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„Denkanstöße“ zur Schulreform

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Kaiser Ferdinand scheint zum Schutzpatron unserer Spitzenpolitiker zu werden - sein Ausspruch „Ja, derfens' denn des?“ zum Leitmotiv ihrer Reaktionen, sobald sich ein Untertan erfrecht, eine Meinung zu äußern, die der höchstamtlichen widerspricht. Wenn etwa die Rektoren aufzuzeigen wagen, daß es mit den Vorkenntnissen der Studenten am Beginn ihres Studiums nicht zum besten stehe, dann sind sie von der bösen Opposition gekauft und betreiben Parteipolitik, da ja nicht sein kann, was nicht sein darf.

Sinn hat oder hatte dann überhaupt ' die Programmdiskussion?

SCHNEIDER: Dazu könnte man vieles sagen. Für die SPÖ war es sicher wichtig, zwanzig Jahre nach dem letzten Programmbeschluß die eigenen Denkweisen zu überprüfen, aber auch einen gemeinsamen Nenner für die verschiedenen Gruppierungen und Richtungen zu formulieren und hierbei zu versuchen, gleichzeitig für die Jungsozialisten wie für die liberalen und die katholischen Wechselwähler attraktiv zu bleiben oder zu werden. Gerade weil das nur um den Preis der Mehrdeutigkeit möglich ist, wird die Diskussion über die künftige Politik in der SPÖ weiter gehen.

Das Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Heinrich Schneider führte Alfred Grinschgl.

Sinn hat oder hatte dann überhaupt ' die Programmdiskussion?

SCHNEIDER: Dazu könnte man vieles sagen. Für die SPÖ war es sicher wichtig, zwanzig Jahre nach dem letzten Programmbeschluß die eigenen Denkweisen zu überprüfen, aber auch einen gemeinsamen Nenner für die verschiedenen Gruppierungen und Richtungen zu formulieren und hierbei zu versuchen, gleichzeitig für die Jungsozialisten wie für die liberalen und die katholischen Wechselwähler attraktiv zu bleiben oder zu werden. Gerade weil das nur um den Preis der Mehrdeutigkeit möglich ist, wird die Diskussion über die künftige Politik in der SPÖ weiter gehen.

Das Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Heinrich Schneider führte Alfred Grinschgl.

Nun hätten es auch unsere Rektoren nicht gewagt aufzumucken, wenn sie nicht konkrete Anzeichen witBiSiftl stiowismriomoi^is Mtlnoq

hätten, mehr als nur vage Vermutungen, wie viel besser es „zu unserer Zeit“ gewesen wäre. Meßbar etwa bei den Ergebnissen der Anatomieprüfung, die seit Jahren die Barriere für die künftigen Mediziner darstellt

Übrigens gar kein Anlaß, dadurch die Ehre unserer Schulen angegriffen zu fühlen, ist dies doch ein international zu beobachtendes Phänomen. Wenn man bemüht ist, die höheren Schulen weiteren Kreisen zü öffnen, muß man eben auch in Kauf nehmen, daß die Gesamtergebnisse einen anderen Leistungsdurchschnitt aufweisen als zu jenen Zeiten, da die Schulen kleinen Eliten vorbehalten .gewesen waren. Dies festzustellen, hat gar nichts mit „Reaktion“ zu tun.

Und sind die Rektoren wirklich so inkompetent, ihre Meinung zur Schulreform darzulegen? Der vortragende Dekan ist immerhin Ordinarius für Pädagogik- wer sollte im Zeitalter der Experten zu Schulfragen sprechen, wenn nicht der Pädagoge? Aber abgesehen davon: wenn sich heute allerorts Konsu-mentenschutzorganisationen stark machen, um vor Produkten zu warnen, die ihren Preis nicht wert sind - müßten dann nicht noch viel mehr gerade jene ihre Stimme erheben, die als erste mit dem „Produkt“ der Schule konfrontiert werden? (Wobei keineswegs junge Menschen mit Zahnpaste gleichgesetzt werden sollen!)

Und warum sollen sie dann nicht schüchtern andeuten, daß man doch zu den laufenden Beratungen um die Schulreform auch jene beiziehen sollte, die mit ihren Ergebnissen fertigwerden müssen; daß man bestrebt sei, in enger Zusammenarbeit zwischen Gymnasial-und Universitätslehrern die optimale Form der höheren Schule zu entwickeln? Daß man in diesem Zusammenhang auch die Problematik der Gesamtschule nochmals durchdenken sollte? Und - welch

fürchterlicher Gedanke - daß man, vielleicht, sogar überlegen müßte, doch eine Aufnahmsprüfung zwischenzuschalten? Oder, wenn schon nicht das, dann eine zweigeteilte Matura mit verschiedenen Berechtigungen?

Keine Idee davon, daß die Rektoren dies alles gefordert hätten! Wer würde dies heute in akademischen Kreisen noch wagen? Aber darüber reden wird man doch noch dürfen, „Denkanstöße“ dazu geben - oder bestimmt man heute nur noch am Minoritenplatz, wer in Österreich „Denkanstöße“ zu geben berechtigt ist? Denn nur solche Denkanstöße sind hier amtsgenehm, die nicht wagen, bestehende Tabus zu verlet-

zen. Gesamtschule und Aufnahmsprüfung aber sind solche Tabus.

Deswegen reagierte das Ministerium auch erneut sauer, als die ÖVP ihre Gedanken zur Neugestaltung der Hauptschule vorlegte. „Abgeschrieben!“ weinte man über Grubers Bosheit. Weil in der ÖVP-Hauptschule ebenso Leistungsgruppen vorgesehen sind wie in der SPÖ-Gesamtschule.

Aber nicht die Leistungsgruppen sind es, die die Gesamtschule ausmachen, sondern der Alleinanspruch, der Zwang für alle Kinder zwischen zehn und vierzehn, dorthin zu gehen. Die ÖVP klammert hier bereits jene 20 Prozent aus, die bisher schon das Untergymnasium besuchen und dies auch weiterhin tun sollen.

Die Leistungsgruppen haben viel für sich, ihre Vorteile sind unbestritten. Ihre Nachteile werden zu wenig beachtet. Die Nachteile des zweiten Hauptschul-Klassenzugs sind unbestritten, die Vorteile - die wenigstens im Konzept, weniger in der Praxis enthalten sind - sind untergegangen: den weniger theoretisch als praktisch begabten Jugendlichen eine Grundbildung zu geben, die eben ihre speziellen Begabungen entsprechend fördert. Ob dies im neuen ÖVP-Konzept erreicht werden kann, wage ich zu bezweifeln.

Und deswegen erfreche auch ich mich, laut zu denken: Wie wäre es mit einer Aufteilung der Hauptschule in zwei - gleichberechtigte -Typen, einen mehr praktisch, einen mehr theoretisch orientierten (wie es auch im Gymnasium verschiedene Wahlmöglichkeiten gibt), innerhalb derer wohl immer noch genügend Möglichkeiten zur Differenzierung in Leistungsgruppen -begabungsspezifisch - erhalten blieben. (Wenn daneben das Gymnasium als Vollform erhalten bleibt, mag sich diese Hauptschule auch gerne „Gesamtschule“ nennen!)

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