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Österreichs Lawrence of Arabia: Der andere Musil

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Das Leben des Orientkenners Alois Musil, des Vetters von Robert von Musil, war von der Idee des Ausgleichs beherrscht.

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Das Leben des Orientkenners Alois Musil, des Vetters von Robert von Musil, war von der Idee des Ausgleichs beherrscht.

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Mähren, dieses liebliche Land der March, steht ganz im Schatten seines großen Nachbarn Böhmen. Immer wird nur von Böhmen, seinen Kunstschätzen, seiner Geschichte, seiner Bedeutung gesprochen. Wer aber die Geschichte Mährens kennt, weiß, daß auch diese großartig ist und sich besonders durch zwei Tasachen auszeichnet: Es ist zunächst das Land der genialen Menschen: Sigmund Freud kam aus Mähren und ebenso Comenius, des weiteren Masaryk und Palacky, Adolf Loos und Thomas Batá, Klemens Maria Hofbauer und Erzbischof Stojan, die Ebner-Eschenbach und Richard Schaukal, Karl Renner und Adolf Schärf, der letzte k. k. Sozialdemokrat Smeral und der Historiker Redlich. Sie alle stammen aus Mähren. Auch die Musils kommen aus Mähren. Bewußt wurde hier in der Mehrzahl gesprochen. Denn Robert von Musil, der berühmte Dichter des Romans „Der Mann ohne Eigenschaften“, hat einen nicht minder berühmten Vetter zweiten Grades namens Alois Musil.

Mähren ist aber nicht nur ein Land der genialen Menschen, es ist auch ein Land der Toleranz und der ausgleichenden Gerechtigkeit. 1905 schuf dieses Land im sogenannten mährischen „Ausgleich“ das Modell für eine gerechte Lösung der nationalen Frage im Viel Völker reich der Habsburger. Die einzige Verfassung der alten Monarchie, an deren Zusammenstellung sich alle Völker beteiligten und mit der alle Völker zufrieden waren, wurde 1848 im mährischen Städtchen Kremsier geschaffen, Sigmund Freud versuchte in einer Zeit des materialistischen Denkens einen Ausgleich zwischen Leib und Seele. Smeral, der letzte k.k. Sozialdemokrat, suchte bis in den Herbst 1918 einen Ausgleich zwischen den Völkern der Monarchie. Karl Renner war ein Mann, der immer wieder dem Ausgleich zwischen den Parteien nach jagte und deshalb sogar den Namen „der Packler“ erhielt. Erzbischof Stojan suchte lange vor dem Zweiten Vatikanum den Ausgleich mit den orthodoxen Christen.

Auch das Leben Alois Musils, des Vetters von Robert von Musil, ist von der Idee des Ausgleichs beherrscht.

Alle Musils stammen aus Richtersdorf bei Wischau im südlichen Mähren. Sie waren Bauern in dieser gesegneten Landschaft. Der Großvater des „Mannes ohne Eigenschaften“ wurde noch als Bauernsohn geboren, studierte aber Medizin und starb als Arzt in Graz. Der Vater Robert von Musils war lange Zeit Ordinarius an der Brünner Technischen Hochschule, dann Hofrat am Patentgerichtshof und wurde sogar in den Adelsstand erhoben.

