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Der Aufbruch in die „Dritte Welt“

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„Die portugiesischen Entdeckungen und das Europa der Renaissance“ ist der Titel der 17. Europarat- Ausstellung in Lissabon. Sie bleibt bis Ende September 1983 geöffnet.

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„Die portugiesischen Entdeckungen und das Europa der Renaissance“ ist der Titel der 17. Europarat- Ausstellung in Lissabon. Sie bleibt bis Ende September 1983 geöffnet.

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Wenn wir vom Zeitalter der Entdeckungen sprechen, denken wir zuerst an Christoph Columbus, der Indien suchte und 1492 Amerika fand. Im Jahre 1498 aber erreichte der Portugiese Vasco da Gama, der ebenfalls den Seeweg nach Indien suchte, wirklich Indien.

Die Taten des Kolumbus waren kühn, visionär, romantisch. Die Entdeckungsreisen der Portugiesen waren zielstrebig und systematisch geplant und ausgeführt.

Rekapitulieren wir: Vasco da Gama wurde mit 28 Jahren an die Spitze der Expedition gestellt: Ziel Indien. Die Idee war alt. Generationen hatten die Voraussetzungen für den Erfolg geschaffen. 1385 kam die Dynastie Avis in Portugal an die Macht, die fast zweihundert Jahre regierte. 1415 wurde Ceuta erobert, der erste Stützpunkt außerhalb Europas. 1427 wurden die Azoren entdeckt und besiedelt, 1460 die Kapverdischen

Inseln. 1429 brachte der Vertrag von Tordesillas mit Spanien eine Teilung der zu entdeckenden Welt.

Die Eroberung von Ceuta hatte der junge Prinz Enrique geleitet, der sich dann aber von spektakulären Abenteuern fernhielt. In Sa- gres entstand so etwas wie eine humanistische Akademie, nur daß man nicht, wie in ähnlichen Gelehrtenkreisen in Italien, über die Wiedergeburt antiker Kunst und Literatur plauderte, sondern die antike Naturwissenschaft, die^. Überlieferungen über Geogra-- phie, Astronomie, Mathematik mit neuesten Erkenntnissen verglich. Enrique, der erst įm 19. Jahrhundert den irreführenden Beinamen „Heinrich der Seefahrer“ erhielt, holte Astronomen, Nautiker, Schiffsbauer, erfahrene Seefahrer, Karthographen zusammen, beriet mit ihnen unter strengster Geheimhaltung, verschmähte auch nicht arabische und jüdische Wissenschaft.

Die Schiffe, die entlang der Westküste Afrikas schrittweise immer weiter in den Süden vordrangen, mußten nach der Rückkehr dem Planungsstab Bericht erstatten. Man studierte die Entwicklung des Schiffsbaues seit den Phöniziern und fand endlich jene Sejgel, die ein Navigieren auch gegen den Wind ermöglichten. Nun war man von den Rudern unabhängig und den schwerfälligen arabischen Galeeren weit überlegen.

Man wagte, die immer größeren, immer besser ausgestatteten Schiffe mit Kanonen zu bestük- ken und wurde mit dem Problem des Rückstoßes fertig. Schon im 15. Jahrhundert wurden Hinterla der entwickelt, die eine beträchtliche Feuergeschwindigkeit und eine überlegene Reichweite hatten.

Der Seeweg nach Indien war ein Handelsweg. Er verdarb den Arabern und anderen Beteiligten das Geschäft mit den Karawanen, die mühsam über Land die Waren aus Indien herbeischafften. Trotz hoher Verluste war der Seetransport viel lukrativer. Alle Mühe machte sich bezahlt.

In Lissabon landeten die Schiffe mit Gewürzen, mit Rohstoffen aller Art, aber auch mit Fertigwaren. Denn die Portugiesen haben nicht, wie die Spanier, das entdeckte Land einfach ausgeplündert. Sie gründeten Niederlassungen, Siedlungen, sie traten in engen Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung und leiteten sie an, exportfähige Waren herzustellen.

Die Ausstellung, die bei der Eröffnung noch keineswegs fertig war, zeigt zunächst im Kloster Madre de Deus die Kultur Portugals am Vorabend der Entdek- kungen, in der Casa dos Bicos — dem Haus der Spitzen, die aus der Fassade ragen — werden Beziehungen der Dynastie Avis mit europäischen Fürstenhäusern und deren kulturelle Folgen gezeigt.

Der Bėlem-Turm, die alte Festung am Tejo, eins der Wahrzeichen von Lissabon, hat die Waf- fen-Ausstellung aufgenommen. Man lernt, daß Portugal in der Renaissance nicht nur Prunkwaffen und Harnische importierte, sondern auf modernste Waffentechnik bedacht war. Eine „Orgel“, eine Klainkaliber-Kanone mit 14 Läufen, die stark an die Stalin-Orgel des 2. Weltkrieges erinnert, wurde im 16. Jahrhundert in der indischen Niederlassung Goa hergestellt.

Doch die Portugiesen ließen in den überseeischen Manufakturen keineswegs nur Waffen bauen. Im Kloster Jeronimo werden die kulturellen Auswirkungen vielfach belegt. Kloster- und Kirchenbau sind ja selbst reinster Niederschlag dieses erweiterten Horizonts. Der manuelinische Stil, benannt nach jenem König Manuel I., in dessen Regierungszeit das Weltreich begründet wurde, dieser Stil ist die geradezu trunkene Antwort der Kunst auf die Welt-

reisen und all das, was man in der Ferne zu sehen bekam.

Da sind Säulen gedreht wie Schiffstaue, da haben Steinmetze in ihrer Ornamentik von seltsamen Pflanzen und Tieren erzählen wollen, da kommt das Auge kaum zur Ruhe. Die Ausstellungsräume zeigen in Urkunden und frühen, herrlich bemalten Landkarten die schrittweise Erweiterung des Weltbildes, die Erkenntnisse humanistischer Wissenschaften.

Dann geht es nach Erdteilen weiter: Kunstwerke aus dem afrikanischen Königsreich Benin, die die ersten Weißen abbilden, wie man sie in Afrika sah: mit langen Nasen und glatten Haaren. Aber auch Elfenbein-Schnitzereien, die in Afrika für Europa hergestellt wurden, mit christlicher

Kunst in afrikanischem Dialekt. Ein wunderschönes Hostiengefäß liehen die Sammlungen des Vatikans zur Ausstellung.

Schnitzereien, Einlegearbeiten aus Elfenbein und Ebenholz kamen damals aus Indien, Ceylon und den Inseln des Indischen Ozeans nach Europa; zum Beispiel ein Christuskind, das von einem Buddha abstammen könnte — einzigartige Synthesen abendländischer mit asiatischer Kunst, die mitteleuropäischen Kunsthistorikern bisher fremd waren. Da ist man schon besser informiert über die großen Wandschirme, auf denen die Japaner die ersten Europäer gemalt haben: Kaufleute und Seeleute aus Portugal. Sogar der Kaiser von Japan will einen solchen Paravent zur Ausstellung schicken - allerdings nur für den Monat Juni.

Hinter einer Glaswand wurde eine Art „Wintergarten“ eingerichtet. Der Besucher kann auf engem Raum all die Pflanzen sehen, die seinerzeit aus der Ferne kamen: Kaffee, Banane, Zuckerrohr, Erdnuß, Mais, Hirse, Ananas und natürlich den Pfeffer.

Die auf fünf Hauptzentren verteilte Ausstellung präsentierte sich zur Eröffnung keineswegs fertig, obwohl diese mehrmals verschoben worden ist.

Für Portugal, das Europa schon rein geographisch den Rücken zu kehren scheint, war die Europarat-Ausstellung eine Chance, sich dem Kontinent, den es ja wirtschaftlich heute mehr denn je braucht, zu nähern und die historischen Gebäude, die wenigen, die das Erdbeben von 1755 verschont hat, zu restaurieren. Dafür wurde das meiste Geld aufgewendet.

Es war ein nicht in allen Phasen geglückter Versuch des armen Landes, ein wenig von Kühnheit und Initiative seiner Entdecker und Eroberer zu reaktivieren. Europa hat durch viele Leihgaben geholfen, deren Transport und Versicherung die Geberländer tragen. Präsentation und Installation der Ausstellungen erregten neidvolle Bewunderung der Museumsfachleute. Die hoffentlich zahlreichen Europäer, die in diesem Sommer nach Lissabon kommen, werden eine Welt, eine Epoche kennenlernen, von der sie bisher vermutlich nicht viel wußten.

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