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„Den Heiden eine Torheit..

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Das Bild des Gekreuzigten, gerade in dieser vorösterlichen Zeit immer wieder ins Bewußtsein gebracht, wurde in diesen Tagen von Demonstrantinnen zu blasphemischem Spott mißbraucht. Ist solche Pietätlosigkeit unserer Zeit vorbehalten?

Bereits zu den ersten bildhaften Darstellungen des Gekreuzigten gehört der „Spottkruzifix" vom Palatin: eine Kritzelei in Stein zeigt das Kreuz mit einem Eselskopf. Darunter ist zu lesen: „Ale-xaminos betet Gott an". Man könnte darin geradezu eine Illustration des Pauluswortes vom Kreuz als „Torheit für die Heiden" sehen.

Alfred Raddatz, Ordinarius für Kirchengeschichte und christliche Kunst an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, befaßt sich mit der Ikonographie Christi. In einem Gespräch über den Wandel der Kreuzigungsdarstellungen in der Geschichte des Christentums legt er die Zusammenhänge zwischen Theologie und bildender Kunst dar.

Dieser beginnt schon damit, daß in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten die Darstellung der Kreuzigung tabuisiert war. Wohl kannte man das Zeichen des Kreuzes als Heilssymbol bereits in vorchristlicher Zeit. Es brauchte aber einige Zeit, bevor der Zusammenhang zwischen diesem außerchristlichen Heilszeichen und dem Galgen, an dem Jesus von Nazareth gestorben war, gefunden werden konnte.

In der griechischen Kirche findet sich die Darstellung des Kreuzes früher als in der lateinischen. Die ostkirchliche Kunst zeigt auch von Anfang an den leidenden Christus. Der griechische Ra-bula-Codex stammt zwar erst von 586, benützt aber zweifellos ältere Vorlagen. Hier sind bei der Kreuzigung auch die Personen anwesend, die in den Evangelien aufgezählt werden: Maria und Johannes, die klagenden Frauen, die beiden Schacher, die würfelnden Kriegsknechte: eine reale Szenerie, die tief in das Geschehen hineinführen soll.

Die lateinische Kirche folgt nur zögernd der griechischen in der Darstellung der Kreuzigung. So klammert der Passionssarg im Lateran noch die Kreuzigung aus, auch wenn er die Passion Christi darstellt. Aber diese Passion wird als Sieg Christi gesehen.

Raddatz interpretiert die Gestaltung auf diesem Sarkophag: „Pilatus sitzt da wie ein gescholtener Schuljunge und wendet sich ab, und die Dornenkrönung bedeutet hier in Wahrheit Krönung Christi mit dem kaiserlichen Lorbeerkranz, also Antritt der Herrschaft."

Die „Londoner Passionstäfelchen", um 425 in Oberitalien entstanden, zeigen die älteste erhaltene Kreuzigungsdarstellung. Aber auch hier ist Christus Triumphator, die Kreuzigung ist zugleich Thronbesteigung, vom Kreuze aus herrscht Christus: „Wenn ich erhöht bin, werde ich alles an mich ziehen" (Joh 12,32).

Sind es nur stilistische Unterschiede, die in der griechischen und lateinischen Ikonographie zum Ausdruck kommen? Raddatz sieht hier die Wirksamkeit theologischer Hintergründe. Die starke Betonung des Leidens in der griechischen Kirche geht auf arianisierende Elemente zurück. Das Leiden ist eine „Leistung" Christi, die ihm den Lohn in der Gottwerdung bei der Himmelfahrt einbringt. In der lateinischen Theologie dagegen ist Christus Gott von Ewigkeit her, der vom Vater ausgeht und dorthin zurückkehrt.

Wie wesentlich diese theologischen Unterschiede genommen wurden, beweist, daß bei der Trennung der griechischen von der römischen Kirche 1054 als einer der Gründe, warum die Trennung unerläßlich sei, das Argument genannt wurde, daß die Griechen ein „falsches" Kreuzigungsbild hätten: sie stellten Christus leidend am Kreuze dar.

Politische Gründe führten dazu, daß die karolingische Kunst bei der byzantinischen Kultur Anleihen machte. Das wieder erneuerte abendländische Kaisertum will seine Gleichberechtigung gegenüber dem alten römischen Kaisertum in Byzanz hervorkehren und kopiert deshalb byzantinische Kunst. Trotzdem sind die karolingischen Kreuzigungsdarstellungen mehr als bloße Renaissance des Althergebrachten. Es werden neue Elemente beigefügt, so die Schlange am Fuß des Kreuzes, die Gestalt des Propheten Hoseja und die Gegenüberstellung von Synagoge und Kirche unter dem Kreuz.

Die romanische Epoche schließt in ihrer Sicht der Kreuzigung eng an die frühchristliche lateinische Ikonographie an; auch hier steht Christus als Sieger mit Krone vor dem Kreuz, die Qual des Gemarterten ist ihm fremd.

Das Hochmittelalter sieht die Kreuzigung unter neuen Aspekten. Jetzt mehren sich die Darstellungen des Leidenden. Dabei spielt zweifellos eine neue Berührung mit byzantinischer Kunst durch die Kreuzzüge eine Rolle, aber es sind auch geänderte theologische Voraussetzungen maßgebend.

In den Schriften des Anselm von Canterbury wird eine neue Sicht des Abendmahles transparent, eine Verbindung von Kreuzesopfer Christi und Abendmahl. Im Abendmahl wird das

Kreuzesopfer Christi wiederholt, ja mehr noch, die Kreuzigung ist das Urbild des Opfers, das der Priester am Altar darbringt. Diese Gedanken werden besonders deutlich in der Kreuzigungsdarstellung des Naumburger Meisters im Dom zu Naumburg: Engel mit Weihrauch fässern beräuchern Christus am Kreuz, wie der Priester die Opfergaben am Altar beräuchert.

