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Denkmalenthüllung

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Was die Gazetten längst zu wissen behaupteten, ist nun offenbar geworden. Bundeskanzler Kreisky ließ den Schleier vom Bauwerk der lange angekündigten Kabinettsumbildung fallen. Die nun präsentierten Namen bieten keine Überraschungen mehr. Die vorsichtige Floskel, er werde seine Kandidaten dem Parteivorstand zur Genehmigung vorschlagen, gäbe eher einen Grund zur Verwunderung.

Laut Verfassung schlägt der Bundeskanzler seine künftigen Kollegen in der Bundesregierung dem Bundespräsidenten zur Ernennung vor

— nicht dem Parteivorstand. Also Rücksichtnahme auf die Real Verfassung, die in Österreich ja in vielen Punkten die festgelegte Bundesverfassung überspielt? Rücksichtnahme auf die Tatsache, daß die in der Verfassung nicht verankerten Parteien über die Zusammensetzung der für alle Staatsbürger vorhandenen Bundesregierung zu entscheiden haben, eine allein oder mehrere gemeinsam, je nachdem, wie die Wahlen ausgegangen sind? Im gegebenen Fall aber ist die „reale Realverfassung“ doch so, daß Spitzenkräfte der SPÖ, den Namen des künftigen Außenministers aus der Zeitung erfahren haben und sich der oberste Partei-und Staatschef doch auch sonst nicht viel hineinreden läßt, wenn es um die Auswahl seiner Mitarbeiter geht

— wie es die Verfassung vorschreibt. Die Negation der Negation? Nur der gelernte Österreicher nimmt sie widerspruchslos zur Kenntnis.

Die Namen, wie gesagt, waren schon lange bekannt. Um so eingehender wird man sich fragen müssen, was sie bringen. -

Außenminister zu sein neben einem Regierungschef, der selbst aus der Außenpolitik kommt und sehr eigene Vorstellungen von dieser mitbringt, ja für den die Außenpolitik auch an der Spitze des Gesamtstaates ein besonderes Anliegen, fast ein Hobby, bleibt — neben einem solchen Chef also Außenminister zu spielen, ist eine undankbare Angelegenheit, wenn man glaubt, auch eigene Ideen hierfür beisteuern zu können. In diesem Fall wird der Verwalter der Auswärtigen Angelegenheiten immer nur der treue Diener seines Herrn sein können, um nicht zu sagen: sein Briefträger. Wie weit es dem bisherigen Leiter des Verfassungsdienstes, Sektionschef Pahr, gelingt, mehr zu sein, muß abgewartet werden. An Loyalität seinem Meister gegenüber hat er es bisher nicht fehlen lassen. Im Ressort dürfte sich wenig ändern.

Zwei neue Männer an neuralgischen Punkten der Gesellschaftspolitik lassen dagegen auch neue Akzente erwarten. Der Sozialversiche-rungsexperte Weißenberg hat schon in den vergangenen Monaten erkennen lassen, daß er sehr konkrete Vorstellungen von dem hat, was seiner Meinung nach im Sozialsektor reformiert gehört. Daß diese Reformen mehr in Richtung auf einen allumfassenden Gesundheits- und Al-ters-Versictoerungsdienst hinlaufen, als auf eine Stärkung der Eigenvorsorge, dürfte klar sein. Gerade in diesem Sektor scheiden sich die Geister.

Dem gelernten Forstwirt Haiden sehen die Bauern mit einer gewissen Skepsis entgegen. Sein Vorgänger Weihs war, bei aller Bindung an die eigene Partei, ehrlich bemüht, die gerechten Anliegen seiner Schützlinge zu vertreten. Das wurde auch vom politischen Gegner anerkannt, vielleicht sogar mehr als in den eigenen Reihen. Haiden ist ein anderer Typ. Er wird das Mißtrauen in den

bäuerlichen Reihen gegen eine in ihren Augen gefährliche Agrarpolitik erst überwinden müssen. Ein Staatssekretär aus der Minderheitsfraktion der Landwirtschaftskammern wird ihm diese Aufgabe kaum erleichtern können, aber aus der Mehrheitsfraktion ist eben keiner zu gewinnen. Im an „Reichshälften“ gewöhnten Österreich, in der hier herrschenden zweigeteilten Atmosphäre, ist man gern mit dem Titel „Überläufer“ bei der Hand.

Bleibt der neue Vizekanzler. Hannes Androsch hat — doch wohl schon sicher — das Rennen gemacht. Hertha Firnberg, trotz aller für sie sprechenden Argumente, bleibt das Nachsehen. Denn Androsch soll aufgebaut werden, um später einmal die Nachfolge des großen Meisters antreten zu können. Für einen Finanzminister ein an sich schon schwieriges Unterfangen in einer Zeit, da auch dem nur in mittleren Einkommenshöhen schwebenden Normalverbraucher ob der Abzüge die Augen überzugehen pflegen. Ihm mag zugute gekommen sein, daß der große Konkurrent in Wien nun auf Jahre hinaus mit Reformaufgaben ausgelastet sein wird, wenn er schon nicht von der einstürzenden Reichsbrücke mitgerissen worden ist.

Aber ist diese Frage wirklich schon geklärt? Gerade der Ablauf der Reichsbrückendiskussion in der Stadthalle kann die Erwartung offen lassen, daß trotz „realer Realverfassung“ Überraschungen im weiteren Verlauf der Dinge nicht auszuschließen sind. Und schließlich hat Kreisky selbst kürzlich zu erkennen gegeben, daß dies nicht die letzte Änderung der Mannschaft bis zu den Wahlen sein soll.

Was bleibt also unter dem Strich von der ominösen Pressekonferenz, die der ORF so wichtig nahm, daß er fast 24 Stunden hindurch in jeder Nachrichtensendung die immer wieder gleichen Einzelheiten aufzählte? (Es gab schon wichtigere Ereignisse, die nach einer, höchstens zweimaliger Erwähnung wieder dem Vergessen überlassen wurden.)

Endergebnis scheint also wohl zunächst der Eindruck, daß Kreisky der Meinung war, die Medien hätten schon zu lange Zeit gehabt; sich über Reichsbrücke und Wiener Konferenz auszulassen. Solange aber der große Meister abwesend ist, gibt es keine Innenpolitik. Also zog man die für Anfang September vorgesehene „Denikmalenthüllung“ eben auf Mitte August vor.

Die zweite zu ziehende Schlußfolgerung scheint uns zu sein, daß das „Minister-Nachfolge-Spiel“ auch in den nächsten Jahren noch seine erfolgreiche Rolle zur Ablenkung von grundsätzlichen Fragen spielen soll. Solange man sich den Kopf zerbrechen kann, wer Leodolter oder Lütgendorf ablösen soll, hat man keine Zeit, aufsteigende Versuchsballons auf ihre ideologischen Treibgase hin zu analysieren.

Und schließlich noch eine dritte: Das Reservoir an „liberalen“ Persönlichkeiten, die in der Ministerriege eingesetzt werden könnten, scheint ebenso schütter zu sein wie die Bereitschaft der Partei, solche zu akzeptieren. Weißenberg und Haiden deuten eher auf ideologisch verschärfte Absichten. Pahr mag den Vorstellungen des Kanzlers von „Liberalität“ entsprechen, ob er die „sechs Prozent der Wähler“ einerseits halten, die Freundschaft der Partei anderseits für sich gewinnen kann, das dürfte noch sehr offen sein.

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