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Der angliche Seelsorger

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„Was? Der wird achtzig? Das glaub' ich nicht!” (Aus einem Gespräch, März 85)

Viktor E. Frankl war ein junger Arzt in Wien, Spezialgebiet: Neurologie und Psychiatrie, an der Schwelle der Karriere. Er konzipierte ein grundlegendes Werk, ein neues System der Psychiatrie. Er mußte zwischen 1938 und 1945 das Leid, die Gefahr, die kaum faßbare Tortur des Verfolgtseins auf sich nehmen. Er kam davon. Er kam nach Wien zurück. Er setzte seine Karriere fort. Er sah in den Wienern nicht seine Verfolger von gestern, sondern seine Landsleute, seine Patienten. Er zog wieder den weißen Ärztekittel an, den er hatte ablegen müssen. Er konnte werden, was er war: Arzt.

Er schrieb ein Buch über seine Erlebnisse im Konzentrationslager mit dem großen Schluß-Satz: „Gekrönt wird... dieses Erlebnis des heimfindenden Menschen von dem köstlichen Gefühl, nach all dem Erlittenen nichts mehr auf der Welt fürchten zu müssen — außer seinen Gott.”

An diesem Satz und an dem Titel seines ersten Buchs .j&rztliche Seelsorge” ist seine Position abzulesen.

Frankl gründete eine „dritte Wiener Schule” der Psychiatrie, die .Logotherapie”. Freud hatte den „Willen zur Lust” in den Mittelpunkt gestellt, Adler den „Willen zur Macht”; für Frankl war es der Wille zum Sinn. Er wurde Dozent, dann Professor der Universität Wien, er leitete eine Abteilung der Wiener Poliklinik, er wurde allmählich ein bekannter, beliebter, ein angesehener Zeitgenosse, publizierte viele Bücher, hielt viele Vorträge... er hat, wenn die Formulierung gestattet ist, die verlorenen sieben Jahre nachgeholt.

... und man hätte von einer erfolgreichen Karriere, von einem erfüllten Leben sprechen können, von einem Gegenbeispiel des österreichischen Schicksals, des grill-parzerschen „zu spät”. Doch da ergab sich das Wunder einer dritten Karriere:

Sein Konzentrationslager-Buch, in Österreich längst verschollen, erlebt in den USA fünfzig Auflagen und hat die Zweimillionengrenze überschritten. Er ist mehrfach Ehrendoktor außereuropäischer Universitäten, Vortragsgast in fünf Kontinenten, er hat Schüler, Jünger, Bewunderer in aller Welt. Er ist ein großer Denker, ein großer Lehrer, ein großer Arzt, ein temperamentvoller Redner geblieben. Sehr viele danken ihm sehr viel. Auch die junge Generation, auch in Österreich, huldigt ihm.

Es läßt sich kaum eine christlichere Haltung denken als die dieses ,JJichtariers” und NichtChristen.

Österreich kann ihm nicht genug danken.

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