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Den Anfängen wehren

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Nach jahrelangen Verhandlungen über eine Arbeiterkammer-Gesetznovelle, die von den Sozialisten mit sichtlichem Desinteresse geführt und ungebührlich verschleppt wurden und deshalb von der ÖAAB-Fraktion immer wieder in Schwung gebracht werden mußten, wurde vor gut einem halben Jahr eine Novelle zum AK-Gesetz beschlossen. Die Vorschlage des ÖAAB nach Demokratisierung der Arbeiterkammern blieben größtenteils unberücksichtigt. Auch die Einführung der Briefwahl, die gerade bei der Arbeiterkammerwahl infolge der oft sehr weiten Wege zum nächsten Wahllokal, insbesondere für Beschäftigte in Klein- und Mitelbetrieben, dringend erforderlich wäre, scheiterte am Widerstand der Sozialisten.

Die Erfahrung zeigt nämlich, daß viele Wahlberechtigte Anreisewege von 50 und mehr Kilometern kaum auf sich nehmen. Die Wahlbeteiligung ist dementsprechend: In Großbetrieben ist sie fast hundertprozentig, die Mittelbetriebe, fallen deutlich, Kleinbetriebe stark ab.

Aber die Sozialisten wissen ganz genau: In den ländlichen Gegenden, in Klein- und Mittelbetrieben, wo ihre Organisation nicht oder kaum hinreicht, ist für sie wenig zu holen. Also sollen, diese Arbeitnehmer entweder den weiten Weg gehen oder zu Hause bleiben.

Gerade seit 1969 in Vorarlberg ein Einbruch in die monokolore Phalanx der AK-Präsidenten gelungen ist und 1974 in Tirol die SPÖ nicht mehr die absolute Stimmenmehrheit erreichte, ist man alles eher als gewillt, die Wahlausübung zu erleichtern. Auch wenn große Gruppen unzumutbare Entfernungen zurücklegen müssen.

Obwohl bei der letzten Novelle vor einem halben Jahr betont wurde, darüber hinaus gebe es keine Änderung, kommt - gerade noch rechtzeitig, um vor der nächsten Wahl wirksam zu werden - ein Initiativantrag der SPÖ, der nahe Verwandte (Ehegatten, Kinder, Eltern, Schwiegerkinder und Schwiegereltern) des Betriebsinhabers vom Wahlrecht zur Betriebsratsund Arbeiterkammerwahl ausschließt. Sie stünden, so wird argumentiert, dem Unternehmer so nahe, daß bei ihnen das Betriebsinteresse vor dem Arbeitnehmerinteresse rangiere.

Es gibt Beispiele genug, daß Schwiegersöhne, aber auch Ehegatten sehr wohl gezwungen sein können, bei der Arbeiterkammer als überbetrieblicher Interessenvertretung ihre Rechte geltend zu machen und ihre Ansprüche einzufordern. Man denke nur an gar nicht so selten vorkommende Unstimmigkeiten unter Verwandten oder an jene immer häufigeren Fälle, wo es im Zuge einer Ehescheidung zu arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen kommt

Im neuen sozialistischen Parteiprogramm steht zu lesen: „Die SPÖ wendet sich ... auch gegen alle Versuche reaktionärer Kräfte, demokratische Rechte abzubauen oder rechtsstaatliche Garantien aufzuheben.“ Wenige Tage später scheut dieselbe Partei nicht davor zurück, ihre programmatischen Aussagen durch ihre poütische Praxis Lügen zu strafen.

Darüber hinaus wird dadurch eine neue Kategorie von Arbeitnehmern geschaffen: die, weil sie aus dem Arbeitsverfassungsgesetz herausfallen, keinen Versetzungs- und Kündigungsschutz haben und für die weder' eine betriebliche noch eine überbetriebliche Interessenvertretung zuständig ist.

Vor 60 Jahren wurden die Vorrechte der Geburt abgeschafft, nun machen sich die Sozialisten daran, die Nachteile der Geburt einzuführen. Diesmal stehen die, Reaktionäre eindeutig links: Der überwunden geglaubte Klassenkampf lebt nicht nur neu auf, sondern wird zum Klassenkampf mit Sippenhaftung ausgeweitet.

Einschlägige Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes lassen erwarten, daß eine Anfechtung dieser Bestimmungen, die seitens des ÖAAB bereits angekündigt wurden, Erfolg haben wird. In keiner Definition der Arbeitnehmereigenschaft spielen private Beziehungen eine Rolle. Sonst könnte ja auch Geschwistern (warum eigentlich ihnen nicht?) und Freunden des Betriebsinhabers genauso die Dienstnehmereigenschaft aberkannt werden. Vielleicht ist das dör nächste Schritt, falls die jetzt geplante Änderung die Erwartung, noch stärkere Einbrüche in den sozialistischen Machtbereich zu verhindern bzw. dort, wo er bereits erfolgt ist, ihn rückgängig zu machen, nicht erfüllt.

Während also Verwandte - sollte dieses Gesetz beschlossen werden -nicht mehr als Dienstnehmer gelten, bleiben viele Vorstandsdirektoren, darunter auch solche mit nahezu sechsstelligen Monatsgagen, weiterhin Dienstnehmer und damit wahlberechtigt.

In Sachen Arbeitnehmer hat sich die SPÖ immer für allein zuständig gehalten. So auch jetzt: Wer Arbeitnehmer ist, bestimmen wir und - w,er sozialistisch ist, ist auf jeden Fall Arbeitnehmer.

Wie haben doch die Sozialisten ihre Zielvorstellung formuliert: Demokratie der Weg, Sozialismus das Ziel. Nun, da sich auf diesem Weg Hindernisse entgegenstellen, werden sie gewaltsam beiseite geräumt. Auch dann, wenn es sich um demokratische Rechte handelt.

Es gilt, den Anfängen zu wehren.

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