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Der Abgang eines Ultramontanen

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Ende 1990 erregte innerkirchlich die Meldung Aufsehen, Jo Gijsen, der umstrittenste Bischof der Niederlande, werde die meisten seiner Funktionen zwei neuen Vikaren übertragen. Priester sollte künftig der Pronuntius weihen.

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Ende 1990 erregte innerkirchlich die Meldung Aufsehen, Jo Gijsen, der umstrittenste Bischof der Niederlande, werde die meisten seiner Funktionen zwei neuen Vikaren übertragen. Priester sollte künftig der Pronuntius weihen.

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In Roermond versucht man zu beruhigen. Bischof Gijsen werde nicht zurücktreten, sondern bis zu seinem 75. Geburtstag - also bis 2007 - weiterregieren. „Der Bischof ist nurdurch ein kleines psychisches Tief gegangen”, meint sein Pressesprecher. Seit Dezember rätselte man, ob Gijsens Schritt als Zeichen einer neuen Personalpolitik des Vatikans oder als Konsequenz aus dem Unvermögen des Bischofs, mit seinen Gläubigen umzugehen, anzusehen sei. Nach einem Rombesuch wurde Gijsen zum Teil „rehabilitiert”. Er wird selber die Priester weihen, aber die Vikare bleiben weiterhin für das meiste zuständig.

Die Ernennung Gijsens zum Bischof von Roermond war eines der ersten deutlichen Zeichen der Abkehr vom Geiste des Zweiten Vatikanums. Unter der charismatischen Führung von Erzbischof Alfrink von Utrecht war Holland zu einem Musterland dieses Geistes geworden. Die Bischöfe schrieben einen neuen Katechismus - dieser wurde später von Rom verworfen - diskutierten Geburtenkontrolle und Aufhebung des Zölibats und räumten der demokratischen Entscheidungsform zunehmende Bedeutung ein. Die Richtung der holländischen Kirche schien bestimmt.

Bis zum Schicksalstag 22. Jänner 1972. Während in Den Haag die erste Anti-Abtreibungsdemonstration stattfand, wurde bekannt, daß der Papst, alle Empfehlungen übergehend, den 40jährigen Jo Gijsen zum neuen Bischof von Roermond bestimmt hatte. Gijsen, bis dahin Rektor eines Heimes für ältere Nonnen, war nicht einmal dem Erzbischof geläufig. Informierte Quellen beschrieben ihn als gradlinigen Konservativen. „Jo entscheidet sich für etwas und beißt sich so lange fest, bis er seine Argumente hat”, sagte ein früherer Schulkollege.

Der neue Bischof stellte rasch klar, mit wem man es zu tun hatte. Gijsen verwarf den neuen Katechismus, zog Roermond aus verschiedenen nationalen Institutionen wie dem Missionsrat zurück und weigerte sich, Studenten von der Theologischen Hochschule in Heerlen zum Priester zu weihen. Stattdessen bildete er im Schloß Rol-duc seine eigenen traditionellen Priester aus. Zwei Prinzipien nahmen bei ihm einen zentralen Platz ein: uneingeschränkter Gehorsam gegenüber Rom und Beibehalt aller Traditionen ohne ja und aber. „Meine Mutter sagte immer: Du sollst nicht vergessen, daß Gott ein Mann ist. Und bei einem Mann ist es immer alles oder nichts.”

Sei es in Sachen Liturgie oder die Position der Frau, immer war Gijsen der unbeugsame Traditionalist. Ohne Probleme vollzog sich seine Amtsübernahme nicht. Gleich nach seiner Ernennung traf ein Protestschreiben von 52 Priestern ein. Auch in der tiefsten Provinz rief der neue Kurs Proteste hervor. Im 1.000-Seelen-Dorf Tienray wandte sich die Bevölkerung gegen ihren Rolduc-geschulten Pfarrer. „Die Leute hier sind nicht aufständisch. Da muß schon einiges geschehen”, meinte ein Dorfbewohner.

Mehr noch als seine Auffassungen wurde Gijsens geringe Dialogbereitschaft kritisiert. „Er herrscht wie ein autokratischer Fürst, der keine Gegenrede duldet, und er denkt, der Kirche über die Schwelle des 21. Jahrhunderts zu helfen, indem er auf mittelalterliche Werte zurückgreift”, meint Jean Rademakers vom Verein für Pastoralarbeiter.

Obwohl in den letzten Jahren nur konservative Bischöfe ernannt wurden, blieb Gijsen auch innerhalb des holländischen Episkopats weitgehend isoliert. Sogarmit seinem engsten Mitarbeiter, dem Missionsdirektor Willem van der Valk, kam es zum Bruch. Van der Valk kritisierte Gijsens strenge Kriterien für die katholischen Schulen und konnte gehen.

Ende 1990 kam schließlich die verhängnisvolle Affäre. Zwei Tage nach seiner Priesterweihe legte ein Rolducianer sein Amt nieder, denn er könne dieses nicht mit seiner Beziehung zu einer verheirateten Frau vereinbaren. Zudem habe er als Seminarist homosexuelle Beziehungen zum Vizerektor gehabt, worin er auf Rol-duc keine Ausnahme gewesen sei. Eine Folge der weltfremden Zölibatsauffassungen, meinten die progressiven Kritiker, mangelnde Autorität seitens des Bischofs, sagten die Konservativen. Die Sache endete mit der erwähnten Ernennung zweier Vikare.

Vor allem der für die Priesterausbildung zuständige Jos Punt steht in krassem Gegensatz zum Dorfkaplantypus von Gijsen. Der freundliche Bartträger studierte Wirtschaft im unruhigen Amsterdam und suchte sein Heil durch Yoga, Transzendentale Meditation und Rosenkreuzer, ehe er nach Rolduc kam. „Es gibt nur einen Glauben, aber jeder Mensch hat das Recht auf seine Vorgeschichte, auf eigenes Wachsen im Glauben.” Doch Punt möchte keinen bewußten Bruch mit der Vergangenheit: „Wir sind nicht auf einmal andere Priester geworden. Wir wollen auf den Errungenschaften des Bischofs weiterbauen.”

Antoinette, eine Theologiestudentin aus Heerlen, gibt sich gemäßigt optimistisch. „Die konservative Richtung gibt es natürlich noch immer, aber trotzdem könnte ich mir vorstellen, daß ein Wendepunkt erreicht ist.”

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