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Digital In Arbeit

Der Alltag eines Schriftstellers

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Da ruft jemand Dienstag morgens um halb zehn an und wundert sich, daß er mich geweckt hat. .Mensch, hast du es gut“, sagt er, „ich bin schon seit sieben Uhr auf den Beinen. Na ja, Schriftsteller — du kannst schlafen, wann du willst.“

Natürlich kann ich es — ich schlafe ja auf eigene Kosten, denn meine Zeit wird von niemandem bezahlt; wenn ich nichts schreibe, kriege ich auch nichts.

Mein Anrufer ist überzeugt — und mein später Schlaf bestätigt ihn darin —, daß Schriftsteller bunte Vögel sind, die nicht ak-kern, nicht säen und doch ernten.

Das bißchen Schreiben — was ist das schon?Er hingegen mußte ja schon um acht Uhr im Büro sein, Akten lesen und unterschreiben, hatte dazwischen kaum ZeH, die Zeitung durchzulesen und Kaffee zu trinken; erst jetzt, um halb zehn, kam er dazu, mich anzurufen, um nach meinem Befinden zu fragen und mir zu erzählen, wie er sein Wochenende verbracht hat.

Soll ich diesem guten Mann erzählen, warum ich noch geschlafen habe?

Am Wochenende habe ich ein Buch gelesen. Es war zwar ein Vergnügen, ich mußte mich aber gut konzentrieren und Notizen machen, weil ich das Buch besprechen wollte.

Am Montag fing ich an, die Rezension zu schreiben, wurde aber nicht fertig, weil ich viele Telefongespräche führen mußte — Termine, ein neuer Auftrag, ein Honorar, das irgendwo zwischen

Redaktion und Honorarabteilung verlorengegangen ist.

Einige Leute haben mich nur so angerufen. Ich sitze ja zu Hause und nicht irgendwo bei der Arbeit, also kann man mit mir immer ein wenig plaudern. Dann mußte ich in der Redaktion anrufen, um auszuhandeln, daß ich die Buchbesprechung einen Tag später abliefern darf.

Am Abend war ich bei einer Lesung eines Kollegen. Man saß dann noch bis halb zwölf. Ich war nicht mehr sehr frisch, als ich nach Hause kam, entschloß mich dennoch, die Glosse für Dienstag zu schreiben, weil ich mich nicht auf meine Arbeitsfähigkeit am Morgen verlassen wollte. Zumal aller Wahrscheinlichkeit nach die Bauarbeiter morgens unter meinem Fenster ein Preßlufthammerkonzert veranstalten werden. Außerdem: in der Nacht sind Telefonanrufe äußerst selten.

Ins Bett bin ich dann ein paar Minuten vor fünf gekommen. Und werde um halb zehn geweckt.

Gegen Spätschläfer — Langschläfer bin ich keiner, weil ich nur ab und zu auf volle sechs Stunden Schlaf komme — haben sich alle verschworen: Bauarbeiter und Telefonierer, Eilpost-Zusteller und Reklame-Verteiler, die immer mich erwischen, weil ich zu Hause bin. Und einfach nette Leute, denen im Vorbeifahren die gute Idee gekommen ist, mit mir eine Tasse Tee zu trinken.

Ich mache guten Tee.

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