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Demokratisierung der Kirche?

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In Kürze erscheint im Verlag Herold, Wien-München, aus der Feder des Professors für Kirchenrecht, Staatskirchenrecht und kirchliche Rechtsgeschichte an der Universität Frankfurt am Main das aufschlußreiche Werk „Demokratisierung der Kirche“. Wir bringen aus diesem Werk im folgenden das gekürzte Schlußkapitel.

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In Kürze erscheint im Verlag Herold, Wien-München, aus der Feder des Professors für Kirchenrecht, Staatskirchenrecht und kirchliche Rechtsgeschichte an der Universität Frankfurt am Main das aufschlußreiche Werk „Demokratisierung der Kirche“. Wir bringen aus diesem Werk im folgenden das gekürzte Schlußkapitel.

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Niemand kann bestreiten, daß es in der katholischen Kirche der Gegenwart eine Krise der Autorität gibt. Die Krise hat begonnen mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Als sich dort offenbarte, daß die Beschöfe in wichtigen Fragen verschiedener Ansicht waren, und als sie zu ihrer Unterstützung Theologen und Publizisten bemühten, als eine Partei dazu überging, die andere zu verdächtigen und herabzusetzen, da verloren die Bischöfe an Ansehen, und zwar picht nur die sogenannten „konservativen“, gegen die man in Deutschland die Publikationsmittel mobilisierte, sondern auch die sogenannten „liberalen“. Die Entfesselung einer allgemeinen Kritik, die bald vor nichts mehr haltmachte, untergrub den Respekt vor den Trägern der Kirchengewalt weiter. Die Willigkeit, der Kirche zu folgen, wich weithin einer nervösen Gereiztheit, teilweise sogar einer Allergie gegen die Ausübung der Autorität. Neben das Magisterium der Bischöfe trat das Paramagisterium progressisti- scher und modernistischer Theologen. Heute ist es soweit, daß der Vorrang der Theologie vor dem Lehramt offen proklamiert und den Bischöfen öffentlich Lektionen erteilt werden. Erstaunlich ist, daß die Mehrzahl der Hirten der Kirche diesem Vorgang der Usurpation der Lehrautorität schweigend zusah. …

In dem progressistischen und modernistischen Verständnis der kirchlichen Autorität sind säkulare und heterodoxe Auffassungen wirksam. Für den säkularen Bereich ist dies die Lehre von der Volkssouveränität, für den heterodoxen die Botschaft von dem allgemeinen Priestertum aller Gläubigen als einziger Form der Teilnahme an dem Priestertum Christi. Mancherorts, zum Beispiel in den Niederlanden, treten spiritualistische Formen des Kirchenverständnisses auf, die in die Richtung des Schwärmertums weisen. Der Einbruch des Soziologismus in die Kirche bedeutet den Versuch, die Organisation der Kirche nach den Vorstellungen der Masse zu gestalten. An die Stelle des Verfassungsaufbaues von oben, auf Grund der Offenbarung, soll eine Neustrukturierung von unten nach dem Mehrheitsprinzip gesetzt wenden.

Der Abbau der Autorität in der Kirche zog in unerbittlicher Folgerichtigkeit eine Verminderung der Autorität der Kirche nach sich. Nicht nur die Hirten der Kirche haben an Ansehen verloren, sondern die Kirche als solche verlor an Gewicht Eine sich in einen Debattierklub verwandelnde Kirche würde unfähig, eine grundsätzliche, allgemein verbindliche Stellungnahme abzugeben. Jeder Äußerung eines Bischofs läßt sich die kritische Antwort eines Theologen entgegenhalten. Selbst das Wort des Heiligen Vaters besitzt keine unangefochtene Geltung mehr. Es ist klar, daß eine Kirche, die sich im Innern nicht einig ist, nicht nach draußen sprechen kann. Die Menschheit will kein Stimmenwirrwarr, sondern eine eindeutige Weisung hören.

Die Lage der Kirche ist ohne Frage ernst. Sie ist aber nicht verzweifelt. Denn die „Krise der kirchlichen Autorität“ besteht weniger gegenüber den gläubigen, frommen, opferbereiten Tatkatholiken als vielmehr gegenüber jenen Kreisen, deren Aktivität und christliches „Zeugnis“ sich in der Aufstellung von Programmen und in der Erhebung von Kritik erschöpft.

