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Den Armen helfen

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„Sozialpolitik im Reformwerk Kaiser Josephs II.” Es mag ein etwas ungewöhnlicher Titel sein, denn man wird ein derart benanntes Kapitel vergeblich in den bisherigen Joseph-Biographien suchen. Dies, obwohl der Kaiser bewußt Sozialpolitik betrieb, denn Ziel vieler seiner Maßnahmen war die Besserstellung der unteren Volksschichten. Wir müssen davon ausgehen, daß am Ende der Barockzeit, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die Spanne zwischen arm und reich größer war als vorher oder nachher.

Die Zeit Josephs II. war nun das Ende dieser großartigen kulturellen Entwicklung, weil er wesentlich mehr Volksvermögen zur Besserstellung der Armen einsetzen ließ.

So ist ein erheblicher Teil seiner Sozialpolitik in den rechtlichen Maßnahmen zur Hebung des Bauernstandes verpackt. Man nennt immer wieder die Aufhebung der Leibeigenschaft in den böhmischen Ländern und die Anglei-chung der Rechtsstellung der dortigen Bauern an die der Österreicher als besondere Maßnahme. Dabei vergißt man, daß auch die Stellung der übrigen österreichischen Bauern durch das Un-tertanenstrafpatent, die Festlegung der Robotleistung und deren Ablöse in Geld wesentlich verbessert worden ist. Man kann nur andeutungsweise ermessen, was es bedeutete, wenn diese Bauern nun für die Grundherren Vertragspartner wurden, wenn es um die Ablöse der Robot in Geld ging. Wenn sie an der Ausmessung der Gründe zur neuen Steuerreform aktiv mitwirken konnten, war dies ebenfalls eine Hebung ihres Ansehens. Darin liegt der Grund, warum dies alles so schnell durchgeführt werden konnte.

Die Aufhebung der Leibeigenschaft hatte aber eine ganz andere sozialpolitische Langzeitwirkung als beabsichtigt gewesen sein mag. Sie traf relativ wenig die auf den Höfen verbleibenden und dort erbenden Bauernkinder. Denn jeder vernünftige Grundherr mußte immer dafür sorgen, daß der im Dorf lebende Untertan sich eine tüchtige Frau fand, daß er sein Leben bestreiten konnte. Vielmehr waren jene Kinder betroffen, die sich nun einen Beruf frei wählen konnten, die dorthin zogen, wo sie ihr Fortkommen zu finden hofften.

Diese Abwanderer blieben teilweise in den Dörfern, wo man ihnen den Bau von Kleinhäusern ermöglichte. Sie lebten nun teils von Nebenerwerbslandwirtschaft, fanden teils durch Taglohn oder Arbeit im Gewerbe ein bescheidenes Auskommen. Viele wanderten aber in zentrale Orte ab, arbeiteten künftig im Gewerbe oder in Fabriken.

Ein weiteres Paket rechtlicher Maßnahmen, wie das neue Erb- und Eherecht, vor allem auch die Aufhebung des Makels der unehelichen Geburt bei der Ausübung von Gewerben kann man ebenfalls im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen sehen.

Viel mehr Sozialpolitik als man erwarten könnte, steckt auch in den kirchlichen Maßnahmen. Die Kirche hatte mit den Pfarren die einzige wirklich funktionierende territoriale Flächenorganisation. Dies wollte der Kaiser benützen. Daher wurde ein erheblicher Teil seiner Sozialpolitik der Kirche und besonders den Pfarren anvertraut. Dem verbesserten Pfarrsystem wurden die Armeninstitute anvertraut. Die Pfarrer hatten über die Pflegeeltern der Findelkinder zu wachen, sie sollten dafür sorgen, daß in Fabriken arbeitende Kinder anständig gehalten wurden. Dies war eine so gewaltige Aufgabe, daß sie die Pfarrer weit überforderte.

Für die Finanzierung der Armenver-sorgunjg wurde das Vermögen der aus dem Mittelalter stammenden Bruderschaften herangezogen, allerdings nicht in ihrer alten Form. Diese wurden nämlich aufgelöst und an ihrer Stelle eine einzige „Bruderschaft von der Liebe des Nächsten” gegründet. Vorbild dafür war aber keine kirchliche Institution, sondern ein Sozialinstitut des Grafen Buquoi in der südböhmischen Herrschaft Gratzen. Dort wurde jenes Modell entwickelt, das für alle Länder der Monarchie als Vorbild dienen sollte. Tatsächlich blieb dieses System bis 1872 in Geltung.

Sozialpolitik wurde aber auch für das Bildungswesen betrieben. Ermöglichte schon die Grundschulbildung den Zugang zu vielen Berufszweigen, so wurden verschiedene Sonderformen besonders gefördert: in Böhmen die Industrieschulen, die gewerblichen Unterricht einbauten, in Österreichs Gebirgsgegenden die Spinnschulen, die Möglichkeiten zur Ausübung eines Nebenerwerbes schaffen sollten. Besondere Obsorge wollte man den armen Soldatenkindern und den in Fabriken arbeitenden Kleinkindern ab dem 9. Lebensjahre angedeihen lassen. All dies erscheint uns heute erschreckend primitiv und rückständig, doch begann damit die Sozialreform in Österreich.

Daneben gab es aber auch direkte Sozialpolitik, die sich etwa in der Errichtung von Waisenhäusern, Findelhäusern und Krankenhäusern äußerte. Das Allgmeine Krankenhaus in Wien ist, zumindest dem Gebäude nach, ein redendes Beispiel der josephinischen Einstellung.

Als erster Herrscher unseres Landes hat er soziale Probleme nicht nur gesehen, sich mit ihnen bewußt konfrontiert, sondern hat auch nach Lösungen gesucht.

Der Autor ist Professor für österreichische Geschichte mit hesonderer Berücksichtigung der historischen Landeskunde an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter der Ausstellung ..Österreich ;ur Zeit Kaiser Josephs II.” im Stift Melk.

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