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Denker in einer Umbruchzeit

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Wenn gegenwärtig viel von „europäischer Kultur" und ebensolcher „Identität" gesprochen wird, dann kommt einem Mann an der Wiege des Abendlands besondere Bedeutung zu: Aure-lius Augustinus, Bischof von Hippo und Kirchenlehrer, der bedeutendste Theologe und Philosoph an der Wende von der Antike zum Mittelalter, der mitten in den Wirren der Vandalenbe-lagerung 430 starb. Johann Mader, Philosoph in Wien, unternimmt es nun erneut, den Denkweg des Augustinus im Zwiespalt und in der Spannung von „Philosophie und Christentum" auf Grundlage der Werke des Bischofs darzustellen. Es ist dies etwas wie die Summe einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung des Autors mit dem christlichen Denker. Bereits 1965 erschien von Mader das Buch „Die logische Struktur des personalen Denkens. Aus der Methode der Gotteserkenntnis bei Aurelius Augustinus". Maders Beschäftigung mit Augustinus motiviert sich.ausdrücklich aus philosophischer Absicht - theologische Streitfragen werden nur am Rande erwähnt. Aber die philosophische Absicht ist getragen von einem zeitkritischen Interesse: In der Krise der abendländischen Kultur tut es vielleicht gut, sich des Mannes zu erinnern, der im Umbruch des Römischen Reiches eine Synthese von Christentum und Philosophie zustande brachte, indem er beide entscheidend veränderte und bis in die Gegenwart zu prägen vermochte.

Das Christentum hätte vermutlich in der Gestalt, wie es sich nach den ersten Jahrhunderten aufgrund gewisser Systematisierungsversuche der altkirchlichen Schriftsteller,.als künftige Staats- und Großreligion nicht überleben können: Es fehlte ihr das geistige Gerüst, das nur mit der strengen Systematik der Griechen - verwandelt in neuplatonischer Gestalt -zu erreichen war. Andererseits konnte Augustinus die Selbstgenügsamkeit griechischen Denkens mit seinem Anspruch auf ein absolutes und autonomes, sich selbst legitimierendes Denken nicht akzeptieren. Aus dieser Spannung entwickelte er für die damalige Zeit so ungeheuer Neues - und für uns Heutige noch immer Bedenkenswertes - wie etwa seine Zeitanalyse in den „Bekenntnissen" oder seine Geschichtsdeutung im „Gottesstaat". Außerhalb der Perspektive Maders bleibt dabei weitgehend die Herkunft der Gedanken, im Mittelpunkt steht deren systematische Fruchtbarkeit innerhalb des Denkens Augustins.

Im wesentlichen läßt sich das Buch in drei Teile gliedern: Zunächst erhellt Mader den „Horizont", in dem überhaupt von Philosophie bei Augustinus gesprochen werden kann, sodann wird diese als „Frage nach dem Menschen" und letztlich als „Frage nach Gott" gewendet.

Ausführlich werden Freiheit, Personalität, Vernunft und Geist, Ich als Einheit von Leib und Geist diskutiert. Wichtig ist aber die Wandlung von einer „Philosophie der Substanz", genauer eigentlich noch: der Person, wie sie zum ersten Mal systematisch mit Augustinus in das Blickfeld abendländischer Philosophie gelangt.

Über die Interpretation einzelner Stellen mag sich wohl diskutieren lassen, der Grundansatz einer personalen Philosophie wird hier exemplarisch erarbeitet. Da der Autor sich hauptsächlich auf die Texte Augustins stützt, die übrigens in den Anmerkungen im Original zitiert werden, verweist er nur gelegentlich auf die Sekundärliteratur-daher fehlt auch ein eigenes Verzeichnis. Die Quellen, ein Personen- und Sachregister runden den Band ab.

AURELIUS AUGUSTINUS. Philosophie und Christentum. Von Johann Mader. Verlag Niederösterreichisches Pressehaus, St. Pölten/Wien 1991.447 Seiten. öS 345.-.

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