Den Autoritätsschwund der kirchlichen Amtsträger durch Demokratisierung aufhalten wollen bedeutet ungefähr das gleiche, wie wenn man einem Ertrinkenden rät, er solle sich ja nicht in Richtung auf das rettende Ufer hinbewegen, sondern vielmehr mit aller Anstrengung in die Mitte des See® hinausschwimmen. Die Demokratisierung der Kirche würde den Niedergang der Autorität nicht aufhalten, sondern beschleunigen und institutionell verfestigen.

Der Ruf nach Demokratisierung selbst ist keineswegs demokratisch legitimiert. Beachtenswert ist die Tatsache, daß dieser Ruf nach Demokratisierung weder allein noch vorrangig von Laien erhoben wird, sondern ursprünglich und in der Hauptsache von geistlichen Theologen.

Diese Theologen machen aus der demokratischen Ideologie eine Art Heilslehre, indem sie vorgeben, die Umstülpung der Kirchenverfassung werde aus sich eine größere Effizienz des kirchlichen Dienstes hervorbringen. Ihrer Forderung liegt also ein ideologisch erzeugter Optimismus zugrunde. Optimistisch ist der Glaube an den Fortschritt. Optimistisch ist der Glaube an die Einsicht, Güte und Reife der Menschen. Optimistisch 1st der Glaube an die Wahl, an die Mehrheit, an die Diskussion. Dieser Optimismus ist durch keine Erfahrung gerechtfertigt, vielmehr durch die Geschichte hundertfach widerlegt. Der Katholik kann ihn schon deswegen nicht teilen, weil er der Wirklichkeit der Erbsünde und der Folgen der Erbsünde widerspricht. Dieser Optimismus entstammt denn auch, ob die Träger der Demokratisierungsbewegung es wissen oder nicht, aus dem Liberalismus bzw. dem Marxismus, für die heute in weiten kirchlichen Kreisen eine wunderliche Voreingenommenheit besteht.

In der Demokratisierungswelle ist viel Ressentiment wirksam. Dieses reicht von der Erbitterung solcher, die nicht in die Hierarchie der Kirche aufgestiegen sind, bis zum Groll jener, die — vor oder nach der Weihe — am Zölibat gescheitert sind. Wenn man schon selbst nicht gebieten kann, will man wenigstens nicht mehr gehorchen müssen. Und diese Hoffnung glaubt man in der demokratisierten Kirche erfüllt zu sehen, weil man sicher ist, daß man dann zu den Arrivierten gehören werde. Es ist die Rache des Zurückgebliebenen, die nach Demokratisierung ruft.

Die Forderung nach Demokratisierung zielt gar nicht auf Heranführung des Volkes an die Kirchenleitung. Sie ist vielmehr die Tarnkappe, unter der sich das Machtstreben progressistischer Gruppen versteckt. Diese denken gar nicht daran, das freie Spiel der Kräfte in der Kirche zu eröffnen. Sie rechnen vielmehr damit, daß in einer demokratisierten Kirche ihnen die Herrschaft zufällt. Sie wissen, daß die Massen intellektuell und ethisch der Weisungen bedürfen. Sie sind entschlossen, dieses Bedürfnis zu befriedigen, indem sie die Führung übernehmen. Durch die ihnen hörigen Publikationsmittel, namentlich die Massenmedien, gedenken sie die Menge in die Gewalt zu bekommen.

Die entscheidende Frage, die bezüglich der Demokratisierung zu stellen ist, lautet: Vermehrt sie die Effektivität des kirchlichen Dienstes? Darauf kann die Antwort nur lauten: Demokratisierung der Kirche ist die einer Ideologie entsprungene Forderung, die dem Wesen der Dinge in der Kirche nicht angepaßt ist und die Heilssendung der Kirche schwächen muß.

Die Forderung nach demokratischer Umstrukturierung der Kirchengewalt übersieht völlig die Eigenart des Dienstes der Kirche, der in der Heiligen Schrift an nicht wenigen Stellen als Kampf und Kriegsdienst beschrieben wind. Wie eine Armee und die „in latentem Kriegszustand befindlichen Aggregate des modernen politischen Lebens“ hat die Kirche schnellen Entschluß, einheitliche Befehlserteilung und strenge Disziplin notwendig.

