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.. . denn sie wissen nicht, wofür sie sind"

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,,Rettet die Fatterschaft": Für all jene, die der Fristenlösung skeptisch gegenüberstehen, haben radikale Frauengruppen nur Spott übrig. Die linken ,,Rotstrümpfe" feiern das als Sieg der Frauen über die Männerwelt („ Wir wollen unsere Körper nicht mehr der staatlichen und kirchlichen Bevölkerungspolitik zur Verfügung stellen!"), was gerade mehrheitlich den Männern paßt: die Freigabe der A btreibung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten.

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,,Rettet die Fatterschaft": Für all jene, die der Fristenlösung skeptisch gegenüberstehen, haben radikale Frauengruppen nur Spott übrig. Die linken ,,Rotstrümpfe" feiern das als Sieg der Frauen über die Männerwelt („ Wir wollen unsere Körper nicht mehr der staatlichen und kirchlichen Bevölkerungspolitik zur Verfügung stellen!"), was gerade mehrheitlich den Männern paßt: die Freigabe der A btreibung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten.

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Seit dem 1. Jänner 1975 ist in Österreich der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate-straffrei. Diese sogenannte Fristenlösung ist nach fünfeinhalb Jahren ebenso umstritten wie vor ihrem Inkrafttreten. Mehr noch: Nicht nur für die Gegner, auch für ihre Verfechter ist das keine Lösung, die sie verstehen. Sie wissen eigentlich nicht, wofür sie sind.

Das ist das Ergebnis einer vom Fessel-Institut im heurigen Sommer im Auftrag der „Aktion Leben" durchgeführten Meinungsumfrage, die die Bewußtseinsbildung zum Thema Fristenregelung untersucht hat.

Bei aller Vorsicht, mit der Meinungsumfragen interpretiert werden müssen, zeichnet sich ab: Die Zeit arbeitet gegen die Fristenregelung in der gegenwärtigen Form. Das Lager derer, die dieser Fristenlösung ablehnend gegenüberstehen, wird langsam größer (siehe auch Tabelle).

50 Prozent der insgesamt 1500 Befragten erklärten sich Ende Juli/Anfang August 1980 mit der Fristenlösung einverstanden, immerhin um drei Prozent weniger als vier Jahre zuvor.

Hingegen hat das Lager jener, die mit der gegenwärtigen Regelung nicht einverstanden sind, von 40 auf 46 Prozent zugenommen.

Signifikant (auch in den Augen der Meinungsforscher) ist die Zustimmung der Männer zum freigegebenen Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten: Mit 54 Prozent dokumentieren sie deutlich, daß sie sich durch die Fristenlösung in ihrer Verantwortung gegen Frau und Kind ein Stück freier fühlen.

Demgegenüber lehnen die Frauen, um deren Selbstbestimmung es angeblich gegangen ist, heute schon die Fristenlösung mehrheitlich ab. Und bei den Frauen hat, sicherlich durch die Er- , fahrungen mit diesem Gesetz, bereits ein Umdenken begonnen.

Es sind auch nicht die Ärmsten, die die Fristenregelung als Lösung sozialer Notsituationen betrachten: In der untersten Einkommensgruppe (bis 6000 Schilling monatliches Nettoeinkommen) sind 59 Prozent nicht damit einverstanden, nur 38 Prozent sind dafür.

Hingegen sind es gerade Gutverdiener, die sich nach dem Motto: „Mein Wohlstandsbauch gehört mir" entscheiden: Unter jenen, die zwischen 13.000 und 17.000 Schilling netto monatlich verdienen, befürworten 57 Prozent die Fristenlösung, 40 Prozent lehnen sie ab.

Eine Auswertung der Befürworter und Gegner nach Altersgruppen bringt

ein vorerst überraschendes Ergebnis: Die Momentaufnahme der Meinungsumfrage im heurigen Sommer sieht bei den 14- bis 19jährigen eine 64-Prozent-Gegnerschaft zur Fristenlösung, während sich nur 29 Prozent mit ihr einverstanden erklären.

Unbestritten ist, daß unter den Jungen in den letzten Jahren ein Umdenken stattgefunden hat. Die Frage nach dem Sinn des Lebens, die Einstellung zum Leben insgesamt, beschäftigt gerade diese Altersgruppe und hat sicherlich auch Rückwirkungen auf das Verhältnis zum werdenden Leben.

Zum Vergleich: Vor vier Jahren waren 47 von 100 Jugendlichen dieser Altersgruppe gegen die Fristenlösung und 42 dafür.

Meinungsforscher registrieren zwar einen Trend, halten ihn aber in diesem Ausmaß sozialpsychologisch für nicht ganz erklärbar; technische Umfragegründe werden nicht ganz ausgeschlossen. nbsp;t

Nach all dem sollte man eigentlich annehmen, daß die Bewußtseinsbildung zum Thema Fristenlösung schon sehr weit fortgeschritten ist. Das ist sie nicht. Zu den wesentlichen Kernfragen des Gesetzes hat sie praktisch noch überhaupt nicht begonnen.

Bei konkreten Fragen zur Fristenlösung stießen die Meinungsforscher auf naTiezu totale Ahnungslosigkeit, bei den Befürwortern ebenso wie bei den Gegnern.

Zum Beispiel: Nur 60 von 1500 Befragten, also lediglich vier Prozent, wußten auf die Frage, welcher Arzt einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen darf, die richtige Antwort: jeder, 61 Prozent glaubten, der Eingriff dürfe nur von Fachärzten vorgenommen werden.

Und gar nur zwei Prozent gaben die richtige Antwort, daß der Eingriff in jeder Ordination (und nicht in speziell da-' für eingerichteten Praxen) durchgeführt werden kann.

Die Unwissenheit ist bei Männern und Frauen quer durch alle Berufsgruppen gleich groß. Selbst Akademiker sind kaum besser informiert als Grundschulgebildete.

Nur fünf von 100 Befürwortern wissen wirklich, welcher Arzt sie durchführen darf, von den Gegnern sind es vier Prozent.

■ Ebenso ahnungslos sind die Österreicher in der Frage, ob die Frau für den

Schwangerschaftsabbruch einen Grund angeben muß. Zwei Drittel bejahten dies - und antworteten damit falsch. Denn es kann grundlos abgetrieben werden. 55 Prozent der Befürworter und 79 Prozent der Gegner kennen diese gesetzlichen Bestimmungen nicht.

Und auf die Frage, ob zwischen dem Entschluß zur Abtreibung und dem Eingriff eine Bedenkzeit einzuhalten ist, vermuteten dies 68 Prozent. Nur 22 Prozent wußten richtig, daß hierzulande ohne jede Uberlegungsfrist abgetrieben werden kann.

Daß reine Wissensfragen über das Entstehen des menschlichen Lebens dann nur von einer verschwindenden Minderheit richtig beantwortet werden können, nimmt schon gar nicht mehr Wunder.

Auffallend ist freilich, daß die Befragten das Gesetz für vernünftiger halten,, als es wirklich ist. Daraus ergibt sich für die Zukunft die Notwendigkeit einer Sachdiskussion abseits jeder Polemik.

Zuvor aber ist noch harte Aufklärungsarbeit notwendig: damit die Österreicher einmal wirklich wissen, wofür oder wogegen sie sind.

Denn nunmehr wurde klar: Die Fristenlösung, die heute noch 50 Prozent befürworten, ist nicht die, die sie sich vorstellen.nbsp;

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