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Der 25. Juli 1934 - nach 40 Jahren

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Zur Fernsehdokumentation über die Ereignisse des 25. Juli 1934 in Österreich, verfaßt von Hellmut Andics, ist eigentlich nur zu bemerken, daß sie sich in Bildregie und Kommentar von anderen ähnlicher Art nicht unterschieden hat. Positiven Eindruck hinterließ die plastische Darstellung der skurril anmutenden Wege, welche die Meldung des Kriminalbeamten Dobler über den geplanten Putsch zwischen 10 Uhr und 11.45 Uhr des 25. Juli nahm, wobei die Einzeichnung in den Wiener Stadtplan für den mit den lokalen Verhältnissen weniger vertrauten Betrachter eine willkommene Hilfe war.

Weniger glücklich — rein vom Bildhaften her — erwies sich der Versuch einer Rekonstruktion der Geschehnisse am Ballhausplatz unter Zuhilfenahme mit. Namenstafeln versehener, eher unbeholfen wirkender Statisten. Die spärlichen Originalaufnahmen, soweit nicht überhaupt aus dem Zusammenhang gerissen, trugen wenig zur Verdeutlichung dessen bei, was wirklich geschehen war. Nun war allerdings die Sendung eine Reprise des bereits 1964 ausgestrahlten Programms mit dem viel interessanteren Zusatz einer Ankündigung weiterer Forschungsergebnisse des Wiener Instituts für Zeitgeschichte, die leider im zeitlichen Rahmen des Sendeprogramms — wenigstens nach Meinung dieses Rezensenten — etwas zu kurz kam.

Daß die Rolle Emil Feys, besser noch vielleicht dessen Persönlichkeit, auch heute ' noch nicht zur Gänze geklärt erscheint, mag verständlich klingen, wenn damit seine Haltung zwischen dem 10. und dem

25. Juli 1934 gemeint ist. Hinsichtlich des letzteren, entscheidenden Datums sind die Akten — wenigstens für den Erlebniszeugen — wohl schon geschlossen. Er wollte seine Unentbehrlichkeit beweisen und der Retter sein; was ihm mißlungen ist. Was den noch immer unaufgeklärten zweiten Schuß auf den bereits tödlich getroffenen Kanzler Dollfuß betrifft, ist es wohl irrelevant, ob Planetta oder ein anderer Putschist ihn abgegeben hat, nachdem die letale Wirkung des ersten Nahschusses unbestritten blieb.

Überraschend wirkt, daß die Frage, ob Mord oder „unglücklicher Zufall“, als offenstehend bezeichnet wird. In seinem Schreiben an Herrn von Papen, datiert Bayreuth,

26. Juli 1934, bemerkt Hitler, daß „das Attentat gegen den österreichischen Bundeskanzler... von der deutschen Reichsregierung auf das schärfste verurteilt und bedauert wird“. Und der damalige Reichsaußenminister von Neurath, beim Kriegsverbrecherprozeß in Nürnberg vom englischen Anklagevertreter 1946 auf seine Mitverantwortung befragt, erklärte wörtlich: „Wenn ich für jeden einzelnen Mörder verantwortlich wäre, für jeden einzelnen deutschen Mörder, der im Ausland sich betätigte, dann hätte ich viel zu tun gehabt...“

Im Grunde ein makabres Spiel um Worte; und zwar, so wie die Dinge liegen, juristisch sowohl, wie auch politisch, historisch. Selbst wenn der erwiesenermaßen unbewaffnete Dollfuß, ja selbst wenn er bewaffnet gewesen wäre, sich gegen den wehrt, der mit erhobener Pistole gegen ihn eindringt, und dabei ums Leben kommt, wurde er dann nicht ermordet?

Aber von Interesse ist wohl nur, und so war es auch offenbar gemeint, ob sich hieb- und stichfest erweisen läßt, daß der Mord — in der offiziellen Diktion hieß es die „Beseitigung“ — des Kanzlers Dollfuß vorbedacht in die Planung des Putsches einbezogen war. Und dafür spricht nach der Aktenlage wohl sehr viel mehr, als dagegen.

Um auf den Dokumentarbericht zurückzukommen, er gibt abgesehen von den nicht wesentlichen Bildunterlagen genau das wieder, was im „Zeitlichen Bericht über die Ereignisse des 25. Juli 1934 in Wien“ im Bericht der Historischen Kommission des Reichsführers SS (144 ff.) veröffentlicht wurde. Und zwar im wesentlichen durchaus den Tatsachen entsprechend.

Manche Schlußfolgerungen jedoch sind bestreitbar; und zwar im Dokumentarbericht, wie im Schlußteil der Sendung.

Daß der Sicherheitsapparat versagte, stimmt und wurde auch schon im Braunbuch der österreichischen Bundesregierung (1934) kritisch bemerkt. Daß dabei absichtliches Zuspätkommen nicht ganz von der Hand zu weisen ist, ist ein Verdacht, der sich jedem aufdrängt, der um die Namen Steinhäusl, Goltzman und etliche andere in den führenden Rängen der damaligen Wiener Polizeidirektion weiß. Daß jedoch Staatssekretär Karwinsky und General Zehner ihren Aufträgen nicht nachgekommen seien, bedürfte des Beweises. Er wird nicht zu erbringen sein.

Und schließlich noch ein Wort zu heute gängiger politischer Münze, an die ein Filmkommentar erinnerte: Mit Stahlhelmen und Gewalt lasse sich auf die Dauer nicht regieren. Das stimmt natürlich genau und wurde bekanntlich schon von Metternich gegenüber Napoleon in seinem Bajonetten-Ausspruch vermerkt. Dennoch hat es vorher und nachher — und in den verschiedensten Nationen — wiederholt Ausnahmesituationen gegeben, die Episoden blieben, und — als Roßkur, wenn man so sagen will — für die innere Gesundung und Besinnung später mehr beigetragen haben, als man nachträglich zuzugeben bereit ist.

Was nicht stimmt, ist, daß irgendein politisches System oder irgendeine Staats- oder Gesellschaftsform damals, nämlich 1934 oder 1938, die vorübergehende Entwicklung im gespaltenen Europa, wie es nun einmal damals war, ändern oder auch nur bremsen konnte. Beweis? Die tschechoslowakische parlamentarische Demokratie; das Oberstenregime in Polen; die Königsdiktaturen in anderen Staaten. Oder auch Finnland in seinem Verhältnis zu Sowjetrußland.

In der „Wochenpresse“ (24. Juli) beginnt die Folge einer Artikelserie zum Thema „Mord an Dollfuß“ mit dem Satz: „Spätestens Ende Mai 1934 wußten die Behörden, daß .etwas Großes' bevorstand. Am 29. Mai kam eine weitere Warnung vom Sicherheitsdirektor von Tirol über eine bevorstehende, von Bayern ausgehende Großaktion ...“

In der Tat ließ diese bayrische Großaktion nicht lange auf sich warten. Denn auch der makabre Tag von Wiessee am Tegernsee (30. Juni), der unter dem Stichwort „Röhm-Pütsch“ im Erinnerungskalender steht, jährt sich zum 40. Mal.

1934 ist überhaupt nicht nur in Österreich ein Jahr des Unheils gewesen. In Paris war es im Nachhang zum Stavisky-Skandal im Februar zu blutigem Aufruhr und zum Sturz der Regierung gekommen. Sechs Tage später brach der Februaraufstand in Wien aus, dessen Tragik und paralysierende Wirkung auch ohne Generalstreik, der nicht zustande kam, in all den 40 Jahren nachher lebendig blieb. Im Herbst des gleichen Jahres hatte der Mord am jugoslawischen König Alexander und am französischen Außenminister Barthou die Weichen für kommende düstere Zeiten gestellt. Aber auch in Übersee, den USA, wie auch in Japan und China, standen die Zeiger auf Mordtat und Gewalt. Die heile Welt, so es eine solche jemals gab, war aus den Fugen geraten. Auch wenn noch kaum jemand es wahrhaben wollte, daß eine Wegstrecke von kurzen fünf Jahren 1934 vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und von weiteren sechs langen Jahren von dessen Ende trennte. Alte Monumente stürzten; die neuen hießen vorerst Stalin und Mao Tse-tung.

Ja, „an der schönen blauen Donau“ war mit dem 25. Juli der zweite verhängnisvolle Tag des Unglücksjahres 1934 angebrochen. Und am 27. Juli — 40 Jahre später, nahmen die Zuseher eines ORF-Programms, eine neue Generation, von seiner Erinnerung vorübergehend wieder Abschied. Tags zuvor schon hatte der Abendrundfunk einen geschichtlichen Rückblick ausgestrahlt. Wer den Vorzug hat, das Zweite Deutsche Fernsehen zusätzlich zu empfangen, der konnte laut Programm am 27. Juli abends unmittelbar vor dem heimischen Fernsehspiel die Sendung: „Erkennen Sie die Melodie?“ abhören. Als Uberleitung sozusagen.

Das Spiel sollte an die Hintergründe des Dollfuß-Mordes erinnern. Natürlich nur an jene von „der schönen blauen Donau“, an der ja schließlich auch die Deutsche Gesandtschaft liegt. Von Dollfuß war nur sehr vorübergehend die Rede, soweit es zur Überleitung (siehe oben) paßte. Mehr schon von Rin-telen, dessen sehr gute Maske übrigens hervorstach. Überhaupt lag der Vorzug des Spiels in seiner hervorragenden Besetzung. Christiane Hörbiger als Tini Gasser, optisch und akustisch gleich erfreulich, stellte unter Beweis, was reife Kunst auch aus einer an sich nicht sehr ergiebigen Rolle machen kann. Attila Hörbiger, Tinis Vater, als alter disziplinierter Sozialdemokrat, beherrschte eindeutig die Szene, in seiner Darstellung des Menschen, die heute wohl in unserer Mundart wenig ihresgleichen hat. Er wirkt glaubhaft, einfach weil er das Leben spielt wie es ist, und in jeder Rolle die Seele des Menschen sucht. Auch Fritz Muliar als sein Gegenspieler Wondrak erwies sich als Meister in Charakteraufzeichnung und Dialog,ähnliches gilt für die anderen Hauptdarsteller, den Polizeiinspektor inbegriffen, während sich von der Statisterie — die glänzenden Lederhosen und die weißen Wadenstrümpfe ausgenommen — kaum ein Eindruck berichten läßt.

Ja. Es gab wohl auch Charaktere im Spiel, das ja auf kritische Analyse des gesellschaftspolitischen Hintergrunds ausgerichtet war, die überhaupt fehlten oder nur unsichtbar mit dabei waren. Obwohl sie dazugehört hätten. Denn wenn schon die Würstelverteilung an die exerzierende Heimwehr im Prater — durchaus im Stil — vorgeführt wurde, hätten auch die Schützkorpsmänner, anonymen Polizisten und Soldaten, die für eine Sache fielen, an die sie glaubten, oder die schlicht sich so verhielten, wie sie es für ihre Pflicht erachteten, wenigstens bei dieser Gelegenheit eine Erwähnung verdient.

Aber schließlich — mit einiger Phantasie — waren sie doch im Spiel zu entdecken:

Nämlich im eindrucksvollen Bild, das für eine Sekunde den Friedhof der Namenlosen an „der schönen blauen Donau“ zeigte. Eine Reihe unbeschriebener Kreuze. Es hätte nur des kurzen Begleitwortes eines Komparsen bedurft; ein solches hätte den Ablauf des Fernsehspiels nicht gestört. Aber es war in der Idee, die ihm zugrunde lag, nicht drinnen.

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