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Der Anschluß wurde erkämpft

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Zieht man die historische Genesis des Burgenlandes in Betracht, kann man ohne Übertreibung sagen, daß das bur-genländische Landesbewußtsein in der Ersten Republik dem österreichischen Nationalbewußtsein, das damals noch in den Kinderschuhen steckte und auf kleine Gruppen beschränkt war, vorauseilte. Es hätte als Vorbild dienen können, wenn man das Burgenland damals nur ernst genug genommen und als vollwertig anerkannt hätte.

Die junge Republik Österreich war zwar im Prinzip froh, das Burgenland in den Friedensverträgen

von St.Germain beziehungsweise Trianon - quasi als Trostpreis für die übrigen schweren Gebietsverluste - zugesprochen zu bekommen und nach schweren Kämpfen mit Ausnahme Ödenburgs 1921 dem Staatsverband tatsächlich anschließen zu können; aber sie hatte wenig Lust und auch nicht genügend Mittel, um diesen „Neuankömmling" im Kreise der Bundesländer verstärkt zu integrieren.

Dabei hätten die Restösterreicher auf die Burgenländer blicken und von ihnen lernen können, wie man das eigene Land und die mit ihm verbundene Identität schrittweise bejahen und sich zu eigen machen kann. Denn noch 1918 wollten sich die Bewohner Deutsch-Westungarns, die späteren Burgenländer, und die tragenden politischen Kräfte mit der Autonomie im Rahmen Ungarns begnügen. Erst allmählich liefen die Forderungen auf einen Anschluß an Österreich hinaus und erhielten vor allem von der im August 1919 in Wien gegründeten „Verwaltungsstelle für den Anschluß Deutsch-Westungarns" beachtlichen Auftrieb.

Die Burgenländer bejahten und erkämpften also den Anschluß an Österreich. Dies schloß aber auch das Ziel, das Burgenland als Einheit zu bejahen und zu festigen, ein. Österreich selbst konnte sich 1918 und später eine Kleinstaatexistenz nicht vorstellen und erblickte im Anschluß an Deutschland die Lösung und das Heil. Die große Mehrheit der Österreicher konnte und wollte sich jedenfalls nicht vorstellen, endgültig den bescheidenen Rahmen zu akzeptieren, der nach dem Zusammenbruch des alten Österreich und der schmerzlichen Amputation zu Österreich gehöri-

ger deutschsprachiger Gebiete - vor allem Südtirols und der deutschen Teile Böhmens und Mährens - verblieben war.

Demgegenüber entwickelten die Burgenländer schon unter den bedrängten Verhältnissen der Ersten Republik ein tragfähiges Landesbewußtsein und strebten ein Ausmaß an Selbständigkeit an, das in vieler Hinsicht - etwa durch die Errichtung einer eigenen Diözese und selbständiger gerichtlicher Zentralstellen - erst in der Zweiten Republik erlangt wurde.

Das Burgenland war in der Zwischenkriegszeit vielfach noch ein Zankapfel zwischen Österreich und Ungarn. Die Ungarn hatten ihre Ansprüche auf diesen Teil Österreichs damals nicht völlig aufgegeben und förderten im Lande selbst eine Irridenta. Die bürgerliche Regierung Österreichs hatte schon aus diesem Grund kein ausgeprägtes Interesse, sich mehr als nötig für das Burgenland einzusetzen, das die Beziehungen zu einem wichtigen und politisch nahestehenden Nachbarland erschwerte.

Bitterste Armut

Das Burgenland aber hatte in der Ersten Republik alle Hände voll zu tun, um sich von jahrhundertelanger magyarischer Vernachlässigung und Rückständigkeit zu befreien und mit dem übrigen Österreich gleichzuziehen. Nicht daß die Ungarn den Österreichern in jeder Hinsicht ein schlechtes Erbe hinterlassen hätten. Vorbildlich war zum Beispiel die ungarische Verwaltung, auf der die bur-genländische aufbauen und die der anderen Bundesländer überflügeln konnte. Doch die Deutsch-Ungarn beziehungsweise die deutschsprachigen Gebiete wurden im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert stiefmütterlich behandelt. Die Menschen lebten vielfach in bitterster Armut. Allein die Zahl der Auswanderer (siehe Seite 12), die ihre Heimat verließen, um im Ausland -vor allem in der Neuen Welt, Arbeit und Brot zu finden - spricht eine deutliche Sprache.

Die These von der Vernachläs-

sigung der deutschsprachigen Bewohner beziehungsweise Siedlungsgebiete Ungarns kann nicht bloß als deutschnationale Propaganda abgetan werden. Ludwig Leser, burgenländischer Landeshauptmannstellvertreter und 1945 erster provisorischer Landeshauptmann, erhob früh die Forderung, „dieses Land zu europäisieren". Allerdings hatte er (und nicht bloß er) noch in der Zwischenkriegszeit die'Möglichkeit bezweifelt, das Burgenland zu europäisieren und voll in die österreichische Wirtschaft und Gesellschaft zu integrieren, ohne daß Österreich insgesamt an Deutschland anschließt.

