6945370-1983_42_21.jpg
Digital In Arbeit

Den Menschen aufs Maul geschaut

Werbung
Werbung
Werbung

Wissen Sie noch, was ein „Potschamperl” ist? Wer noch der älteren Generation angehört, wird sich an den Ausdruck erinnern, den die Linguisten nicht nur im Wienerischen, sondern auch in andern österreichischen Idiomen nachweisen. Sie leiten ihn vom französischen „pot de chambre” ab, was nichts anderes als Nachttopf bedeutet.

Aber wo gibt es heute diesen Gegenstand noch, der einst zur Pflichtausstattung jedes Schlafzimmers gehörte und inzwischen weitestgehend durch gestiegenen Wohnkomfort und Hygiene überflüssig geworden ist. Damit dürfte aber auch der Dialektausdruck in überschaubarer Zeit völlig aus dem Bewußtsein der Menschen verschwinden.

Die Sprache lebt. Die Bedeutung der Wörter ändert sich, verzweigt sich. Neue Begriffe werden aufgenommen, alte sterben aus. Und das ist auch das große Problem bei der Bearbeitung des „Wörterbuchs der bairischen Mundarten in Österreich”, an dem seit 1913 gearbeitet wird, von dem vor zwanzig Jahren der erste Band erschienen ist und für das es noch weitere Jahrzehnte dauern wird, bis es mit 12 bis 15 Bänden als Standardwerk für Germanisten Und Dialektforscher komplett sein wird.

Die Vorlage des dritten Bandes war kürzlich der äußere Anlaß, der etwa 80 Sprachwissenschaftler aus Österreich, der Bundesrepublik Deutschland und einigen Nachbarstaaten in der Akademie der Wissenschaften zur zweiten Bayrisch-Österreichischen Dia- lektologentagung zusammenführte.

Wie wirken die gesellschaftlichen Umwälzungen auf die Umgangssprache ein? Wie weit soll der Dialekt in den Schulunterricht einbezogen werden? Das waren zwei der Themen, die hier besprochen werden sollten.

Daß die Zuwanderung von An gehörigen anderer Völker die Wiener Umgangssprache beeinflußt hat, ist nicht neu. Eberhard Kranzmayr, Altmeister der Dialektforschung in Österreich, hat die Spuren der Tschechen im Dialekt verschiedener Wiener Bezirke deutlich gemacht.

Die ständige Zuwanderung seit dem Zweiten Weltkrieg—hängengebliebene Osteuropäer nach 1945, Volksdeutsche, Ungarn 1956, Tschechen 1968, Polen 1981 — scheint weniger deutliche Spuren zu hinterlassen, meint Werner Bauer, zuständiger Redaktor des Wörterbuchs.

Wer weiß auch, daß die urwie- nerische „Jause” eine slawische Zuwanderung ist: die Mahlzeit zu Mittag, wenn die Sonne im Süden steht, wurde „južina” — „jugo” wie in „Jugoslawien” = süd(lich) — genannt.

Wörter vollführen mitunter einen Rundlauf: Die „Büchse” ist ursprünglich der aus dem Holz des Buchsbaums gefertigte Behälter, dann der Hohlzylinder. Von hier wird der Begriff zur Bezeichnung von Geschützen und Gewehren benützt, in deren Lauf als „Büchse” die Ladung geschoben wird, er wird in verschiedene slawische Sprachen übernommen und kehrt als „puschka”, als Waffe der Sowjetarmisten wieder zu uns zurück.

Und die heute so modern anmutende (Mode)-„Boutique” ist keineswegs eine Neuschöpfung, lediglich in ihrem heutigen Aussehen erneut aus dem Französischen importiert. Sie ist nichts anderes als die alte „Bude”, sie kommt als „Butik” im Sinn von „Schnapsbutik” bei Nestroy vor — und wird ins Ungarische als „Snapszbutik” übernommen.

1913 gab eine Anregung aus München den Anstoß, die gemeinsame Arbeit an den bairischen Mundarten zwischen den Karawanken und dem Fichtelgebirge, zwischen Lech und Thaya aufzunehmen. Seit der Nachkriegszeit geht man getrennte Wege trotz bester Zusammenarbeit.

Heute beschränken sich die österreichischen Germanisten auf die Erfassung der Mundarten im eigenen Staatsgebiet und dem angrenzenden Südtirol. Hunderte von freiwilligen Mitarbeitern sind mit Fragebögen im Einsatz, sie schauen den Menschen — wie es Martin Luther einst forderte — „aufs Maul”, um festzuhalten, wo man sich wie über was ausdrückt, welche Bezeichnungen für bestimmte Gegenstände oder Pflanzen in Tirol oder Kärnten, in Oberösterreich oder Wien üblich sind. Dabei kamen sie auch auf den Potschamper (oder das Potschamperl) …

Letzte Sprachinseln

Als die Forscher ihr Werk begannen, zogen sie ihre Kreise bis zu den sieben und 13 Gemeinden der „Zimbern” in Oberitalien, Restsiedlungen aus dem Mittelalter, bis zu den Sprachinseln Gottschee in der Krain, Iglau im Mährischen.

Die Sprachinseln Lusern und Pladen im Venetianischen sind in den letzten Jahren dank der Arbeiten Maria Hornungs zum beliebten Exkursionsziel der Linguisten geworden. Die Wissenschaft hat mitgeholfen, ihre kulturelle Eigenständigkeit zu erhalten.

In Gottschee, dem heutigen Ko- čevje in Slowenien, soll es noch zwölf Alte geben, die sich ihrer Mundart noch erinnern. Die Sprachinsel Iglau ist nach Aussage von Kongreßteilnehmern total verschwunden…

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung