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Der Alemannen-Spiegel wirft differente Bilder

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Sowohl innerhalb als auch außerhalb Vorarlbergs stößt man immer wieder auf die Meinung, daß dieses Bundesland „anders“ sei — anders als seine östlichen Nachbarbundesländer.

Fragt man dann nach den Unterschieden, so erhält man die verschiedensten Antworten: da sei einmal die Sprache, die sich stark von der in anderen Bundesländern gesprochenen unterscheide; die Vorarlberger seien sparsamer, tüchtiger, sie hätten einen stark ausgeprägten Freiheitssinn — sie seien „einfach anders“.

Versucht man nun, mit wissenschaftlichen Kriterien an die Fragen und Antworten beziehungsweise an deren Verifizierung respektive Falsifizierung heranzugehen, so gerät man schnell in einen Definitionsnotstand: Was charakterisiert „den Vorarlberger“?

Der Versuch, einen Typus „Vorarlberger“ zu beschreiben, der sich vom „Wiener“ oder „Tiroler“ markant unterscheidet, kann nicht in dem Maße gelingen, wie dies von Vertretern einer überzeichneten Vorarlberger Identität gewünscht würde.

Unbestritten gibt es sprachliche Unterschiede, die aber innerhalb Vorarlbergs ebenso groß sind wie die zwischen Wien und dem Burgenland. Auch die historische Entwicklung verlief im westlichsten Bundesland anders als in anderen Bundesländern. Aber auch dies dürfte kein Vorarlberger Spezifikum sein.

Entscheidend sind also die Schlüsse, die aus den andernorts gleichfalls anzutreffenden Besonderheiten gezogen werden.

Die liebgewonnenen Klischees, die in Vorarlberg gepflegt werden, führen allenthalben zu einem Selbstbewußtsein, das in einer Projektion den „Wienern“ als Inbegriff des Zentralismus negative Entwicklungen im Staate, aber auch im Bundesland selbst zuschreibt.

Der „Vorarlberger“, so wird meist ins Treffen geführt, sei Alemanne und deshalb von Natur aus

„anders“, auch mehr nach Westen zu seinen „Stammesgenossen“ hin orientiert als nach Osten.

Nimmt man nun die Vorarlberger Bevölkerung etwas genauer unter die Lupe, stellt sich ihre Zusammensetzung wesentlich differenzierter dar. Außer den Alemannen bevölkert schon seit Jahrhunderten ein nicht unbeträchtlicher Teil von „Rätoromanen“ Südvorarlberg. In jüngerer Geschichte gewann die Zuwanderung aus Italien (im 19. Jahrhundert), aus Südtirol und aus den österreichischen Bundesländern — insbesondere Kärnten und Steiermark — besondere Bedeutung. In den sechziger und siebziger Jahren dieses Jahrhunderts folgten schließlich Jugoslawen und Türken als Gastarbeiter.

Italiener, Südtiroler, Kärntner und Steirer wurden soweit assimiliert, daß sie heute wohl jeder als Vorarlberger bezeichnen wird.

Ähnliches scheint sich derzeit mit den Gastarbeitern (insbesondere den Türken), die in zweiter oder späterer Generation in Vorarlberg geboren wurden, anzubahnen. Eine Untersuchung bei Schulkindern zeigte, daß Gastarbeiterkinder die Vorarlberger Mundart besser beherrschen als „Einheimische“, deren Sprache zusehends abgeschliffen wird („Bödeledeutsch“, „Pfänderdeutsch“).

Sind die in Vorarlberg geborenen Gastarbeiterkinder gar die neuen Träger einer Sprachkultur, zu der sich sogar die Vorarlberger Landesverfassung bekennt?

Weit schwieriger als im Bereich der Sprache stellt sich die Analyse der Begriffe „Tüchtigkeit“ und „Sparsamkeit“ dar. Eine diesbezügliche Selbsteinschätzung der Vorarlberger ist in ganz besonderem Maße individuell geprägt. Der rein gefühlsmäßige Aspekt überwiegt dabei rationale Uber-legungen und empirische Forschungen.

Insbesondere die Wirtschaftsdaten lassen einen vordergründigen Schluß auf eine besondere Tüchtigkeit zu, wobei allzuoft vergessen wird, daß auch die Gastarbeiter seit dem 19. Jahrhundert maßgeblichen Anteil an der wirtschaftlichen Prosperität haben.

Es gilt auch zu berücksichtigen, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil der Vorarlberger Arbeitnehmer im angrenzenden Ausland (Schweiz, Liechtenstein, Bundesrepublik Deutschland) beschäftigt ist und somit den auch in Vorarlberg angespannten Arbeitsmarkt entlastet.

Nicht zuletzt spielen auch die geographische Lage Vorarlbergs sowie seine Wirtschaftsstruktur eine gewichtige Rolle. In Zeiten des partiellen Niedergangs der Großindustrie und des damit zusammenhängenden Strukturwandels sieht sich Vorarlberg gegenüber anderen österreichischen Bundesländern begünstigt.

Die Tendenz zu „kleinen Einheiten“ wirkt sich aus bis hin zu den „Häuselbauern“, deren Anteil hierzulande größer ist als in anderen Bundesländern. Dies nur aus der Mentalität zu erklären, dürfte zu einfach sein.

Die historische Entwicklung Vorarlbergs aus kleinen Einheiten (Herrschaften und Gerichten) zu einem Bundesland hat sich innerhalb von 700 Jahren vollzogen. Ein Landesbewußtsein wie in Tirol oder Salzburg hat hierzulande keine lange Tradition. Der vielzitierte Freiheitssinn wuezelt in der relativen Selbständigkeit der „vier Herrschaften vor dem Arl-berg“, nur scheint es problematisch, daraus gleich auf mehr Demokratieverständnis zu schließen, wie dies immer wieder geschieht.

Aber auch das Bild des „freien Mannes“ — eines in der Geschichtsschreibung häufig anzutreffenden Klischees - erfuhr in jüngster Zeit durch historische Forschungen eine Diversifikation. So waren die Freiheiten der Vorarlberger letztlich doch nicht so groß, wie dies gerne dargestellt wird (es gab auch in Vorarlberg Leibeigene)^

Das alles tut den Besonderheiten der Vorarlberger keinen Abbruch, nur: sie sind eben nicht einzigartig.

Der Autor ist stellvertretender Direktor der Vorarlberger Landesbibliothek.

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