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Den roten Kurs halten

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Nach 16 Jahren Vorsitz fällt für Bruno Kreisky der letzte Vorhang: Er übergibt die SPÖ an Fred Sinowatz. Der Bundesparteitag vom 26. bis 29. Oktober soll der angeschlagenen Regierungspartei einen neuen Anfang bringen. Zwei kritische Sozialisten skizzieren die Herausforderungen der Nach-Kreisky-Ära.

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Nach 16 Jahren Vorsitz fällt für Bruno Kreisky der letzte Vorhang: Er übergibt die SPÖ an Fred Sinowatz. Der Bundesparteitag vom 26. bis 29. Oktober soll der angeschlagenen Regierungspartei einen neuen Anfang bringen. Zwei kritische Sozialisten skizzieren die Herausforderungen der Nach-Kreisky-Ära.

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Die SPO steht vor einem Obmannwechsel. Bruno Kreisky gibt nach über 16 Jahren die SPÖ- Stafette an Fred Sinowatz weiter. Dieser Wechsel ist kein abrupter, plötzlicher, sondern ein allmählicher. Bruno Kreisky und Fred Sinowatz sind die letzten Monate — während der Übergabe — nebeneinander gelaufen. Jetzt wird Sinowatz allein die nächsten Runden ziehen.

Bruno Kreisky hat tiefe Spuren hinterlassen. Viele jüngere Menschen identifizieren Österreich mit ihm, sind mit ihm politisch erwachsen geworden.

Kreisky hat Österreich international hoffähig gemacht. Er hat unsere Neutralität als dynamisch betrachtet und danach gehandelt. Und wenn heute viele Österreicher zumindest die erste Strophe unserer Bundeshymne im Stadion mitsingen, dann ist das vor allem Bruno Kreiskys Verdienst. Unter ihm und mit ihm ist ein neuer, unpatriotischer österreichischer Patriotismus entstanden.

Im Herbst 1983 geht aber auch in Österreich die Angst um. Die Anst um den Arbeitsplatz, die Angst um die Umwelt, die Angst um den Frieden und die Angst vor geistiger Verelendung. Auch bei uns rieselt es bereits im Gebälk der politischen, ökonomischen und sozialen Stabilität.

Die Arbeitslosenrate nimmt zu. Werksleitung, Betriebsräte und Arbeiter verjagen Umweltschüt- zer vor den Toren der Chemie Linz. Rechtsextreme Erscheinungen blitzen auf. Verteilungskämpfe nehmen zu. Die Dämme, die wir in den siebziger Jahren mit Erfolg gegen die internationale Wirtschaftskrise errichtet haben, werden brüchiger. Dazu kommt ein verstärkter Raubbau an der Natur, aber auch am Menschen. Die Krankmeldungen werden in der Krise weniger, weil die Angst um den Arbeitsplatz umgeht.

Die Betonierer wehren sich mit allen Mitteln gegen grüne Einbrüche. Umbalfälle und Hainburg sind ein Signal. Das Trumpf-As „Arbeitsplätze” ist immer im Talon und wird ausgespielt, wenn sonst nichts mehr sticht.

Waren Strukturfehler unserer Gesellschaft und Wirtschaft in den siebziger Jahren noch vom Schleier der Hochkonjunktur bzw. der verblassenden Konjunktur verdeckt, werden jetzt die Konturen der Widersprüche deutlicher. Noch ist die Sozialpartnerschaft auf vielen Gebieten ein Kitt. Aber die Risse zwischen den Parteien, zwischen einzelnen gesellschaftlichen Gruppierungen, insbesondere zwischen Arbeit- Besitzern und Arbeitslosen, werden größer.

In diesem fragmentarisch skizzierten Umfeld regiert und agiert die SPÖ als Seniorpartner einer SPÖ-FPO-Koalition, die zum Kompromiß zwingt. War die Schere zwischen notwendigem und wichtigem Tagesgeschäft und programmatischen Vorstellungen der SPÖ in der Zeit der SPÖ-Alleinregierung bereits groß, jetzt hat sie mit dem Binkerl FPÖ am Rücken die Tendenz, noch größer zu werden.

Deshalb wird es auch für den neuen SPÖ-Steuermann schwieriger werden, in einer rauhen internationalen See und in einem rauher werdenden nationalen Klima roten Kurs zu halten. Not wendig wird dafür sicherlich eine Mannschaft auch sein, die sich nicht nervös machen läßt von Wahlergebnissen, die einen langen Atem hat, die zusammenhält, trotz aller notwendigen Diskussion über unterschiedliche Positionen.

Das Ziel, die „Roten Markierungen” des Parteiprogrammes 1978, muß klar bleiben, will die SPÖ nicht ihre Kernschichten, die Lohnabhängigen, verlieren. Die Wahlergebnisse von Ternitz, Neunkirchen und anderen Industriestädten bei den Nö-Wahlen sind ein deutlicher Wink.

Die SPO muß wissen, wo sie hingehört. Und sie muß sich Bündnispartner suchen; sie muß vor allem das Vertrauen junger Menschen und Intellektueller wiedergewinnen oder erst gewinnen.

Die SPÖ muß alles tun, um das materielle Brot sicherzustellen. Sie darf dabei aber nicht auf das geistige Brot vergessen.

Sicherung der Arbeitsplätze, Lösung von Strukturproblemen unserer Wirtschaft, Verhindern von sozialen und politischen Turbulenzen sind wichtig. Genauso wichtig ist es aber, sich auszulok- kern und nach vor zu denken. Mut, Kreativität und Phantasie müssen von der SPÖ eingesetzt werden. Sie sind die Waffen, mit der eine reine Betongesellschaft weicher gemacht werden kann.

Dazu ist intellektuelle Anstrengung notwendig. Der SPÖ wird diese Anstrengung auf ihrem Parteitag nicht erspart bleiben.

Der Autor ist Pressesekretär des Wissenschaftsministers.

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