeindeten Gruppen, ergaben sich auch innerhalb der Parteien so viele Machtkämpfe und Spaltungen, daß eine einheitliche Willensbildung unmöglich war. Vor drei Jahren ergriffen dann die Offiziere die ganze Macht. In den 150 Jahren der Unabhängigkeit Boliviens hat es mehr als 200 Revolutionen gegeben; im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts regierten sieben Präsidenten. Banzer ist der erste von ihnen, der ununterbrochen sechs Jahre lang an der Macht blieb. Das Schicksal der bolivianischen Politiker gäbe überhaupt ein großartiges Drehbuch für einen Abenteuerfilm ab. Die Ermordung des Ex-Innenministers Oberst Selich in La Paz und die Ermordung des Präsidenten Torres in Buenos Aires sind Ausnahmen. Im allgemeinen wechseln die führenden Männer zwischen Regierungsposten und Emigration, mit merkwürdigen Zwischenstationen, weil sie mitunter heimlich oder „über Einladung der Regierung” zurückkehren, konspirieren, wieder verhaftet und wieder ausgewiesen werden. Man darf Banzer glauben, daß es in Bolivien kaum mehr als 100 politische Gefangene gibt, und es ist sicherlich übertrieben, wenn die Zahl der Emigranten während seiner Regierungszeit von der „Permanenten Versammlung für Menschenrechte” mit 19.000 angegeben wird. Aber wenn Banzer jetzt seine neue „Partei der Nationalen Einheit” gründen will, so muß er zunächst eine Amnestie erlassen und die Rückkehr der Parteiführer gestatten. Es wimmelt von bolivianischen Emigranten in fast allen lateinamerikanischen Ländern. (Das einzige, was diese Emigranten gemeinsam haben, ist, daß jeder eine andere Meinung vertritt.)

Die „Kommission für Gerechtigkeit und Frieden” der bolivianischen Bischöfe, die dem Militärregime vor allem wegen der chronischen Verletzungen von Menschenrechten sehr kritisch gegenübersteht, ließ verlauten, daß die Verfassungsmäßigkeit nicht durch den bloßen Aufruf zu Wahlen hergestellt werden könne, sondern daß den Parteien Gelegenheit gegeben werden müsse, sich mit neuen Programmen zu reorganisieren. Banzer will aber die Verfassungsreform dem neuen Parlament überlassen. Der klägliche Zustand, in dem sich die gegnerischen Parteien befinden, stärkt natürlich die Chancen seiner eigenen.

Es gibt in Bolivien neben den Parteipolitikern auch zwei starke Pressure-groups. Die auf der Hochebene lebenden Minenarbeiter haben 1952 das „Heer der Oligarchie” besiegt. Ihr Führer ist Juan Lechín, der zur Zeit in Venezuela lebt. Er wird kaum zu einer Parteinahme für Banzer zu bewegen sein. Lechins Gegenspieler sind die in den Anden-Tälern lebenden „Campesinos”. Ihre „Confederación de Campesinos de Bolivia”, die zur Zeit einzige von der Regierung anerkannte Organisation, hat Banzer zu ihrem Kandidaten proklamiert. Außer der Landbevölkerung dürften die Unternehmer und die „neuen” Beamten für Banzer stimmen. Man nimmt an, daß der emigrierte Ex-Präsident Luís Adolfo Siles Salinas wahlwerbend auftreten wird. Ihm dürften die Minenarbeiter, die Studenten und alle Linksgruppen aus Protest gegen Banzer ihre Stimmen geben. Der „historische Flügel” des „MNR”, der dem Ex-Präsidenten Victor Paz Extenssoro folgt, klagte Banzer an, eine „falsche Demokratie” zu planen. Nun zweifeln viele, daß in einem Lande wie Bolivien überhaupt eine Demokratie im westlichen Sinne Bestand haben. Aber auch in den anderen lateinamerikanischen Staaten ist ein direkter Wechsel zwischen Diktatur und Demokratie kaum möglich. Eine Zwischenstation ist unerläßlich, wenn man sie auch als „falsche Demokratie” oder „manipuliertes Regime” bezeichnen könnte.

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