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Den Letzten beißen die Hunde...

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Es geistert nun schon eine Weile durch die Medien, das Damoklesschwert einer beträchtlichen Ak'a-demikerarbeitslosigkeit. Nur wird dabei oft auf Zahlen, Daten und Fakten vergessen und munter drauflosspekuliert. Wobei die einen noch immer so tun, als handle es sich um Panikmache einiger privilegierter Berufsgruppen, deren Angehörige ihre fetten Bezüge nicht mit zu vielen anderen gleicher Qualifikation teilen wollen, und die anderen raunen, der Doktorhut der Zukunft werde im allgemeinen mit einem Taxifahrerkappel identisch sein.

Daß dieses Thema die Jugend bewegt, liegt auf der Hand. Denn naturgemäß erwartet die Mehrheit der Jugendlichen, daß sich ein längeres Verbleiben im Bildungsprozeß (solange es sich nicht um ein „Sitzenbleiben“ handelt) bezahlt macht. Der Hochschulabschluß wird von vielen noch immer als Garantie für einen überdurchschnittlichen gesellschaftlichen Status betrachtet. Das ist aber eine Illusion geworden. , Alle Parteien sind sich einig: Jeder Mensch hat ein Recht -auf Bildung. Jeder Mensch hat ein Recht auf Arbeit. Aber die Meinung, jeder Mensch habe auf Grund einer bestimmten Bildung Anspruch auf eine bestimmte Arbeit, wird heute nur noch selten laut ausgesprochen.

Fazit: Jeder Maturant und Akademiker muß schauen, daß er irgendwie unterkommt Wenn er Glück hat, gelingt es ihm sogar in einem Beruf, in dem er seine beim Studium erworbenen Fähigkeiten, vielleicht sogar sein Fachwissen, optimal anwenden kann. Wenn nicht, sucht er sich etwas anderes. Oder bleibt arbeitslos.

Nach einer Erhebung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung waren Ende März 1979 in Österreich 382 Hochschulabsolventen, als arbeitslos vorgemerkt, davon 258

oder 67,5 Prozent Männer und 124 oder 32,5 Prozent Frauen. Gegenüber der letzten Erhebung davor (September 1978) war damit die Zahl der vorgemerkten arbeitslosen Akademiker bei den Männern um 17 und bei den Frauen um 27 gestiegen. Der Anteil an der Gesamtzahl der vorgemerkten Arbeitslosen in Österreich betrug im März 1979 0,6 Prozent.

Die meisten dieser arbeitslosen Hochschulabsolventen gibt es in Wien und in der Steiermark - zusammen fast 70 Prozent der 382 Personen, denen übrige“ns zu diesem Zeitpunkt 87 offene Stellen gegenüberstanden, am meisten, nämlich 17, in der Berufsart „Dipl.-Ing. für Maschinenbau“.

Auf Arbeitsuche befanden sich aber vor allem Absolventen der Philosophie (65), der Medizin (41), der geistes- und naturwissenschaftlichen Studienrichtungen (32), der Rechtswissenschaften (31), der Handelswissenschaft (27) und der Architektur (23).

Man kann nun diese Zahl von 382 sicher herunterspielen. Sie sei unbedeutend im Vergleich mit der Arbeitslosigkeit im allgemeinen, die wieder im internationalen Vergleich unbedeutend sei. Möglicherweise seien unter den 382 auch etliche, die durchaus eine Stelle finden könnten, aber akademisch-hochnäsig auf einer „exakt ihrer Qualifikation entsprechenden“ bestünden. Und außerdem sei der Prozentsatz an Akademikern in Österreich verglichen mit anderen Ländern gering.

Das ist aber eine höchst einseitige Sicht der Problematik. Erstens verdient das Faktum Beachtung, daß die Zahl der vorgemerkten arbeitslosen Akademiker, so gering sie auch erscheinen mag, noch nie so hoch war. Sie ist mit wenigen kleinen Schwankungen von 138 im Jänner 1974 (gegenüber 451 offenen Stellen im September 1974) kontinuierlich auf die 382 im März 1979 geklettert. Und fast jeder kennt in seinem Bekanntenkreis den einen oder anderen, Akademiker, der sich mit einem nach überliefertem Statusdenken für einen Hochschulabsolventen „zu minderen“ Posten begnügt hat. Oder gar keinen hat, aber nicht daran denkt, aufs Arbeitsamt zu gehen und sich vormerken zu lassen.

Richtig ist, daß manche Industriestaaten eine höhere Akademikerrate haben als Österreich. Aber diese Staaten haben auch durchwegs eine höhere Arbeitslosenrate, sowohl allgemein als auch auf Akademiker bezogen!

Richtig ist auch, daß überall - ausgenommen Italien - die Arbeitslosenrate der Akademiker deutlich unter der allgemeinen Arbeitslosenrate liegt. Mit anderen Worten: mit-Hoch-schulabschluß kommt man immer noch leichter unter als mit einer anderen Ausbildung. Aber oft nicht, weil der Arbeitgeber unbedingt einen Mann mit viel Wissen auf einem bestimmten Gebiet oder der Fähigkeit, wissenschaftlich zu denken, braucht; auch immer seltener, weil er einen Mann mit Titel haben will, sondern, weil mit Studienabschluß und Matura ein bestimmtes, an die Erfordernisse der Gesellschaft angepaßtes Sozialverhalten gleichgesetzt wird.

Wer diesen langen Bildungsweg mit seinen bürokratischen Begleiterscheinungen (wie der gelegentlichen Beibringung polizeilicher Führungszeugnisse) durchgemacht hat, ist viel weniger verdächtig, ein „asoziales Subjekt“ zu sein.

Damit wird aber bereits die allgemeine Dimension des Problems „Akademikerarbeitslosigkeit'' sichtbar. Wenn die Akademiker immer noch leichter unterkommen, verdrängen sie Leute mit niedrigerem Bildungsabschluß (Matura, Hauptschule, Fachschule, Volksschule) aus deren Stellungen, diese drängen -jeweils nach unten - weiter. Und den Letzten, der am wenigsten gelernt hat, beißen die Hunde...

Die 382 vom März dieses Jahres werden diese Lawine noch nicht lostreten. Aber verbunden mit den zahlreicher werdenden arbeitslosen Pflichtschullehrern, mit der wachsenden Zahl von Maturanten könnten die Akademiker, die verläßlichen Prognosen zufolge auch noch eine Weile zunehmen werden, dem „einfachen Mann“ bald klarmachen, daß es hier nicht um das Problem der „G'studierten“, sondern um seinen eigenen Arbeitsplatz geht, daß bald nur mehr eine gediegene Fachausbildung vor einer Verdrängung durch einen Akademiker oder Maturanten schützen wird.

Daß die österreichische Hochschülerschaft die „Akademikerschwemme“ noch immer gerne als „Gespenst“ abtut und als Argument gegen derartige Prognosen kurioserweise die von ihr selbst heftig kritisierten und bekämpften hohen Studienabbruchraten (Drop-out-Raten) anführt, steht auf einem anderen Blatt. Bei ihrem sonstigen sozialen Engagement sollte man erwarten, daß sie den sozial benachteiligten und bildungsmäßig nachhinkenden Schichten endlich reinen Wein darüber einschenkt, daß letztlich auch sie und wahrscheinlich mehr als die Akademiker selbst unter der Akademikerschwemme leiden werden.

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