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Der Aufbruch zum Geist: Kandinsky und andere
Was ist Wirklichkeit? Die meisten Denker und Künstler des 19. Jahrhunderts hielten sich an der Erfahrung fest; was sie beweisen, sehen, abbilden konnten, war wirklich. Erst im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg schien sich dieses beruhigende Lebensgefühl aufzulösen. Während sich die Politiker immer noch der Illusion hingaben, eine ganz und gar erkennbare Welt wäre mit Feuer und Eisen zu verändern, wußten manche Forscher und Künstler bereits wesentlich mehr.
Die Abkehr von einem gleichsam gußeisernen Weltbild ging auf verschiedenen Gebieten vor sich. Durch Einstein erhielt die Physik metaphysische Dimensionen, durch Marcel Proust wurde die Erinnerung als lebendige Kraft der Gegenwart dargestellt; durch die Künstler des „Blauen Reiters“ wurde die Abkehr von der Abbildung der sichtbaren Wirklichkeit und die Hinwendung zum „Geistigen in der Kunst“ vollzogen.
So lautete der Titel von Wassily Kandinskys 1912 veröffentlichten theoretischen Schrift. Der in München lebende Russe überschritt die Grenze zur Abstraktion.
Magdalena M. Moellers kunsthistorisches Werk bietet ein genaues Bild dieses Aufbruchs zu einer neuen Sicht. Sie stellt auch die Weggefährten Kandinskys vor: Franz Marc und Gabriele Munter, August Macke, Heinrich Campendonk, Alexej von Jaw-lensky und Marianna von Weref-kin. Die Verbindung reicht bis Alfred Kubin und Paul Klee. Stark sind die Beziehungen auch zum Werk von Robert Delaunay.
Die selbstverständliche, spielerische, fast heitere Art der großen Wende fällt auf. Die Künstler folgen ihren Erkenntnissen und ihrer Inspiration; sie halten sich frei von verkrampften Ideologien; sie bleiben im Experiment nicht stekken, sondern finden, kraft Können und Phantasie, zum Ergebnis.
Die deutsche Kunsthistorikerin läßt eine Atmosphäre spüren, die durch die beiden Weltkriege zerstört worden ist. In diesem Sinne hilft das Beispiel des „Blauen Reiters“, zu einem freieren Geist schöpferischen Formwillens zurückzufinden.
DER BLAUE REITER. Von Magdalena M. Moeller. DuMont Buchverlag, Köln 1987. 160 Seiten, öS 694,20.
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