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„Den Abgeschriebenen helfen“

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Als am Ausgang des 19. Jahrhunderts, vor allem in Wien, der aufstrebenden Großstadt, mit dem Aufbruch so vieler bisher unbekannter sozialer Probleme, die Idee einer christlichen und sozialen Erneuerungsbewegung breite Massen erfaßte, war es kein Wunder, daß gerade auch der junge Klerus und die Theologiestudenten in den Priesterseminaren in echter Aufgeschlossenheit gegenüber den Forderungen ihrer Zeit sidi der neuen Bewegung anschlössen. Unter der Führung des Professors der Moraltheologie Franz Martin Schindler hatte sich im Wiener Priesterseminar neben verschiedenen Studienzirkeln auch eine sogenannte „soziale Sektion“ gebildet. „Sie war der Boden, auf dem wir“, so schrieb kein Geringerer als Ignaz Seipel, der als Theologiestudent diese Arbeitsgemeinschaft auch eine Zeitlang geleitet hatte, „auf Grund dessen, was wir in den Vorlesungen hörten, in den Büchern und Zeitschriften lasen, unsere ersten Debatten über die Arbeiterfrage, über Geldtheorie, über Vorteile und Gefahren der Börse usw. abführten. Über dieser bescheidenen Pflanzschule sozialer Studien schwebt der Geist Franz Schindlers, unseres bedeutendsten Lehrers. Als ich mich, zum Obmann der sozialen Sektion gewählt, ihm vorstellte“, so schrieb Seipel weiter, „war er es, der mich auf meinen Vorgänger in dieser Würde, August Schaurhofer, hinwies und mir riet, genau das fortzusetzen, was Schaurhofer begonnen hatte. Bald hörten wir, noch bevor wir unsere Universitätsstudien beendet hatten, von dem jungen Priester Schaurhofer, der, ein nicht allzu häufiges Beispiel, das, womit er sich in der Studienzeit mit Vorliebe beschäftigt hatte, in die Wirklichkeit umzusetzen suchte, indem er ein sozial tätiger Priester im besonderen Sinn des Wortes wurde, einer, der nicht nur in Kirche und Schule, sondern in die Vereine ging und sich am liebsten um jene annahm, die im Leben am schwersten zu ringen hatten.“

Wer war nun jener August Schaurhofer, den ein sonst so kühler Seipel so begeistert schildert und dessen Name heute wenige kennen?

Am 28. April 1872 in Wien geboren und in einer kinderreichen Wiener Gastwirtsfamilie herangewachsen, dann Schüler des Schottengymnasiums, wäre er prädestiniert gewesen, Glied einer behäbigen und selbstzufriedenen bürgerlichen Gesellschaft zu werden. Als er 1890 die Maturaprüfung ablegte, war er aber bereits Vollwaise und sein Entschluß zum Theologiestudium und zum Priesterberuf ließ bereits seine ernste Lebensauffassung erkennen. Kein Wunder, daß er den Vorlesungen seines Lehrers Martin Schindler über die moralische und soziale Not seiner Zeit mit gespannter Aufmerksamkeit und persönlicher Anteilnahme folgte. Die Enzyklika „Rerum novarum“ Leos XIII. war eben in dem Jahr erschieneh, da Schaurhofer die Universität bezog. Die „soziale Frage“ fesselte ihn von diesen Tagen an sein Leben lang.

Die Jahre des Priesterseminars waren für Schaurhofer wichtige

Jahre geistiger Fundierung, in denen er sich eine umfassende Literaturkenntnis, einschließlich der marxistischen und utopischen Literatur, aneignete. Aber auch als junger Priester trennte er sich nicht von den Büchern. Es waren vor allem die pädagogischen und sozialethischen Schriften Friedrich Wilhelm Foer-sters, besonders dessen Buch „Christus und das menschliche Leben“, die Schaurhofers Geisteswelt formten. Das Vereinsleben bildete damals das Zentrum außerkirchlichen katholischen Lebens. Für Schaurhofer war es der kurz zuvor von einem Wiener Priester gegründete und noch in voller junger Initiative und Kraft stehende Katholische Arbeiterinnenverein, in dem er seinem ihm zugeschnittenen Aufgabenbereich erkannte. Unter seiner Leitung konnte die junge Gemeinschaft ihr schönes

Heim in der Pramergasse erbauen. Nach einigen Versuchen, beim Aufbau des in den folgenden Jahrzehnten so bedeutsam gewordenen „Katholischen Volksbundes“, mitzuwirken, wandte er sich ganz den Methoden der modernen Großstadtseelsorge zu, wie sie damals Dr. Karl Sonnenschein in Berlin so meisterhaft praktizierte.

