7078325-1993_26_11.jpg
Digital In Arbeit

DER ALLTAGLICHE FASCHISMUS

19451960198020002020

Als am 21. Jänner 1993 rund 1.500 Lichterträger aus fast allen weltanschaulichen Lagern durch Bad Ischl zogen, glaubte ich • als einer der Organisatoren der Versammlung - für eine kurze Zeit daran, daß eine gemeinsame solidarische Bewegung gegen den Haß zwischen Menschen und Völkern im Entstehen ist. Knapp danach wachte ich ernüchtert auf.

19451960198020002020

Als am 21. Jänner 1993 rund 1.500 Lichterträger aus fast allen weltanschaulichen Lagern durch Bad Ischl zogen, glaubte ich • als einer der Organisatoren der Versammlung - für eine kurze Zeit daran, daß eine gemeinsame solidarische Bewegung gegen den Haß zwischen Menschen und Völkern im Entstehen ist. Knapp danach wachte ich ernüchtert auf.

Werbung
Werbung
Werbung

Ein anonymer Anrufer hatte die Gendarmerie vor zwei Brandsätzen gegen die Lichterkette gewarnt. Um jedes Risiko zu vermeiden, mußten wir den anschließenden Begegnungsabend zwischen Flüchtlingen, Gastarbeitern und Einheimischen absagen. Der Anrufer- laut Gendarmerie wahrscheinlich einer der vielen „Scherz-bolde” ohne politisches Motiv - hatte sein Ziel erreicht.

Auch auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen wußte man nur, daß er für einen „Verein ausländerfreies Österreich” gesprochen hatte. Selbst wenn es ein verrückter Provokateur war, spielte er seine - untergeordnete - Rolle in einer Kampagne der Angstmacherei und subtilen Repression.

Zwei Monate davor sagten mir Bürgerrechtler in Ostberlin, daß sie, die vor 1989 aus Angst vor der Verfolgung durch die Stasi kaum wagten, offen Symbole der Friedens- und Alternativbewegung zu tragen, nun nach kurzer Pause wieder Angst haben müssen. Sie berichteten zum Beispiel von einem Mädchen mit Palästinensertuch, dem zwei Burschen aus der Nachbarschaft ein Hakenkreuz in die Wange geschnitten hatten. Und auch vom neuen Volkssport „Spastis klatschen”, bei dem Behinderte und andere sozial Schwache gezielt als Opfer ausgesucht werden.

Ist es primär das gewalttätige Umfeld, das sie dazu treibt oder sind es nicht auch tiefergehende sadistische Triebe, die auch in bieder bürgerlich-christlichen, aber auch in alternativen Grundhaltungen mit ihren Neid- und Eifersuchtskomplexen wurzeln können?

Die Bilder von Beifall klatschenden Durchschnittsbürgern in Rostock und anderswo vermischen sich mit Jubelbildern aus dem Dritten Reich. Biederes Wegschauen, mit karitativen Gaben sich ein gutes Gewissen erkaufen, sich ängstlich von einem Engagement in politischen Bewegungen fernhalten und sich lieber auf den rechten Weg ins Jenseits konzentrieren, das und noch manch anderes trug damals wie heute zum alltäglichen Faschismus bei. Jene - wie zum Beispiel die polizeilichen „Sicherheitsexperten” -, die noch immer behaupten, einige hundert strategisch gut ausgebildete Rädelsführer allein könnten diese biederen Mitläufer nicht instrumentalisieren, verschließen die Augen vor den historischen Parallelen.

Über Jahrzehnte hinweg wurden die Warner von links als die eigentlich zu bekämpfenden Extremisten verfolgt. Jetzt, da ihre Ideologie besiegt scheint, verdrängt man auch, daß die Kommunisten vor gut fünfzig Jahren so ziemlich die einzigen waren, die ein Unterstützernetz für ihre Widerständler und auch deren Familien aufgebaut hatten. Die verhältnismäßig wenigen aus dem christlich-bürgerlichen Lager waren meist auf zufällige Hilfe durch Einzelpersonen angewiesen, konnten sich kaum auf eine erprobte Aktionsstruktur stützen und litten vor allem unter der zwiespältigen Ausrichtung ihrer ideologischen Heimat, der Kirchen.