Auch der Vater Alois Musils war noch ein Bauernsohn. Während Robert von Musil zuerst den Offtziersberuf wählt, aber plötzlich vor der Ausmusterung die Militärschule verläßt und Maschinenbau studiert und Ingenieur wird, wendet sich sein entfernter Vetter Alois, der 1868 geboren wurde, also um zwölf Jahre älter ist als „der Mann ohne Eigenschaften“, dem Studium der Theologie an der Olmützer Theologischen Fakultät zu. 1891 wird er zum Priester geweiht, 1895 erlangt er das Doktorat der Theologie. Während seines Theologiestudiums hatte er sich schon besonders für das Alte Testament interessiert und kaum fertiggeworden, erbat er von seinem Ordinarius, Erzbischof Kohn, einen zweijährigen Urlaub, um im Heiligen Land Bibelstudien zu betreiben (Erzbischof Kohn war der Sohn eines jüdischen Vaters und einer tschechischen Mutter, was vielen deutschnationalen Blättern Gelegenheit gab, immer wieder ihren Antiklerikalismus mit Antisemitismus zu untermalen. 1904 dankte er ab und verlebte seinen Lebensabend in Ehrenhausen, südlich von Graz, wo er auch begraben ist). Der Urlaub wird Musil bewilligt und während sein Vetter Robert von Musil ein unruhiges Berufsleben zu führen beginnt,das ihn einmal Techniker und einmal Philosoph, einmal Bibliothekar und dann wieder Redakteur und freier Schriftsteller und im Krieg schließlich Landsturmhauptmann werden läßt, beginnt für Alois Musil ein ebenso unruhiges Wanderleben, das ihm allerdings zu den höchsten Erfolgen emporführen wird. Während sein Vetter Robert Von Musil in seinen Werken, vor allen Dingen in dem großen Epos „Der Mann ohne Eigenschaften“, die vielen so unbekannten Gegenden des menschlichen Daseins mit all seinen Gebirgen und Schluchten, mit seinen Wüsten und niedlichen Landschaften beschrieb, erforschte in ähnlicher Weise Alois Musil die arabischen Länder; Jahrelang durchstreift er nicht nur das Heilige Land, sondern fast alle arabischen Länder, lernt die Menschen und ihre Gewohnheiten, und vor allem ihre Sprachen kennen. Er beherrscht schließlich acht lebende Sprachen und 23 arabische Dialekte. Es gelingt ihm die Auffindung mehrerer Wüstenschlösser und mit Unterstützung des K. u. k. Militärgeographischen Institutes beginnt er 1902 auf Grund seiner umfangreichen Studien die Ausarbeitung seiner Karte „Arabia Petraea“. 1906 wird sie im Militärgeographischen Institut in Wien fertiggestellt und erscheint 1907 in drei Blättern. Diese Karte mit mehr als 3000 lokalisierten Ortsnamen war eine Standardleistung, ebenso die 1800 Seiten Begleittext. Mehr als 50.000 Quadratkilometer bis dahin unbekannten Gebietes wurden auf dieser Karte erfaßt.

Alle diese Leistungen hoben den Ruhm Alois Musils. Bald wurde er Dozent an der Universität Olmütz und 1904 Ordinarius. 1909 wurde er an die katholisch-theologische Fakultät der Wiener Universität auf die Lehrkanzel für biblische Hilfswissenschaften und arabische Sprachen berufen.

1908 bis 1914 führten ihn weitere Reisen in die arabischen Länder. Und dann begann der Weltkrieg und damit ein neues Kapitel im Leben dieses seltsamen Mannes mit vielen Eigenschaften.

Beim Eintritt der Türkei in den Krieg erinnerte sich die österreichisch-ungarische Regierung Professor Musils immenser Kenntnisse der arabischen Länder und beauftragte ihn, nach Innerarabien zu reisen, um einen „Ausgleich“ zwischen den beiden Emiren Ibn Saud und Ibn Raschid zustandezubrin- gen und vor allem, sie zum Anschluß an die Türkei sowie zum gemeinsamen Kampf gegen England zu bewegen. Er, der katholische Priester, ließ sich dafür sogar von dem Sultan- Kalifen Befürwortungen geben, um seinen Auftrag besser durchführen zu können. Monatelang versuchte er, den „Mährischen Ausgleich“ zwischen den Emiren herbeizuführen. Aber was in seiner Heimat gelungen war, gelang hier nicht. Die beiden Emire versöhnten sich nicht und vor allen Dingen traten sie nicht auf die Seite der Türkei. Nach einigen Monaten mußte Musil unverrichteter Dinge zurückkehren.

Inzwischen hatte England seinen „Adolf Musil“ nach Arabien gesandt, den englischen Archäologen Thomas Eduard Lawrence, der den Rang eines Obersten erhielt und ab 1916 als „Privatgelehrter“ den Aufstand der Araber gegen die Türken organisierte.