Der Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie, der so viele politische, soziale, aber auch geistige und moralische Überlieferungen in Frage stellte und damit gerade die große Masse der Arbeiterschaft einfach überforderte, stellte Schaurhofer vor neue Aufgaben. Neben den aufbrechenden Ideen der Jugendbewegung und der katholischen Akademikerschaft, die zu geistigen Zentren Wiens geworden waren, und in denen Schaurhofer echte soziale geistige Erneuerungskräfte erkannte, ging es ihm darum, auch praktische Mitarbeiter und helfende Hände zu aktivieren. In der Schwesternschaft der „Caritas socia-11s“, an deren Gründung und Gestaltung er maßgeblich beteiligt war, fand er diese Helfer. Er übernahm die geistliche Erziehung der Schwestern „in bedingungsloser Nächstenliebe und heiliger Bedürfnislosigkeit“ als Grundlage ihres sozialkaritativen Wirkens. „Er gab der ,Caritas sozialis'“, so sagte einmal Dr. Hildegard Burian, die Gründerin dieser Schwesterngemeinschaft,

„seine wahrhaft ideale, edle Weltanschauung, die Wärme und Tiefe seines gütigen Herzens, die den Schlagworten und Phrasen abholde echte, einfache und doch so tiefe Frömmigkeit... das tiefe Verständnis für Kämpfende und Leidende.“

Das große persönliche Arbeitsgebiet Schaurhofers wurde die Sträflingsseelsorge, vor allem im Wiener Jugendgefangenenhaus. Die Gestrauchelten, die von der Gesellschaft so leichthin Abgeschriebenen standen ihm besonders nahe. Sie zurückzuführen in die Gemeinschaft mit Mensch und Gott war sein persönliches seelsorgliches Anliegen.

Schaurhofer, dessen menschliches Innenleben so weit aufgeschlossen war für Leid und schicksalhafte Tragik, starb, als hätte er gleichsam wie in seinem Leben so auch in seinem Tod das Leid anderer auf sich gezogen, eines schmerzhaften Todes am 24. August 1928, als eben draußen vor seiner Sterbekammer sich die Gegensätze des sozialen und politischen Lebens wieder zu neuen Spannungen steigerten.

Lange nach seinem Tod blieb denen, die ihm im Leben begegnet waren, diese Priestergestalt in Erinnerung. Seine ernsten, tiefen Augen, die oft zuviel Leid gesehen hatten und die aus einer Seele leuchteten, die um die Überwindung des Leides rang. Die hagere Gestalt mit dem schon seit jungen Jahren weißen Haar. Eine soziale Priesterpersönlichkeit, die es sich selbst und anderen leichtmachte, die gesellschaftlichen Probleme zu lösen, weil er sie zutiefst erahnt und selbst erlebt hatte. Aber auch ein mutiger Mensch, der 1923 die Schrift „Wie stellen wir uns zum Sozialismus?“ wagte und darin das in starre ablehnende Schemen eingefahrene katholische Bürgertum zur geistigen Auseinandersetzung mit der Erlösungssehnsucht des Proletariats aufrief, zugleich aber von den parteigebundenen Sozialisten ignoriert und abgelehnt wurde. Doch mehr als ein Idealist und Phantast, der von einem Reich der Gerechtigkeit träumte, der Menschlichkeit und der Liebe, war Schaurhofer ein Rufer nach Wiedererweckung christlicher Kulturideale in den Formen der sozialen Welt seiner Zeit. Kein Wunder, daß er starken Eindruck auf die Jugend ausübte.

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