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Den Alten eine Aufgabe!

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Immer mehr Senioren wehren sich dagegen, zum alten Eisen gezählt zu werden. An Österreich ging der,.Altenboom“, vor fünf' Jahren in den USA entstanden, bisher vorüber.

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Immer mehr Senioren wehren sich dagegen, zum alten Eisen gezählt zu werden. An Österreich ging der,.Altenboom“, vor fünf' Jahren in den USA entstanden, bisher vorüber.

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Reiche Menschen sterben später als arme; Senioren bringen am Arbeitsplatz so etwas wie einen „heroischen Effekt“ zustande; die verlängerte Lebenserwartung bei Frauen ist erst eine Erscheinung unseres Jahrhunderts. Das sind drei mutwillig herausgegriffene Beispiele aus einem neuen Buch, das sich wissenschaftlich mit der Altersproblematik beschäftigt.

Die Gerontologie, also die Altersforschung, hat in Österreich noch einen langen Weg vor sich.

In Europa ist vor allem Großbritannien ein Musterbeispiel für gerontologische Entwicklungen. Das behauptet zumindest Univ.- Prof. Leopold Rosenmayr vom Wiener Ludwig-Boltzmann-In- stitut für Sozialgerontologie, Autor des Buchs „Die späte Freiheit“.

Ein wichtiger Punkt für ihn ist die familiäre Pflege bei alten Menschen. Eine For scher gruppe hat beispielsweise herausgefunden, daß bei der Betreuung eines älteren Familienmitgliedes sich die Familie nur unzureichend untereinander abwechselt.

Auch die Pflegeerwartungen der älteren Generation wurden analysiert (mit statistischen Daten von 1979): Sieben von 100 Senioren, die einmal kurzfristig krank sind, erwarten sich keine Hilfe von Kindern oder Nachbarn, selbst wenn Sohn oder Tochter im gleichen Haus wohnen. Leben die Kinder mehr als eine halbe Stunde entfernt, so rechnet schon mehr als jeder vierte Kranke (28 Prozent) nicht mit Pflege und Hilfe.

Das mit zahlreichen Tabellen und Statistiken aufgefettete Buch fragt auch nach der Chance auf ein langes Leben: Der Tod klopft bei den Reichen später an. Leopold Rosenmayr: „Mensch und Mensch sind vor dem Tode nicht gleich. Wer früher und wer später zu sterben hat, darüber entscheidet wesentlich mit, wieviel Geld und soziale Chancen der Hilfe jeder für sein Leben — sein Überleben — bekommt.“

Aüch Frauen steigen besser aus. Während es im 17. Jahrhundert keine wesentlichen Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen den Geschlechtern gegeben hatte, änderte sich das statistische Profil in den siebziger Jahren unseres Jahrhunderts radikal: Vor 300 Jahren kamen weibliche Angehörige der Genfer Unterschicht kaum über das 80. Lebensjahr hinaus, vor zehn Jahren aber erreichten mindestens hundert von tausend Westberliner Frauen das 90. Lebensjahr.

Freilich: wie dieses statistische Material zustandegekommen ist und ob nicht vielleicht doch Genfer und Berliner den bekannten Birnen und Äpfeln gleichen, läßt sich aus den spärlichen Unterlagen kaum entnehmen. Rosenmayrs Kommentar, für den nicht sehr viele Recherchen notwendig gewesen sein dürften: „Das Profil der längeren Lebenserwartung der Frau tritt erst bei beginnender Verbesserung ihres medizinischen Lebensschicksals in Erscheinung.“

Die Hoffnung auf ein langes Leben haben jedoch Angehörige von Prestigeberufen eher als Hilfsarbeiter. Während französische Lehrer und katholische Geistliche mit 35 noch immer vier schöne Jahrzehnte vor sich haben, sind es bei Hilfsarbeitern nur noch 32 Lenze. Anders gesagt: Leute am Bau sterben acht Jahre früher.

Nicht einmal der Tod ist umsonst, geschweige denn das Leben. Die durchschnittliche Alterspension eines österreichischen Angestellten beträgt nach Rosenmayrs Tabellen 8.001 Schilling. Selbständige kassieren nur mehr 5.834, Arbeiter gar nur 5.191 und Bauern als Schlußlicht bloß noch 3.713 Schilling im Monat als Uberlebensgeld.

Abseits tabellarischer Finessen und Unklarheiten finden sich in der „späten Freiheit“ drei Thesen:

Erstens: Die soziale Geltung des Alters hänge davon ab, wie sehr der alte Mensch von der Gesellschaft (noch) gebraucht würde.

Zweitens: Die Solidarität einer jugendlichen Gesellschaft mit dem Alter könne nur durch die Überwindung des Generationskonfliktes bewältigt werden.

Und drittens: Das Freizeitverhalten der Senioren müsse überdacht werden. Es genüge nicht, Hobbys für die Pensionszeit als Füller zu finden, sondern man sollte „darüber hinausgehende Aktivitäten“ (Rosenmayr) betreiben.

DIE SPÄTE FREIHEIT. Das Alter - ein Stück bewußt gelebten Lebens. Von Leopold Rosenmayr, Verlag Severin & Siedler, Berlin 1983, 413 Seiten, öS 302,50.

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