Für etliche war dann der gewaltsame Anschluß an Deutschland 1938 nicht die Erfüllung eines Traumes, sondern sehr bald ein Alptraum, der nicht nur Österreich, sondern auch das Burgenland seiner Selbständigkeit beraubte. Österreich wurde durch den Anschluß an Deutschland nicht aufgewertet, sondern als Einheit zerstört und provinzialisiert, das Burgenland wurde zwischen den Reichsgauen Niederdonau und Steiermark aufgeteilt. Solche Umstände verringerten die Begeisterung der Österreicher für den Anschluß an Deutschland und ließen erste Ansätze eines österreichischen Nationalgefühls entstehen, das in der Ersten Republik weitgehend gefehlt hatte. Sie ließen auch das burgenländische Landesbewußtsein, das schon in der Ersten Republik in beachtlichem Ausmaß existiert hatte, nicht erlöschen.

1945 empfanden die meisten Österreicher den Staat, der ihnen durch den Zusammenbruch des Nationalsozialismus wiedergeschenkt worden war, nicht wie 1918 als Belastung und Zumutung. Denn man hatte durch Krieg und Diktatur, durch preußische Überfremdung und NS-Unterdrückung den Wert dessen, was man vordem gering geachtet hatte, entdeckt. Im österreichischen Widerstand, der auch im Burgenland bis in die letzten Tage der Hitler-Herrschaft seinen Blutzoll forderte, aber auch in Teilen der „schweigenden Mehrheit" bildete sich schon vor der Moskauer Deklaration vom November

1943 die Sehnsucht nach dem Wiederentstehen Österreichs heraus.

Dabei war die Situation Österreichs 1945 schon deshalb schwieriger als 1918, weil Österreich vierfach besetzt war und es damals keineswegs ausgemacht schien, daß Österreich als Einheit und als freies Land erhalten bleiben würde. Im Unterschied zu 1918 aber war 1945 der leidenschaftliche Wille vorhanden, zu diesem Staat zu stehen und alle Nachkriegsschwierigkeiten zu überwinden. Die Bundesländer solidarisierten sich in Länderkonferenzen im September und Oktober 1945 in Wien mit der Regierung und stärkten ihr den Rücken.

Auch das Burgenland war im Reigen der Länder, die die Staatsgewalt konsolidieren halfen, gleichberechtigt und selbstbewußt vertreten. Unmittelbar nach der Befreiung Österreichs war es allerdings gar nicht so sicher, ob es nicht bei der von den Nazis vorgenommenen Aufteilung des Burgenlan-des'bleiben würde. Anfangs neigten die Wiener Politiker, auch Karl Renner selbst, der bei den Friedensverhandlungen 1919 als „Vater des Burgenlandes" fungiert hatte, zu einer pragmatischen Ü bernahme der NS-Lösung. Sie hatten es jedenfalls nicht eilig, das Burgenland wiedererstehen zu lassen.

In dieser Situation war es nicht nur das Selbstbewußtsein der bur-genländischen Politiker, die in Wien vorstellig wurden; es war der Wille der Bevölkerung selbst, die in unmißverständlichen Erklärungen den Wunsch nach Eigenständigkeit zu erkennen gab. Dem wurde durch ein „Verfassungsgesetz über die Wiederherstellung des selbständigen Landes Burgenland" vom 29. August 1945 Rechnung getragen.

Stürmische Aufholjagd

Damit war der Weg frei für die volle Integration des Burgenlandes, die in der Ersten Republik de facto nicht über bescheidene Anfänge hinausgekommen war. In manchen Phasen verlief dieser Prozeß stürmisch, ja mitunter zu stürmisch. Denn dieser Aufholjagd fielen

nämlich viele traditionelle Bauwerke, Lebensformen und Werte, die es verdient hätten, bewahrt und gepflegt zu werden, zum Opfer.

Zerstört wurden unter anderem das Ortsbild und die Kulturlandschaft der meisten burgenländi-schen Dörfer, die in wenigen Jahren vieler ihrer liebenswürdigen Züge beraubt und durch geschmacklose Modernisierungen entstellt wurden.Gerade maßgebliche Politiker hätten die Pflicht gehabt, langfristigen Überlegungen gegenüber dem blinden Drang nach Veränderung zum Durchbruch zu verhelfen.

Burgenländerwitze

Unbestreitbar ist, daß das Burgenland in fast allen Bereichen sein Defizit gegenüber den anderen Bundesländern überwunden hat. Die Burgenländer leiden auch nicht mehr an dem Minderwertigkeitsgefühl, das noch in der Ersten Republik existierte und das sich zu dem allgemeinen Minderwertigkeitsgefühl der Österreicher gesel 1 -te.

Auch die übrigen Österreicher haben sich trotz einer verspäteten, unzeitgemäßen Konjunktur der Burgenländerwitze abgewöhnt, auf das Burgenland hinabzusehen. Sie besuchen es gerne, bewundern es zunehmend und lassen sich auch vorübergehend oder dauernd dort nieder (siehe Seite 11). Auch dies bildet einen Gegensatz zur Ersten Republik, in der sich, schon aufgrund der zurückgebliebenen Verkehrs- und Straßenverhältnisse (siehe Seite 10), nur einzelne Kenner und Liebhaber in dieses noch kaum erschlossene Land verirrten.

Auch Eisenstadt als Landeshauptstadt empfindet sich nicht mehr als Verlegenheitslösung wie in der Ersten Republik, als man noch auf die Rückgewinnung So-prons (Ödenburgs) hoffte, sondern ist in seine Rolle als echtes Zentrum hineingewachsen.

Gekürzt aus: IDENTITÄT UND LEBENSWELT. Ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt im Burgenland. Von Gerhard Baumgartner, Eva Müllner, Rainer Münz (Hrsg.). Prugg Verlag, Eisenstadt 1989. 225 Seiten, öS 150,-.

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