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Digital In Arbeit

Denen der Beruf zum Hobby wird

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Ich wollte es genau wissen: Was hat es mit der Überschwemmung des Managers durch Streß, Uberforderung, Verbot von Privatleben für eine Bewandtnis? Welchen Preis zahlt so ein Manager, so ein Top-Manager, für seine Karriere? Und: zahlt es sich aus, diesen (eventuellen) Preis an Energie, Zeit, Glück zu bezahlen?

Ich habe also etliche dieser Top-Ma-nager(innen) befragt; und um es gleich vorwegzunehmen: ich war betroffen, in welchem Ausmaß für sie der Beruf zum allesverschlingenden Riesenmagen geworden ist - so weit, daß im Gespräch nicht einmal mehr die Begriffstrennung zwischen „persönlich“ und „geschäftlich“ funktioniert. Selbstverständlich haben sie alle diese Vokabel parat, jonglieren gekonnt damit; den meisten ist angeblich ihr Privatleben heilig - nur wenn sie es näher beschreiben sollen, dann geht ihnen bald die Luft aus; und kaum haben wir den Berufsteufel beim einen Türl des Privatlebens hinausgeschmissen, kommt er beim anderen wieder herein.

Da habe ich zum Beispiel mit Herrn Dr. S. gesprochen. Ein sichtlich kontaktfreudiger, angenehmer Mensch, der sich auf sein Gegenüber einstellen kann. Ich bin auch gleich begeistert, denn er nennt mir - über die persönliche Sphäre befragt - sein für solche Top-Leute nicht ganz alltägliches Hobby: Akkordeonspielen. Immer schon hat er diese Liebhaberei gepflegt, in Schul-, Studien- und Ausbildungszeit ebenso wie als Ausgleich zur Arbeitswelt. Jetzt, da sein Berufsweg einen einstweiligen Höhepunkt gefunden hat, gehört die Aussicht auf mehr Muße fürs Akkordeon zu den wichtigsten neuen Horizonten.

Mit einer Anekdote beweist mir mein Gesprächspartner, wie wichtig das Musikmachen ihm immer schon war. Eines Abends in Zürich, in einem kleinen Beisl, der dortige Akkordeonspieler jung und unerfahren. Auf Zureden seiner Tischgefährten übernimmt Dr. S. das Instrument und spielt bis zum Zapfenstreich. Worauf der Geschäftsführer ihn diskret zur Seite nimmt - der angestellte Akkordeonist sollte nicht beleidigt werden -und fragt, zu welchen Bedingungen er ihn für die nächste Saison engagieren dürfe.

Ein schöner Erfolg für den Herrn Abteilungsleiter, nicht wahr? Aber auch Zeichen: das private Hobby wird sofort vom Dunstkreis des Berufes eingehüllt Die Beziehung des Akkordeons zu diesem Dunstkreis ist sogar doppelter Natur: Dr. S. war in jenem Lokal nicht aus privatem Anlaß. Nein, es handelte sich um einen Betriebsausflug. Denn Dr. S. spielt sein Akkordeon nicht nur so gut, daß er daraus seinen Broterwerb machen könnte (worüber er gerne schmunzelnd erzählt), sondern er verwendet sein Akkordeonspiel auch zur Verbesserung seiner Beziehung zu den Mitarbeitern. Wer hätte nicht gern einen jovialen Chef, der freche, satirische Texte singt und begleitet?

Auch ohne direkt Broterwerb zu sein, trägt das Hobby zum Broterwerb - diesmal im höheren Sinn - bei.

Ich fragte meinen Auskunfteiherrn in Sachen Karriere, was er denn nun eigentlich davon hätte, daß er jetzt seine Karriere als erfolgreich abgeschlossen betrachten kann. Materielles? Sonstiges? Wir einigen uns, zunächst über das - gern pauschal als angenehm abgetane - Finanzielle zu sprechen. Dr. S. zieht mit großem Schwung in die Aufzählung „der zweifellos mit jeder Karriere verbundenen materiellen Vorteile“, gerät aber bald ins Stocken, er merkt, daß er sich eigentlich gar nicht so viel mehr leistet als vor fünfzehn Jahren. Allgemein etwas höherer Lebensstandard, sicherlich, aber nichts grundlegend Neues, was er sich nur auf Grund seiner Karriere erlauben kann.

„Ich war eigentlich immer ein sparsamer Mensch, ich habe Geld nie leicht ausgegeben, eigenes nicht und mir anvertrautes nicht.“ Da bietet sich schon die erste Gelegenheit, wieder vom Privatleben abzuschwenken - das „anvertraute“ Geld führt ins Direktionszimmer. Wir aber zwingen uns, im Privaten zu bleiben und dort nach weiteren Vorteilen zu suchen. Einen nennt Dr. S. ohne Zögern: Seine Kinder werden eine bessere Ausbildung haben, als er selbst, „dafü r gebe ich gern einen nicht unbeträchtlichen Betrag aus“. Aber auch hier sind wir, unmerklich, schon wieder vom Thema weg: denn die Bezahlung der Ausbildung führt ja ebenfalls zum Beruf zurück - wenn auch zu dem der Kinder.

Also machen wir neuerlich kehrt. Dr. S. gräbt sein (zweites) großes Hobby aus, den Fußball, dem er seit seinen Kindertagen frönt. Übrigens verdankt er dem Fußball auch seine erste Anstellung, denn in den Nachkriegsjahren konnte er als Maturant zunächst keine Stelle finden, erst der Fußballtrainer kannte eine Fabrik... aber wir wollten ja übers Privatleben sinnieren.