1917 erinnerte sich die österreichische Regierung nochmals Professor Musils und sandte ihn neuerlich in die Türkei. Diesmal als Begleiter des Erzherzogs Hubert Salvator, der eine mehrmonatige Reise zu den christlichen Satten der Türkei unternehmen sollte. 1917 war jenes Jahr, da der Krieg noch nicht verloren schien. Noch dachte man an die Möglichkeit eines Sieges und die Chancen, die dieser geben sollte. Eine dieser Hoffnungen war, daß nach siegreicher Beendigung des Krieges das Patronat Frankreichs über die Christen des Orients durch ein Patronat des Kaisers von Österreich und Apostolischen Königs von Ungarn, der auch den Titel eines Königs von Jerusalem trug, abgelöst werden sollte. Die Reise des Erzherzogs Hubert Salvator sollte für diesen Plan die Grundlagen schaffen. Und da die britische Regierung ihrem Lawrence of Arabia den Rang eines Obersten verliehen hatte, gab die österreichische Armee ihrem „Lawrence of Arabia“ einen noch höheren Rang und ernannte ihn zum k. u. k. Feldmarschalleutnant, mit dem Recht, den Titel Exzellenz zu führen. Die Reise dauerte wieder mehrere Monate, der verlorene Krieg machte alle ihre Arbeiten zunichte. Aber Professor Musil erhielt für die Mühen dieser Reise den Rang eines k. u. k. wirklichen Geheimen Rates (den auch Seipel besaß).

Als 1918 die Monarchie zugrunde ging, blieb Alois Musil dennoch an der Universität Wien, obwohl er Tscheche war, ähnlich wie sein berühmter Landsmann, der Kunsthistoriker Max Dvorak. Aber 1920 verlangte Masaryk, der Gründer der Tschechoslowakei, energisch die Berufung dieses weltberühmten Mannes an die Theologische Fakultät der Prager Universität. Dies ist um so bemerkenswerter, als Masaryk alles andere als ein Freund der katholischen Kirche und ihrer Priester war.

Die große Karte von Nordarabien, die Musil knapp vor dem ersten Weltkrieg noch herausgegeben hatte, wurde 1926 wieder aufgelegt und in sechs Bänden mit fast 3000 Seiten Text in New York veröffentlicht.

Bis zum Jahre 1938, bis zu seinem 70. Lebensjahr, lehrte Musil an der Theologischen Fakultät in Prag. Am 2. Oktober 1938 sollte zu Ehren seines 70. Geburtstages eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus in Richtersdorf enthüllt werden. Aber am 2. Oktober 1938 fluteten bereits die Truppen Hitlers über die historischen Grenzen des alten böhmischen Königreichs und die Feier unterblieb.

Und während Robert von Musil Österreich verließ und in die Emigration in die Schweiz ging, wanderte sein Vetter Alois Musil in die innere Emigration. Sein Geburtsort Richtersdorf lag zu nahe der deutschen Sprachinsel Wischau und die Gefahr, eines Tages direkt unter dem NS-Regime leben zu müssen, ließ ihn seinen Wohnort in einem kleinen tschechischen Dorf nehmen. Dort lebte er völlig zurückgezogen. 1944 starb er, zwei Jahre nachdem sein Vetter Robert von Musil in Genf diese Welt verlassen hatte. Ebenso wie beim Begräbnis Robert von Musil nur wenige Teilnehmer anwesend waren, war es auch bei der Beerdigung Alois Musils, dessen schlichten Holzsarg ein paar Bauern auf den Dorffriedhof trugen. 1968 erst wurde er in seiner Heimat Richtersdorf beigesetzt, in jenem Ort, von dem einst auch die Odyssee dieses Mannes mit so vielen Eigenschaften begonnen hatte. 1970 zwang dieser seltsame Mensch, der ein Beweis dafür ist, daß nicht alle Tschechen Gegner des alten Österreichs und Gegner der Kirche waren, noch einmal die Welt zu einem „Ausgleich“: Bei einer Feier in Wien, die 1070 zu seinem Andenken gehalten wurde, hielten die Festreden der Gesandte der kommunistischen Tschechoslowakei und Erzherzog Hubert Salvator von Habsburg-Lothringen, den einst Musil bei der Orientmission als K. u. k. Feldmarschalleutnant begleitet hatte. Noch als Toter ließ dieser „Mann ohne Eigenschaften“ seine vielen Eigenschaften erkennen.

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