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Der Aufbruch

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Das Tagebuch des Schöpfers der tschechischen Nationalmusik ist in deutscher Sprache abgefaßt. Die Orthographie des Tschechischen bereitete ihm Schwierigkeiten. Auf deutsch schrieb er die glühenden Briefe an seine zweite Frau, eine Marmorschönheit, in der er ein Leben lang vergeblich die Liebe zu seinem Genie zu wecken versuchte. Die Grundlage für seine Nationaloper „Dalibor" fand er in einem deutschen Textbuch.

Und es war seine eigene Nation, welche ihm den härtesten Schlag versetzte, da jenes Werk, in dem er den größten Anspruch an sich gestellt und erfüllt hatte — „Dalibor"— gegen die „Verkaufte Braut" in der Publikumsgunst überhaupt nicht aufzukommen vermochte. Gleichzeitig mit der 100. Aufführung der „Verkauften Braut" ereignete sich sein nervlicher Zusammenbruch.

In die spannungsreiche Existenz eines der gebildetsten und zugleich musikantischesten Musiker schlug es ein, ohne Warnung und ohne Vorbereitung: Vom 19. zum 20. Oktober 1874 ertaubte der Komponist. Damit war ebenso wie bei Beethoven seine Laufbahn als Pianist und Dirigent zu Ende.

„Die Taubheit wäre noch ein erträglicher Zustand, wenn es dabei im Kopf still bliebe", schreibt er. Zehn Jahre des Leidens folgten. Bis zuletzt versuchte er, allen zunehmenden materiellen und psychischen, seinen Charakter deformierenden Schwierigkeiten zum Trotz das Leiden schöpferisch zu bestehen. So entstand das e-Moll-Streichquartett „Aus meinem Leben" und das d-Moll-Quartett, das Arnold Schönberg als „Offenbarung" rühmt. „Ist die Folter in Osterreich abgeschafft? Smetana wurde gefoltert, bis er in Wahnsinn starb". Mit diesem gegen seine eigene Zeit gerichteten Satz macht Karl Kraus aus der schwer, durchschaubaren Tragödie eines schöpferischen Menschen von Weltrang ein politisches Plakat. Richtig ist, daß er als „Wagnerianer" in keines der damals gängigen Klischees hineinpaßte und daher zwischen die Alt- und Jungtschechen, zwischen die konservativen Patrioten und die nationale Avantgarde geriet.

Daß Wagner und Liszt unbedingt als Hebammen bei der Geburt der tschechischen Nationaloper angerufen werden mußten, wollte so manchem Patrioten in Prag gar nicht so recht behagen. Mit einer Radikalität, die bereits in der nächsten Komponistengeneration, bei Anton Dvorak, ihre Berechtigung verloren hatte, wendete sich Smetana gegen die absolute Musik und schuf der deutschen' Programm-Musik nacheifernd und sie überbietend „Die Moldau".

Inspiriert durch Landschaft und Volksmusik entwickelte sich eine spezifische Melodik, ein nationales Kolorit. Gewiß sind auch im 17. und 18. Jahrhundert die damals entscheidenden Länder Italien, Frankreich und Deutschland jeweils als Herkunftsländer ihrer Musik erkennbar, doch nur als landessprachliche Nuance einer einheitlichen europäischen Musiksprache. Nun aber, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, erklingen die Stimmen der Völker nicht mehr wie bei Herder bloß im Lied, sondern in der Oper, im Konzert. Friedrich — oder Bed-f ich Smetana ist Bahnbrecher auf diesem Weg, der vor allem in Rußland die schlummernden Kräfte geweckt hat. Smetana aber ging auch darüber noch hinaus.

Zufolge der Volkstonnähe seines inneren Ohrs gibt es in allen Phasen seines Schaffens immer wieder Partien, wo, ohne alle arti-fizielle Zwischenschaltung einer stilgeschichtlich gewachsenen Ausdrucksform, die zeitlose Ur-stimme, fern allem Nationalen und Lokalen, zu singen anhebt.

Nach zwei Weltkriegen haben wir uns in Mitteleuropa eine Aversion gegen alle Hauptwörter angeeignet, die sich mit „National" zusammensetzen. Sogar die Nationalmusik ist nicht ausgenommen, wenn sie dekorativ mit leerer oder dröhnender Monumentalität zum Aufmarsch des imperialen Selbstbewußtseins einlädt. Auch große Komponisten sind dieser Verführung, die Menschen zu verführen, nicht immer entgangen. Smetanas Nationaloper und Musik ist davon frei. Und so mag es besonders von Österreich dankbar entgegengenommen werden, daß Smetanas größter Beitrag zur Weltkunst, eine Burleske, inspiriert von Mozart, wie er selber sagt, dessen Geist im slawischen Idiom um die Welt trägt.

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