Ja, also Fußball spielt er heute noch, er will nicht nur hinterm Fernsehschirm sitzen, auch die Zuschauerränge an Ort und Stelle sind ihm nicht genug. „Wir machen zwischen den einzelnen Büros richtige Fußballschlachten. Das ist auch ein zusätzliches Mittel der Motivation meiner Mitarbeiter, die Förderung des Teamgeistes auch im Priva ...“. Jetzt hat er's auch gemerkt, der Herr Doktor.

Sein früherer Satz erscheint ihm nun nicht mehr ganz so sicher: „Ich habe den Beruf nie zu wichtig genommen, sondern meine Leistung im erforderlichen Umfang erbracht. Mein Privatleben ist nie zu kurz gekommen“. Doktor S. hat das ehrlich gesagt, und um so mehr bin ich erschüttert. Denn wenn schon jemand, der aufsein Privatleben sichtlich Wert legt, eine solche Überlappung erfährt, wie steht's dann mit jenen Vollblutmanagern, über die er sich lustig macht, weil sie jedes Wochenende im Büro aufkreuzen?

Wie stark das Denken eines Managers auch von der Sprache her am Beruf hängt, ist mir während des Gesprächs mehrmals sehr deutlich bewußt geworden. Sehr realistisch fand ich zum Beispiel die Erklärung, warum das Verkaufen so faszinierend ist, in allen seinen Schattierungen, die der heutige Doktor S. vom Schalterdienst bis zur Verkaufsleitung aus eigener Anschauung kennt. Weil „letztlich alle berufliche Tätigkeit im Verkauf mündet oder beim Verkauf beginnt. Man verkauft sowohl die Ware als auch sich selber in Form seiner Arbeitskraft, alles, was man im Leben tut, läßt sich mehr oder weniger auf Ein-oder Verkauf zurückführen, von welcher Seite immer man es betrachtet.“ Sich selbst verkaufen: damit steht oder fällt auch die Karriere. Natürlich ist die nötige Ausbildung wichtig - in Österreich haben - laut einer Studie von Dr. Gertraude Horke (Institut für Wirtschaftssoziologie der Wirtschaftsuniversität Wien) mehr als zwei Drittel der leitenden Angestellten Hochschulabschluß. Daneben braucht man Ellbogen - wenn schon nicht zum Angriff, so zumindest zur Selbstverteidigung- und? Ja, was und? Anhand einer der schwierigsten Situationen, in die Dr. S. je gekommen ist, versucht er, herauszufinden, wieso gerade er eine so steile Karriere machen konnte.

Als „führende Kraft eines führenden Unternehmens in einer führenden Branche“ erhielt er eines Tages einen neuen Mitarbeiter zugeteilt: es war sein ehemaliger Chef, dem er seinerzeit viel verdankte, unter anderem genug Entgegenkommen, um sein Studium abschließen zu können. Eine totale Umkehrung der Verhältnisse, eine schwierige Lage. Warum hat der eine den Weg nach oben geschafft, der andere nicht? ,;Wie das Leben halt so spielt“, ist die naheliegende Erklärung, die keine ist. Nicht mangelndes Wissen oder Können, eher schon mangelnder Elan. „Er hat sich eben nicht gut genug verkauft.“

Aber genug der Beispiele dafür, daß die Normenwelt des Berufes ohne Unterschied auf Beruf und Privatleben angewendet wird - parallel dazu werden auch Vokabeln, die eigentlich dem rein Humanitären zugehören, auf das Geschäftsleben ausgedehnt. Wir sprechen über die „großen zusätzlichen Opfer an Zeit und Energie“, die ein guter Manager bringt, um seinen Mitarbeitern auch im geselligen Beisammensein zu beweisen, daß er sich für ihre Probleme interessiert, „in Extremfällen sogar hüft“. Auf diese Weise kann man, dem Betrieb zu Nutz und Frommen, „einen latenten Krankheitsherd rechtzeitig beseitigen“.

Während also über den Menschen mit Vokabeln aus dem Kaufmännischen philosophiert wird - „er verkauft seine Arbeitskraft“, erhält diese als Ausgleich anthropomorphe Züge. Er ist krank, der arme Betrieb. Vielleicht hilft ihm, wenn er darniederliegt, ein guter alter Halswickel?

Eine solche Vereinnahmung des Menschen unter die Fittiche des Geschäftslebens ist wohl nur erträglich, wenn der Manager in seinem Beruf eine „höhere Aufgabe“ sieht; und tatsächlich: schon zu Zeiten des Studiums unterschied man hie Studium -hie private Hobbys. Das Studium ist keine Privatangelegenheit. Was aber ist es? Schon hier beginnt die Ausweitung der res publica und ihres Anspruchs; er setzt sich folgerichtig im Berufsweg fort Teilhabe an einem führenden Unternehmen ist Teilhabe an der res publica. Und der Mensch, solchermaßen öffentliches Gut geworden, muß sich auch zur Verfügung stellen.

Allerdings bringt ihm dieser oft un-eingestandene Verzicht dann doch wieder menschliche Vorteile, ebenso uneingestanden allerdings wie der Verzicht: Karriere bedeutet eben doch Macht. Macht im Umgang mit Ware, Macht im Umgang mit der Ware Mensch. Beide disponiert der Manager. Und wenn er doch absurderweise Mensch geblieben sein sollte, oder vielleicht am Ende der Karriere einer geworden ist, dann muß er auch die Kehrseite der Macht akzeptieren. Etwa, wenn es heißt, einen der (wie oben beschrieben in ein persönliches Verhältnis hineinmanipulierten) Mitarbeiter wegzuorganisieren, sprich: zu entlassen. Da plötzlich nimmt die Verwirrung von Beruf und Persönlichem späte Rache.

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