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Denker werden unbequem

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Nur wenige Monate nach dem Tod Titos regen sich in Jugoslawien Oppositionelle aller Schattierungen, die gegen das Meinungsmonopol der herrschenden KP aufmucken. Führende Parteifunktionäre schlagen mit wütenden A ttacken zurück. Indes fehlt es ihnen an modernen Argumenten in der A useinandersetzung mit den Kritikern.

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Nur wenige Monate nach dem Tod Titos regen sich in Jugoslawien Oppositionelle aller Schattierungen, die gegen das Meinungsmonopol der herrschenden KP aufmucken. Führende Parteifunktionäre schlagen mit wütenden A ttacken zurück. Indes fehlt es ihnen an modernen Argumenten in der A useinandersetzung mit den Kritikern.

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Die Erstarrung in Jugoslawien nach Tito beginnt sich zu lösen. Sehr zum Leidwesen seines Erbkollektivs, das mit der Beschwörung seines Andenkens und mit dem Ansehen Titos in der Welt weiterhin politisch für sich und für Ju­goslawien zu profitieren versucht. Ab­gesehen davon, daß die kollektive Füh­rung in Belgrad mit der Bewältigung der akut gewordenen ökonomischen Krise im Lande alle Hände voll zu tun hat.

Daß die Krise systembedingt ist und auch Vorbote angestauter gesell­

schaftspolitischer Versäumnisse, wol­len Titos Erben nicht wahrhaben. Un­ter der geistigen Elite im Lande- indes macht sich Unruhe spürbar breit. Die latente Spannung in einem Einpar­teiensystem ist zwar noch unter Kon­trolle der herrschenden Partei, aber nicht mehr zu leugnen.

Nun wenige Monate nach Titos Tod regen sich die Oppositionellen aller Schattierungen, die er selbst nur unter Aufbieten seiner Autorität unter Ein­satz des Machtapparates zurückdrän­gen und zeitweilig zum Schweigen brin­gen konnte.

Als besonders gefährlich gelten die oppositionellen Marxisten, die das gei­stige Primat und das totale politische Meinungsmonopol der herrschenden KP anfechten. Ihr Anhang ist zahlen­mäßig kaum abschätzbar, hat aber prominente Vertreter in allen Teilrepu­bliken, Nationen und Nationalitäten Jugoslawiens.

130 Intellektuelle haben kürzlich die Parteiführung in einer Petition aufge­fordert, die in der Verfassung verbrief­ten Rechte auf Freiheit der Wissen­schaft, des Geistes, der Meinung, der Rede- und der Pressefreiheit einzulösen. Sie forderten insbesondere die ersatz­lose Streichung eines Gummiparagra­phen, mit dem jeder Andersdenkende als Feind des Staates und des Volkes bedroht und zum Schweigen gebracht werden kann.

Wütende Attacken führender Partei­funktionäre und Beschwörungen, das „all dies nur den Feinden Jugoslawiens in die Hände spiele“ war die unbefriedi­gende Antwort. Auch Anklageerhe­bungen gegen Unliebsame, gab es, so den pensionierten General Tudschman, einen prominenten Sündenbock des so­genannten „kroatischen Frühlings“, der esjetzt gewagt hat, deutsche Journa­listen zu empfangen.

In der kroatischen Landeshauptstadt Zagreb war die Administrative schon immer titoistischer als Titp und ist heute auch radikaler als Belgrad. Die politische Rücksichtnahme der Haupt­stadt auf den KSZE-Prozeß in Madrid, scheint für die Provinz in Kroatien nicht bindend.

Erschreckend ist, wie wenig Lehren aus der jüngsten Vergangenheit des komplizierten Vielvölkerstaates gezo­gen wurden und wie wenig bittere Er­fahrungen beherzigt werden. Der ober­ste Kulturpapst der Partei, Nandor Major, der jetzt zur Attacke gegen die geistige Opposition bläst, empörte sich.

daß kritische Intellektuelle den Aus­bruch der geistigen Eiszeit in Jugosla­wien in das Jahr 1972 legen, da Titos berühmtes „Pismo“, zu deutsch Brief, allen liberalen Strömungen in der Ge­sellschaft ein Ende bereitet hatte.

Titos „Pismo“ leitete damals die Re­stauration des leninistischen Führungs­prinzips und totalen Meinungsmono­pols der Partei wieder ein. Die Periode hielt knapp ein Jahrzehnt, ihre Folgen dürften viel weitreichender sein.

Aus der Welt geschafft hat Tito die Köpfe der geistigen Opposition nicht, da auch er längst dem Stalinismus ab­geschworen hatte. Selbst die Entfer­nung einer handvoll oppositioneller marxistischer Philosophen, Soziolo­gen, Juristen, Wirtschaftswissenschaft­ler und Schriftsteller von den angese­hensten Universitäten im Lande, ge­währten nur einen Aufschub in der Diskussion. Sie hatten sich um die un­terdessen verbotene Zeitschrift „Pra­xis“ geschart.

Jetzt drängen sie auf die Erlaubnis zur Herausgabe der Zeitschrift „Jav- nost“ (Öffentlichkeit) in der sie ihren Dialog zur Demokratisierung des So­zialismus und Lebens in Jugoslawien wieder aufnehmen wollen.

Die ungemein heftige Reaktion der Partei auf die legalen Absichten der als „Neo-Linke“ Klassifizierten, deutet auf einen viel nachhaltigeren Einfluß auf das öffentliche Leben im Lande, als ihnen bisher zugeschrieben worden war.

Ihnen, den oppositionellen Universi­tätsprofessoren der „Praxis-Gruppe“ wird zum Vorwurf gemacht, „sozialde­

mokratischen Reformismus und eine kleinkapitalistische Restauration“ an­zustreben. Der rote Kulturpapst Nan­dor Major hat im Parteiblatt „Borba“ die um den „Status einer anerkannten Opposition“ Kämpfenden auch aufge­zählt: „Nationalisten, Neo-Linke, christliche Existentialisten, Technokra­ten, Etatisten etc“, natürlich auch den ersten Kritiker der „neuen Klasse“ Mi­lovan Djilas.

Selbst seinen Cousin, den bekannten serbischen Schriftsteller und Kopf der geplanten „Javnost“, Dobrica Cosic, schonte der Exekutivsekretär des Par­teipräsidiums des BdKJ, N. Major, nicht. Kaum einer aus der bekannten politischen Requisitenkammer der Feinde des Sozialismus fehlte in der großformatigen „Borba“, was die mit Versorgungsschwierigkeiten und son­stigen kleinen Alltagssorgen ausgela­stete jugoslawische Öffentlichkeit doch aufhorchen ließ.

Fehlen tut es dagegen an modernen Argumenten in der Auseinanderset­zung mit der geistigen Opposition im Lande. Der Unruhe und dem Murren des kleinen Mannes („Seit Titos Tod geht es abwärts“) kann vielleicht mit der Parole „Tito mi ti se kunemo“ („Tito wir schwören dir“) begegnet werden, der geistigen Unruhe in Jugo­slawien dagegen kaum.

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