Eine einsame Entscheidung - wie sie auch Jägerstätter traf - provozierte viele der angepaßten Mitbürger zu absurden Erklärungsversuchen. Ein Mann aus dem Nachbarort St. Radegunds, ausOstermiething, erklärte mir Jägerstätters Entscheidung so: „Der war stark von den Zeugen Jehovas beeinflußt.” Damit war der verweigerte „Dienst am Vaterland” erklärbar.

Es fällt mir -1942 geboren - schwer, die bruchstückhaften Erinnerungen an die Gespräche mit meinen Eltern zusammenzufassen. Mein Vater wurde von Mitbürgern in einem kleinen Dorf im Salzkammergut ebenso als „Drückeberger” apostrophiert, weil er - während andere ihre „Pflicht erfüllten” - „nur” als Schuhmacher seinen Zivildienst für kriegswichtige Waldarbeiter und später für ein Lager mit Kindern aus zerbombten Städten leistete.

So nebenbei wurde die Werkstätte zum geheimen „Begegnungszentrum”, in dem auch Informationen ausländischer Sender zu kriegen waren. Einer der besten Freunde meiner Eltern, ein einfacher Holzknecht, landete am 30. August 1944 im Wiener Landesgericht unter dem Fallbeil. Im Dokumentationsarchiv des Widerstandes findet sich nur sein Name: Raimund Beinschiner, der Wohnort St. Gilgen und die Begründung: „Hochverrat”. Sein offenes Auftreten gegen den Wahnsinn des Krieges, den er als Soldat miterlebt hatte, wird wohl undokumentiert bleiben.

Was waren schon dagegen die täglichen Nadelstiche einer sozialen Repression - das Betteln um Milch, obwohl Schweine und Kälber täglich ihre Ration bekamen, wie Zangsarbeiter aus Serbien - darunter auch orthodoxe Priester und Moslems -behandelt wurden.

Eines der Schlüsselerlebnisse waren für meine Eltern die Wochen nach Kriegsende, als heimkehrende Soldaten mit entlassenen KZ-Häftlingen auf der Wiese vor dem Haus, in dem wir wohnten, lagerten - alle von der gleichen Not gezeichnet: Hunger. Bei einem Schluck Suppe erzählten sie ihre Erlebnisse, von reichen Bauern, die ihnen für ein Stück Brot die Jacke abknöpften und ähnliches mehr.

Fast fünfzig Jahre danach tauchen diese Ereignisse wieder in ähnlicher Form auf - nicht nur in Berichten aus Kriegsgebieten und Diktaturen, sondern auch aus sogenannten demokratischen Ländern in unseren Breiten. So müssen die Bürgerbewegungen, die 1989 die kommunistischen Regime meist gewaltfrei überwunden haben, feststellen, daß rücksichtslose Nationalisten und kriminelle Geschäftemacher diese Öffnung am geschicktesten nützen können.

Mit ebensolcher Bitterkeit würden Franz Jägerstätter und die vielen bekannten und unbekannten Mahner vor militärisch gesicherten Herrschaftsformen, aber auch vor dem vielfältigen alltäglichen Faschismus auf die erneut spürbaren Gefahren reagieren. Aus ihrer Erfahrung heraus würden sie sich wohl dieses Mal verstärkt für ein gemeinsames Handeln bemühen, um nicht als einzelner Aktivist in einer Masse von barmherzig lächelnden Mitbürgern in Isolation zu geraten.

Der Autor, Begründer des „Begegnungszentrums für aktive Gewaltlosigkeit” in Bad Ischl, in den vergangenen 14 Tagen Observer des Internationalen Versöhnungsbundes bei der Wiener UN-Menschenrechtskonferenz, schrieb diesen Text unter dem Eindruck vielfältiger Hilferufe an das Ischler Begegnungszentrum in der jüngsten Zeit.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung