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Denkanstoß Österreich

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Ich kam nach Wien etwa zwei Monate nach der Regierungsbildung, die den Nationalratswahlen von 1983 folgte. Ich wußte, wie sehr die österreichische Politik gegenüber Israel von einer bestimmten Persönlichkeit geprägt worden war.

Es wurde mir von maßgebender Stelle versichert, daß sich der Ton und die Atmosphäre der Beziehungen zwischen Österreich und Israel unverkennbar ändern würden. Diese Entkrampfung ist auch eingetreten.

Wenig stellte ich mir vor, daß sich uns drei Jahre später die angestrebte Entkrampfung wieder entzieht, und daß ich wohl auch heute gut beraten wäre, keine Namen zu erwähnen.

Es ist nicht die Aufgabe eines Botschafters, öffentlich die Politik seiner eigenen Regierung in Frage zu stellen. Noch weniger soll er die seines Gastlandes kritisieren.

Er kann und darf sich jedoch dafür einsetzen, daß trotz gegenseitiger Vorwürfe die Gemeinsamkeiten nicht außer acht gelassen werden; daß Wege zu besserem gegenseitigen Verstehen gesucht und gefunden werden; daß der Zukunft nicht weniger als der Vergangenheit der ihr gebührende Platz in dem Denken und den Gefühlen der Menschen beider Länder eingeräumt wird.

Es würde fernerhin seiner Glaubwürdigkeit Abbruch tun, versuchte er, Unzulänglichkeiten in seinem Lande zu verheimlichen. Im Rahmen dieser Zwänge und in diesem Sinne suchte ich, in den letzten drei Jahren den Staat Israel in Österreich zu vertreten, wohl wissend, daß Beziehungen zwischen Staaten und Völkern nicht nur und nicht immer über den Botschafter gehen, gehen brauchen und gehen sollen.

Ein Diplomat kann zufrieden sein, wenn er unumgängliche Schwierigkeiten nicht größer macht, als sie es ohne sein Zutun wären; wenn er, über die unbedingte Loyalität zu seiner Heimat und ihren Interessen hinaus, seiner Regierung die Einsichten zur Verfügung stellt, die sich aus seiner Erfahrung und Anwesenheit an seinem Posten ergeben. Mehr kann er wohl nicht tun, weniger darf er nicht.

In dem immerwährenden Spannungsfeld zwischen menschlicher Unzulänglichkeit und der großen Ungeduld mit der Kondition des Menschen liegt die Hoffnung auf Verbesserung. Beim Abschied nicht nur von Wien, sondern von fast vierzig Jahren im Dienst des Staates Israel, bin ich froh, glauben zu dürfen, daß ich vielleicht im Bereiche meiner Verantwortungeinen kleinen Beitrag leisten konnte.

Ich fühle mich heute bemüßigt, über die Verbindung eines Israelis mit dieser Stadt und diesem Lande nachzudenken. Ein Israeli sucht und findet in Wien zu gleicher Zeit Verbundenheit mit Vorstellungen und Erinnerungen, die ihm diese Stadt zur Fülle bietet, wie auch ein Entweichen von Zwängen, die hier, mit Recht oder zu Unrecht, schon vergessen oder noch unbekannt sind.

In den letzten 150 Jahren waren in Wien alle Strömungen des jüdischen Lebens vertreten. Das Geistesleben, nicht weniger aber die Kunst, Wirtschaft und Politik dieser Stadt und dieses Landes — und damit ist Österreich nicht nur in seinen heutigen Grenzen gemeint — sind ohne den Beitrag von Juden undenkbar.

Heute leben in Österreich nur sehr wenige Juden; zehntausend; wurden Opfer der nationalsozialistischen Ausrottungspolitik, viele, unter ihnen prominente Wissenschaftler und Künstler, mußten fliehen. Die Juden, die sich vor den Mördern retten konnten, bauten den Staat Israel.

Erinnerungen an den Schutzbund und die Erfahrungen der Sozialpartnerschaft, der Staatsvertrag und die immerwährende Neutralität — sie alle liefern dem geschichts- und politisch bewußten Israeli interessante Anhaltspunkte und Denkanstöße.

Die Auseinandersetzungen mit der Nationalitätenfrage im habs-burgischen Vielvölkerstaat standen an der Wiege des Zionismus und anderer Strömungen der jüdischen Moderne. Jahrzehnte später beeinflußten sie die Ausarbeitung der Autonomievorschläge für die palästinensischen Araber. Die Wirtschaftssanierungs-pläne im Israel von 1985 haben den Erfahrungen Österreichs in den fünfziger Jahren manches zu verdanken.

Die schwere Wolke der Geschehnisse von 1938 bis 1945 wird wohl noch lange das Wien von heute für den Israeli von heute als einen Ort erscheinen lassen, in dem sein Aufenthalt nicht nur Museen, Kaffeehäusern und Konzerten gewidmet sein kann.

Er nimmt aber, trotz lautstarker gegenteiliger Behauptungen, zur freudigen Kenntnis, daß Demokratie wiederhergestellt werden kann, die es den Österreichern gestattet, ihre Gegenwart in Wohlstand, Friede und Freiheit zu genießen, daß die Vergangenheit jedoch auch dieser Republik, zu weltweiter Betroffenheit, auflauert. Ich wünsche, daß es gelingt, auch die jetzigen Klippen zu umsegeln.

Der Autor war seit 1983 Botschafter des Staates Israel in Osterreich. Der Beitrag zitiert auszugweise seine Abschiedsrede vor der Osterreich-Israel-GeSeilschaft am 1. Oktober in Wien.

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