Mehr als zwei Jahrhunderte später greift Matthias Grünewald diesen Gedanken wieder auf: Christus am Kreuz ist der Geopferte, als Deutung wird das Agnus Dei unter dem Kreuz mit dem Kelch dargestellt, in den das Blut des Lammes fließt.

Ende des 13. und im 14. Jahrhundert entwickeln sich aber auch private Formen der Frömmigkeit, die zum Teil im Gegensatz zur gleichzeitigen theologischen Aussage stehen. Der Mensch gibt sich nicht mehr damit zufrieden, daß nur dem geweihten Priester am Altar die Mittlerrolle zum Opfer Christi anvertraut scheint. Die Sündhaftigkeit wird immer krasser betont, in der bildenden Kunst wird das Jüngste Gericht schreckenserregend dargestellt. Erlösung ist nur durch Christus möglich, also will nun auch der Mensch seinen eigenen persönlichen Zugang zum Kreuzesopfer finden.

Bernhard von Clairvaux ist es nun vor allem, der den Weg zur individuellen Erlösung zeigt: Mit-Leiden mit Christus. Als Mittel, um dieses Mit-Leiden zu ermöglichen, wird nun der Gekreuzigte immer mehr mitleiderregend dargestellt. Er ist ein Geschundener, mit Blut überströmt, das „Haupt voll Blut und Wunden". Auch die Menschen, die Jesus liebten, werden in das Leid hineingenommen: Maria, Maria Magdalena, Johannes.

Die Auseinandersetzung mit dem Leiden Christi aber führt konsequent zu neuen Gedanken: wenn Christus so gelitten hat für uns - dann kann das Ziel doch nicht die Verwerfung des Sünders sein. Dann ist dieses Leiden Ausdruck der Liebe. „Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, daß Christus für uns starb, als wir noch Sünder waren."

(Röm 5,8

Das Kreuz wird jetzt zum Zeichen der Hoffnung. Die niederländische Malerei stellt nun bewußt das Geschehen der Kreuzigung in die Landschaft, in diese Welt, die erlöst wurde durch das Blut Christi. „Das Kreuz ist das Imprimatur Gottes auf die Welt in ihrem So-Sein", definiert Raddatz.

Die Reformation geht diesen Weg weiter, und Lukas Cranach zeigt in der Predella des Altars der Kirche zu Wittenberg unter dem Kreuz die Gemeinde. Auf der Kanzel steht Martin Luther und übergibt sozusagen dieses Geschehen allen Gläubigen.

Die Zeit des Barock setzt einen neuen Akzent, der von der spanischen Mystik ausgeht, von Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz. Der Gekreuzigte stellt nicht mehr den gemarterten Körper zur Schau, der Blick ist aufwärts zum Vater gerichtet, die Gesichtszüge zeigen begeisterte und begeisternde Hingabe. Christus leidet um der Menschen willen, um den Willen des Vaters zu erfüllen. Dadurch ist das Leid verklärt.

Das 19. Jahrhundert, vor allem die „Nazarener" der Romantik, sehen in Christus in erster Linie den milden Weltheiland, der mehr schenkt als fordert. Der gute Hirte, der dem verlorenen Schaf nachgeht, wird lieber dargestellt als der Gekreuzigte. Auch dort, wo Kreuzigung und Passion gezeigt werden, ist Christus sanft leidend, ohne stärkere Emotionen.

Das große Kreuzigungsbild von Max

Klinger stellt im Gegensatz dazu Christus als Geistesheroen dar, als einen, der - wie Sokrates - daran scheitern mußte, daß er Unbequemes verkündete. Das Göttliche beginnt zurückzutreten.

Auch in der Zeit des Ersten Weltkrieges steht die menschliche Komponente im Vordergrund. Bei Otto Dix ist der Gekreuzigte der Prototyp des leidenden Menschen überhaupt, die Inkarnation menschlichen Leidens hängt am Kreuz, nicht mehr der Sohn Gottes. Unter diesem Blickwinkel kann auch der Jude Marc Chagall ein Kreuzigungsbild malen: als einer der vielen Knechte Gottes, als eine Episode im Leidensweg des jüdischen Volkes stirbt der Jude Jesus von Nazareth am Kreuz.

Eine mehr abstrahierende Darstellung zeigt sich in der Zeit um den Zweiten Weltkrieg. Die christliche Perspektive wird wieder stärker betont, allzu naturalistische Schilderungen werden bewußt vermieden, um zu unterstreichen, daß es hier um mehr geht als um menschliches Leid.

Wie nun sieht unsere Zeit den Gekreuzigten? Raddatz meint dazu: „Hat schon die ganze Entwicklung des Kreuzigungsbildes durch rund 1500 Jahre gezeigt, wie stark die Darstellung des Gekreuzigten von der jeweils zugrunde liegenden theologischen Strömung abhängig ist, so nimmt es nicht wunder, wenn wir bei den verschiedenen theologischen Strömungen der Gegenwart natürlich auch divergierende Darstellungen des Gekreuzigten finden."

Auch heute findet man im Gekreuzigten die Chiffre für menschliches Leid überhaupt, auch heute wird durch Zeichen hingewiesen auf ein Geschehen, das man nicht mehr wagt, naturalistisch darzustellen - „vielleicht aus Ehrfurcht".

Auch heute aber wird dieses Thema als peinlich und Ärgernis erregend weggeschoben, auch heute wird mit dem Bild des Kreuzes Spott getrieben. Auch heute gilt, was Paulus an die Korinther schrieb".

„Wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis, den Heiden eine Torheit, den Berufenen aber... Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit." (Kor 1,23/24)

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