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Demut und Freude

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Ein unsägliches Staunen auf der zitternden, atmenden Oberflächenhaut des Irdischen, Schöpfung, die sich selbst bejaht mit Melodienbögen der Dankbarkeit: durch den Garten am Stiftsgebäude entlangzugehen, ist Vorbereitung, in der leise Innigkeit waltet. Dann der volle Akkord von Eingangstor, Höfen, Brunnen bis zum brausenden Klang der Formen in der Prunkstiege des Westtraktes. „Welt des Barock“, hier findet sie ihre strömende Harmonie, und hier beginnt auch der

Weg durch die berühmten Kaiserzimmer und die Raumflucht des Leopoldinischen Traktes. Auf diesem Gang, und aus den erstmals ausgestellten Kunstschätzen, wird das Thema der Landesausstellung im Stift St. Florian bei Linz sichtbar: Es sind das Stift selbst und der Geist, aus dem es erbaut wurde, der sich in einer Sprache manifestiert, die auch die Sprache der Zeit war.

Aber ist das nicht alles bereits museal, rückwärts gewendet in Vergangenheit? Reicht aus jener Epoche, in der eine Lebensart sonorer Feierlichkeit die Länder ergriff, noch etwas bis zu uns? Aus einer Epoche, in der nicht nur der Wunsch nach, sondern auch das künstlerische Vermögen zu genialer Festlichkeit bestand? Schon in der Renaissance hatte der Kult der Persönlichkeit jene Bedeutung der Entfernung und Abspaltung von. dem Kollektiv gewonnen,^das die Lebensform der Gotik und den Kosmos des Mittelal-tersbestimmte. Das Bewußtsein, das die Seligkeiten und Schauer der Individualität im Angesicht Gottes durchlaufen hat, wird in manchem Antlitz auf den Bildern erkennbar, die in den prunkvollen Kaiserzimmern hängen.

Und war auch der Ausdruck eines Gefühls niemals ohne Haltung möglich, und rauschten auch Wogen' von Seide und Stickereien über den Körpern: Zur Lust des Menschen gehörte seine nackte Wahrheit, und sie war heilig, weil Gott diese Wahrheit wollte. Weil im höchsten Anschauen Gottes kein Verbergen nötig ist, weil der Mensch in dieser Seligkeit von ihm nicht geschieden ist, deshalb lassen die Meister der Barockzeit diese Deckenfresken jubeln, dieses Schnitzwerk lobpreisen. In der nackten Schönheit der Götter und Heroen, der Heiligen und Märtyrer, wird die Welt geliebt und in der Hingabe an den einen Gott überwunden, in Freude und in Demut.

Solange der Fürst aus solchen Perspektiven lebte, wurde er vom Volk verehrt, solange behielt auch das Barock seine Kraft. Aus der Einmündung in den göttlichen Bereich werden auch die mythologischen und sakralen Überhöhungen verstehbar, denen hier, im Zeichen der habsburgischen Dynastie, auch die politische Realität beigegeben wird in Darstellungen beispielsweise des Krieges gegen die Türken, in der Bitte um Nachkommenschaft.

Das Selbstwertgefühl des Fürsten übertrug sich auf die Künstler, und sie kamen — fast ausnahmslos - aus dem Volk, dessen Handwerk erblühte, wie die Florianer Bauernmöbel im Leopoldinischen Trakt beweisen. Eine Generation vorher hatten diese Tischler und Maler die Ausstattung der Kaiserzimmer geschaffen, hatte die Kraft des Bürgertums, freilich noch unter den Direktiven des Adels und der Kirche, seiner Gottesschau mit gestaltender Begeisterung Ausdruck verliehen.

Wenn in dieser Landesausstellung das Stift St. Florian selbst zum Thema wird, so liegen Schwerpunkte nicht nur in seinem Umfeld, in der Wirtschaftsund Sozialgeschichte, bei der politischen Verwaltung durch die Stände. Was bis in unsere Zeit reicht, ist der seelsorgliche Auftrag, den die Augustiner Chorherren seit der Einführung der Augustinusregel im Jahr 1071 erfüllen. Ihn ergänzte die Beschäftigung mit Wissenschaft, Forschung und Lehre, aus der mittelalterlichen Schreibschule entwickelte sich die berühmte Historikerschule, die den Beginn österreichischer Geschichtsforschung markierte.

Zur herrlichen Bibliothek kamen die Anfänge des technischen Zeitalters, hinter dem Bürgertum formte sich als neue tragende Kraft die Arbeiterschaft. Die Spannung zwischen Religion und Wissenschaft konnte in der barocken Vision einer harmonischen Weltordnung gelöst werden. Welche Hoffnung bricht auf, wenn sich heute inmitten eines durch Technik bestimmten Lebensstils wieder eine sinnliche Freude am Festlichen zeigt.

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