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Denn nur einer ist euer Vater

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Den Priester als Hirt hat Bischof Johann Weber in FURCHE Nr. 26 gezeichnet; Paul Weß stellt den für die Einheit mit der Gesamtkirche verantwortlichen Priester gegenüber.

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Den Priester als Hirt hat Bischof Johann Weber in FURCHE Nr. 26 gezeichnet; Paul Weß stellt den für die Einheit mit der Gesamtkirche verantwortlichen Priester gegenüber.

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Ein hierarchisches Bild des Priesters, das in diesem den vorgesetzten Leiter der Gemeinde, den Hirten seiner Herde, sieht, entspricht sicher weitgehend dem faktischen Zustand der Kirche. Doch kann es damit auch die Norm und die Zielvorstellung sein? Besteht nicht die Gefahr, daß eine solche Vorstellung, wenn sie theologisch untermauert wird, die Entwicklung der Christen zur Mündigkeit hemmt?

Auseinandersetzungen über solche Fragen dürften schon in der frühen Kirche eine Rolle gespielt haben. Der „Sitz im Leben" von Mt 23,8f könnt darin liegen: „Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder (und Schwestern). Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel."

Sollte nicht gerade die Kirche ein Modell der „Geschwisterge-sellschaft" (Alexander Mitscher-lich) sein, eine herrschaftsfreie Kommunikation verwirklichen (vgl. Mk 10,41-45)? Wie konnte es passieren, daß gegen so eindeutige Aussagen der Priester zum Vater, der Papst zum „Heiligen Vater" wurde?

Nach den Untersuchungen des französischen Theologen Jean-Paul Audet über Ursprung und Frühgeschichte des priesterliehen Dienstes wurden bereits im 3. Jahrhundert die Gemeinden so groß und anonym, daß die Bezeichnung Bruder den Klerikern unter sich vorbehalten wurde. Diese übernahmen immer mehr die Aufgaben, die früher von der ganzen Gemeinde getragen wurden. Diese Entwicklungen wurden noch verschärft, als Kaiser Konstantin sich dem Christentum zuwandte und dieses zur Staatsreligion wurde. Während im Sinne, des Evangeliums alle Jünger Jesu miteinander die Menschen zu Gott führen und damit Hirtendienst erfüllen sollen, wurde dies nun zur Aufgabe eines eigenen Amtes innerhalb der Kirche. Nicht mehr die Gemeinde verkörpert Christus für die Welt, sondern der Priester repräsentiert Christus für die Gemeinde.

Wenn eine solche faktische Entwicklung, welche den Zielvorstellungen des Neuen Testaments nicht entspricht, zur Norm der Kirche wird, bleibt diese auf dem Weg zu ihrem Ziel stecken. Selbstverständlich haben Eltern die Aufgabe, ihre Kinder zu behüten und zu leiten. Aber sie dürfen diese deshalb nicht in dieser Abhängigkeit festhalten, im Gegenteil, sie sollen sie zur vollen Mündigkeit führen, in der sie Partner ihrer Eltern werden. Ebenso darf die Aufgabe der Kirche, die Menschen zu Gott zu führen, nicht so mißverstanden werden, daß es in der Kirche selbst einen Wesensunterschied von Führern und Geführten, von Hirten und Herde, geben soll.

Doch wie bereits angedeutet, wurde und wird auch heute diese faktische Entwicklung auch theologisch untermauert. Dies geschah und geschieht immer noch vor allem dadurch, daß stillschweigend Aussagen Jesu über die Aufgabe der Jünger, die eigentlich für alle Jünger und damit für alle Christen gelten, nur auf die Priester bezogen werden; als ob sie zu den Jüngern als Träger des Priesteramtes gesagt wordin wären. Aus der Sendung aller Jünger in die Welt wird damit die Übertragung des Priesteramtes in der Kirche.

Wenn hingegen Jesus zu seinen Jüngern sagt: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe" (Joh 15,15), dann ist dieser Satz zu allen gesagt, die sich ganz auf die Nachfolge Jesu einlassen, nicht nur zu den Trägern des Priesteramtes.

Wenn es also wieder dazu kommen soll, daß die Kirche als ganze der Leib Christi ist und sein Wirken fortsetzt, muß diese Verengung und das damit verbundene Gegenüber von Priester und Laien in der Kirche überwunden werden. Dann wird erst richtig die Tragweite der Aufgabe gesehen werden, alle Christen zu einer mündigen Glaubensentscheidung zu führen, wie sie bisher nur den Priestern und Ordensleuten zugemutet und ermöglicht wurde. Dazu wird wohl auch die Einführung einer Erwachsenentauferneue-rung nach einem entsprechenden Katechumenat nötig sein (so wie die Priester im Seminar und die Ordensleute im Noviziat sich auf ihre endgültige Bindung an Gott in der Nachfolge Jesu Chri-ste vorbereiten). Dann werden alle Christen um ihre Berufung wissen, Hirten zu sein.

Natürlich wirft ein solches Bild der Kirche sofort die Frage auf, worin denn dann noch die Aufgabe des Priesteramtes besteht. Die Antwort ist durch eine tiefere Besinnung auf das Verhältnis von Kirche und Gemeinde zu finden: Wenn die Christen nicht durch eine hierarchische Leitung zusammengehalten, sondern durch geschwisterliche Liebe untereinander verbunden sind, dann kann die entsprechende Gemeinschaft nur in überschaubaren Gemeinden verwirklicht werden. Diese Gemeinden müssen aber untereinander in der Gemeinschaft der Kirche vereint sein. Die einzelne Gemeinde kann sich nicht selbst zu einer Gemeinde der Kirche erklären, sie muß in diese aufgenommen werden. Dies geschieht dadurch, daß einem ihrer Glieder bei der Priesterweihe vom Bischof im Namen der Gesamtkirche das Vertrauen ausgesprochen und die Verantwortung übertragen wird, für die Einheit der Gemeinde mit der Gesamtkirche (und mit Christus) zu sorgen und diese — vor allem durch die Leitung der Eucharistiefeier — sichtbar zu machen.

Die Umstellung von der faktischen Priesterkirche, die in Klerus und Laien strukturiert ist, zu einer Gemeindekirche, die aus Gemeinden besteht, zwischen denen die Priester als Verbindungsglieder wirken, ist ein mühevoller Vorgang. Er setzt von allen Beteiligten ein großes Umdenken voraus. Es gibt dabei wie in jeder Entwicklung — im Erwachsenwerden, in der Liebe — auch Krisen. Dennoch ist dieser Prozeß notwendig, damit die Kirche als „neue Familie" (vgl. Mk 3,31-35, und 10,28-31) Modell einer neuen Gesellschaft sein kann, in der Gott der einzige Herr und Vater aller Menschen ist.

Der Autor ist Theologe und Priester in der Pfarre Wien-Machstraße; siehe dazu auch sein Buch „Ihr alle seid Geschwister, Gemeinde und Priester", Verlag Grünewald-Mainz, 1983.

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