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Der Anfang vom Ende der Donaumonarchie

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7. Juli 1991: Über der kleinen Anhöhe nächst dem Dorf Chlum bei Hradec-Krälove (Königgrätz) liegt weißer und grauer Rauch, Trompetensignale schallen vom nahem Wald her, aus einem Weiler donnern Kanonen. Die weißen Uniformen eines Infanterieregimentes tauchen durch die Rauchschwaden; anhaltendes Gewehrfeuer lichtet ihre Reihen.

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7. Juli 1991: Über der kleinen Anhöhe nächst dem Dorf Chlum bei Hradec-Krälove (Königgrätz) liegt weißer und grauer Rauch, Trompetensignale schallen vom nahem Wald her, aus einem Weiler donnern Kanonen. Die weißen Uniformen eines Infanterieregimentes tauchen durch die Rauchschwaden; anhaltendes Gewehrfeuer lichtet ihre Reihen.

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Rund 500 Freiwillige aus Österreich, der CSFR und Ungarn, Statisten und Historiker versuchten an diesem Tag - unter dem Ehrenschutz des Prager Verteidigungsministeriums - die Schlacht von Königgrätz (zwischen Österreich unter Feldzeugmeister Ludwig Benedek und Preußen unter Feldmarschall Helmut Graf Moltke) „nachzustellen"; vor 125 Jahren standen sich hier 436.000 Soldaten gegenüber. Ein Schauspiel, das den annähernd 10.000 Besuchern die Geschichte vor Augen führen sollte, wie sie wirklich war - und nicht wie sie vierzig Jahre lang von oben „vorgeschrieben" wurde. Den Abschluß der gemeinsamen Gedenkveranstaltung bildete eine Feldmesse für die rund45.000Toten der Schlacht.

Eine große Sonderausstellung im Krajske muzeum in Königgrätz zur blutigen Schlacht vom 3. Juli 1866 ist noch diesen Sommer zu sehen. Neben dem Gedenken in Königgrätz selbst wurde auch in Trautenau (Trutnov) und in Josefstadt (Josefov), dem ehemaligen Hauptquartier Benedeks, das Gedenken begangen. Eine Bronzestatue des Feldzeugmeisters, die der Bürgermeister von Jaromef, in einem Museum versteckt, zufällig aufgefunden hatte, kam wiederum an ihren angestammten Platz in der Festung von Josefstadt.

„In Königgrätz", schrieb Johannes Urzidil, „hat nicht nur die Desintegration der Donaumonarchie, sondern in Wahrheit die Europas begonnen."

Vom Aussichtsturm schweift der Blick über das Schlachtfeld, über die weiten Felder hin zum Obelisken mit dem Adler und zu dem Hain mit dem Ossarium Tausender Gefallener. Wie wäre wohl die Geschichte verlaufen, hätte Österreich in Chlum gesiegt und seine Rolle im Deutschen Bund nicht verloren? „Ihr glaubt, ihr habt ein Reich geboren und habt doch nur ein Volk zerstört!", hatte Franz Grillpar-zer 1866 den Siegern zugerufen.

Aber Königgrätz ist nicht nur Schlachtfeld. Königgrätz ist eine lebendige Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern, in der sich nach mehr als 40 Jahren heute wieder historischer Geist aus Böhmen und Österreich gemeinsam finden kann.

Residenz der Königswitwen

Die Stadtgründung von Königgrätz erfolgte in den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts. Elisabeth von Polen, die Gemahlin von Wenzel IL, erkor die Stadt zu ihrem Witwensitz und machte sie zu einer „königlichen Stadt". In den folgenden Jahrhunderten blieb sie weiterhin die Residenz der Königswitwen.

Als die Stadt in den Hussitenkriegen an der Seite derTaboriten kämpfte, war es nur logisch, daß deren Anführer Jan Zizka nach seinem Pesttod im Jahre 1424 in der gotischen

Kathedrale von Königgrätz „Zum Heiligen Geist" seine letzte Ruhestätte fand.

Nach den verheerenden Hussitenkriegen reformierten Jesuiten und Minoriten die Stadt. Darunter der

Jesuit Bohuslav Baibin, der zwar die Hussiten verurteilte, aber dennoch gegen die Unterdrückung der tschechischen Sprache eingetreten ist. Seine Forderung: „Laß nicht untergehen uns und die nach uns kommen".

„Toleranzbischof" Hay

Seit 1660 ist Königgrätz ein Bischofssitz: Kaiser Leopold selbst unterschrieb den Stifterbrief. Der bedeutendste Bischof von Königgrätz war Johann Leopold Hay (1735-1794), ein Schwager von Joseph von Sonnenfels. Der Bischof ist als „Toleranzbischof' und als Autor des Toleranzpatentes Josephs II. in die Geschichte eingegangen.

Bei einem Rundgang über den wunderschönen Marktplatz von Königgrätz mit seiner Heilig-Geist-Kathedrale, dem Rathaus, der bischöflichen Residenz, sollte man auch einen Abstecher in die Kanovnickä Ulice in der Nähe der Kathedrale machen, in der das Geburtshaus von Karl Freiherr von Rokitansky (1804-1878), dem Begründer der wissenschaftlichen pathologischen Anatomie, steht (Gedenktafel und Reliefbüste am Geburtshaus).

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