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Der ägyptische Traum

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Je kürzer die eigene staatliche Tradition, um so wichtiger wird sie bekanntlich genommen. In Ägypten ist Tradition so selbstverständlich wie der Sand in der Luft von Kairo, eine Durchschnittsgeschwindigkeit der Autos während der „Rush Hour" von einem Stundenkilometer und die unstillbare Fruchtbarkeit des einfachen Volkes.

Traditionell dauert die Rush Hour in der Nilmetropole 20 bis 22

Stunden, zur Tradition gehört es in der Zwischenzeit, daß in Ägypten in 18 Monaten die Einwohnerzahl von Wien hinzugeboren wird. In den inneren Bezirken von Kairo leben schon mehr Menschen als in ganz Österreich. Da helfen keine arabisch-glühenden Appelle und auch keine sozialistischnüchternen Anordnungen. In-schallah.

Das Gegensätzliche zu verschmelzen, ist auch heute in Ägypten unausgesprochenes wie effektives Lebens-, ja Uberlebensprinzip. Die Vereinigung von Unvereinbarem gehört zu den großen Träumen ägyptischer Spitzenpolitiker. Einträchtig strahlen die drei Präsidenten der Arabischen Republik von politischen Tabernakeln und propa-

gandistischen Plakatwänden; dreifaltig durchaus, dreieinig kaum:

Gamal Abdel Nasser, der martialische Sieger, Anwar El-Sadat, der stets lächelnde Friedensbrin-ger, und Hosni Mubarak, der, weü er die Wirtschaft wieder in Ordnung bringen will, die Annäherung nach allen Seiten sucht — heute in der arabischen und morgen in der ganzen Welt.

So verschieden die drei Präsidenten auch politisch und menschlich seih und gewesen sein mögen, mindestens dreierlei verbindet sie: das Selbstverständnis als arabisch-islamische Ägypter, die Berufung auf die sozialistische Revolution von 1952 und der unstillbare Drang, Annäherungen herstellen, Zusammenschlüsse vorbereiten zu wollen — arabisch zumal.

Da stören nicht unumstößliche Fakten und widerstrebende Interessen, noch schlimme Niederlagen. Die enttäuschenden Erfahrungen der dreijährigen Ehe mit Syrien, die bitteren Erlebnisse mit der Arabischen Liga bringen die Pharaonensöhne nicht von ihrer panarabischen Ide fixe ab.

Alle Rückschläge sind vergessen, wenn ein ägyptischer Präsident die Möglichkeit zu grenzüberschreitender Wirkung zu erkennen glaubt. Da gibt es auch weder Stolz noch Zurückhaltung.

Es gibt kaum noch einen arabischen Konflikt — und derer gibt es bekanntlich viele —, in dem sich Hosni Mubarak nicht schon als Vermittler angedient hätte. Für die arabische Sache hat er sogar eine Einladung von Israels Shimon Peres vorerst einmal auf Wiedervorlage gelegt.

Und dann ist da die neue Vereinigungsidee: mit dem krisengebeutelten Sudan. Hier beruft man sich auf traditionelle Identität, die erst durch die Kolonialmächte zerstört worden wäre. Allzu heftig allerdings umwirbt Ägypten den kranken Bruder im Süden nicht.

Jaafar Numeri freilich scheint sich durch eine Annäherung im Norden Hilfe für den turbulenten Süden seines Landes zu erhoffen. Eine Bindung an das arabisch-islamische Ägypten kann die totale Islamisierung nur fördern, so mag Numeri denken, der bekannt dafür ist, daß er sein persönliches

Schicksal stets mit seinen Staatsgeschäften zu verbinden weiß.

So kam er nicht nur zum Zwek-ke eines kleinen chirurgischen Eingriffes Mitte Oktober nach Kairo, sondern gleich auch, um sich vor dem Niltal-Parlament zu präsentieren. Ein solches haben die beiden Staaten eingerichtet, damit die künftige Kooperation und Integration auf eine tragfähige sachliche Basis gestellt würde. Die Ständigen Kommissionen haben zwar nur Empfehlungsrecht, aber sie beraten intensiv.

Auf der Suche nach handfesten Gründen, warum man denn die beiden Wüstenriesen verbinden sollte, werden sie freilich nur selten fündig; so zum Beispiel beim Tiefenwasser, das die notorischen Bewässerungsprobleme beider Länder auf Dauer lösen helfen soll. Aber dieses hat man noch nicht gefunden. Irgendwo unter der Wüste und zwischen den Grenzen soll es liegen. Man ist zwar schon in großer Tiefe auf Wasser gestoßen. Aber überall dort, wo man es herauspumpt sinkt der Grundwasserspiegel.

Den erhofften, verborgenen Zufluß aus den Tropen scheint es

doch nicht zu geben. Außer offiziellen Erklärungen und religiösen Banden, vor allem zwischen den konservativen Mohammedanern, scheint es wenig Gemeinsames zu geben.

Die ägyptische Wirklichkeit: eine ständig überproportional wachsende Bevölkerung, ein kopflastiges Bildungssystem, das unaufhörlich Akademiker produziert, die Nassersche „Pyramide" in Assuan, die mehr Umweltschäden anrichtet, als sie Energie und Nahrungsmittel hervorbringt, all das sind Probleme, die eine Vereinigung der beiden Staaten nicht lösen kann. So ist es auch nicht überraschend, daß die Vereinigungshymnen in den Jubelgazetten, in denen täglich die Glückwunschtelegramme aufgelistet werden, die sich Regierungsmitglieder aus allerlei Anlässen gegenseitig schicken, für orientalische Verhältnisse verhalten klingen. So ganz eilig hat man es in Kairo offensichtlich nicht.

Mubarak hofft auf das eine oder andere Erfolgserlebnis seiner rastlosen Reisediplomatie. Aber außer der Zusicherung finanzieller Unterstützung beim Bau eines Kernkraftwerkes und der Versicherung wechselseitiger Wertschätzung hat Hosni Mubarak etwa von seinem Staatsbesuch in Bonn kaum etwas an den Nil zurückgebracht. Aber auch solch leichtes Gepäck kann man am Nil bejubeln lassen. Auch dies hat Tradition.

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