Die Demokratisierung kann Apostolat und Seelsorge nicht fördern. Das eigentliche Apostolat vollzieht sich nämlich am allerwenigsten in jenem Bereich, in dem demokratische Rechte und Verfahren in Frage stehen, also bei Wahlen und Abstimmungen, in Gremien und Räten, sondern in dem rechtsfreien Bereich des persönlichen Zeugnisses, der eigenen Lebensführung, des Berufes und der Mitwirkung an den Aufgaben des Gemeinwesens. Die Arbeit für das Reich Gottes ist weder von der Demokratisierung kirchlicher Strukturen abhängig noch durch diese erreichbar.

Wenn ich so zu einer kritischen Beurteilung der Demokratisierungstendenzen in der Kirche gelange, dann nicht etwa aus Abneigung gegen die Demokratie als Organisationsform des Staates, sondern aus der Überlegung, daß die Verschiedenheit der Kirche vom Staat, der kirchlichen Sendung vom staatlichen Auftrag, eine unbesehene Übernahme staatlicher demokratischer Strukturen weder fordert noch zuläßt. Die auch im staatlichen Bereich erkennbaren Schwächen der Demokratie müssen sich in der Kirche potenziert zeigen, die Folgen dieser Schwächen müssen in der Kirche noch weit verhängnisvoller sein als im Staat, weil mehr auf dem Spiel steht und die Kirche nicht über die Machtmittel, vor allem nicht über die äußere Zwangsgewalt des Staates, verfügt.

Die Ablehnung der Demokratisierung der Kirche bedeutet keinen Widerstand gegen eine Reform der Kirche; sie kommt im Gegenteil aus der Überzeugung, daß diese durch die Demokratisierung gehemmt, ja vereitelt würde, weil dadurch der Blick vom Menschen auf Einrichtungen abgelenkt wird. Freilich verstehe ich unter Reform zuoberst nicht Veränderung von Strukturen, sondern Wandel der Gesinnung. Ich bin überzeugt, daß sehr viel in der Kirche zu verbessern ist und daß diese Verbesserung sehr dringend ist, allerdings nicht im Bereich von Recht und Verfassung, sondern im Herzen der Gläubigen, da, wo die eigentlichen Entscheidungen im Kampf zwischen Gott und dem Satan fallen. Es besteht kein Anlaß, an den wesentlichen Strukturen der Kirche, die jahrhundertelang bestanden und sich bewährt haben, heute viel zu ändern. Über dem endlosen Gerede von der Änderung der Struktur der Kirche wird aber das einzig Entscheidende, nämlich die Erneuerung der Menschen, völlig aus den Augen verloren.

Was die Kirche, am dringlichsten in Mitteleuropa, braucht, ist die Bekehrung von Klerus und Volk. Priester und Gläubige müssen gläubig und fromm, demütig und selbstlos, gütig und geduldig wenden. Wenn man will, kann man das sogar als Demokratisierung bezeichnen. Thomas Mann hat jedenfalls seinerzeit die hinter dem Wort Demokratisierung verborgene Sehnsucht für den säkularen Bereich wie folgt beschrieben: „Demokratie sollte wieder sein, was sie vor Einbruch der Politik in die Gotteswelt einmal war: Brüderlichkeit über allen Unterschieden und unter formaler Wahrung aller Unterschiede. Demokratie… sollte Moral sein, nicht Politik; sie sollte Güte sein von Mensch zu Mensd|, Güte von beiden Seiten!“ Eine solche Bekehrung würde im einzelnen bedeuten, daß Priester und Volk künftig wieder mehr Zeit vor dem Tabernakel als auf Tagungen verbringen, weniger über das Bußsakrament reden als es oft und würdig empfangen, sich nicht über die Art und Weise der Kommunionspendung erhitzen, sondern den Glauben der Väter an den leibhaftig gegenwärtigen Herrn erneuern und ihm mit Ehrfurcht nahen und das Reden über das Apostolat durch das apostolische Zeugnis ersetzen. An die Stelle des ethischen Minimalismus muß wieder das Streben zum Maximalen treten, sei es in der Familie, sei es in der gottgeweihten Enthaltsamkeit. Uneinigkeit und Zersplitterung sind durch Einigkeit und Geschlossenheit zu überwinden, Feigheit und Opportunismus müssen durch Mut und Festigkeit besiegt wenden, Energielosigkeit und Schwäche haben kraftvoller Führung zu weichen. Wenn die Kirche eine Bekehrung ihrer Glieder in diesem Sinne erlebt, wird der Ruf nach Demokratisierung bald eine fossile Floskel der Reaktion sein.

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