6977378-1985_50_06.jpg
Digital In Arbeit

Der Aufstand im Tropenparadies

Werbung
Werbung
Werbung

Seit zwei Jahren wird die Gefahr eines Bürgerkrieges auf der südasiatischen Tropeninsel Sri Lanka immer akuter. Der gewaltlose Einsatz der 2,5 Millionen Tamilen für Provinzparlamente, die für die territorialen, sicherheitspolitischen und schulischen Belange in ihren Nord- und Ostregionen Jaffna, Trincomalee und Batticaloa ausschließlich zuständig wären, erwies sich bislang als aussichtslos. Die 12 Millionen Singhalesen im Süden und Westen der Insel wollen die Kontrolle über die gesamte Wirtschaft des Landes nicht abgeben und verlangen Zugang zu den Hafenanlagen im Osten wie zum Waldreichtum und den Gewerbebetrieben im Norden.

Nebst diesem ökonomischen Seilziehen, dessen Anfänge unter anderem in der (wegen ihrer Tüchtigkeit) privilegierten Stellung der Tamilen unter der britischen Kolonialherrschaft zu suchen sind, hat der Tamilen-Konflikt eine betont religiös-ethnische Seite. Die Singhalesen sind buddhistischen Glaubens, die Tamilen sind Hindus. Zusammen mit den 50 Millionen tamilischen Hindus im benachbarten Südindien, von denen sie auch abstammen, bilden die letzteren, geopoli-tisch betrachtet, eine erdrückende Mehrheit.

Dies führte seit Jahrzehnten, wenn nicht schon länger, unter den Singhalesen, obwohl die Mehrheit auf der Insel, zu einem Minderwertigkeitskomplex, der sich bei den nationalistischen Kreisen zu echtem Völkerhaß steigerte.

Diese Gruppen um den früheren Industrieminister Cyril Matthew und gewisse Fundamentalisten im buddhistischen Klerus, dem wiederum die oppositionelle Freiheitspartei unter der früheren Regierungschefin Sirimavo Banda-ranaike nahesteht, sind gegen jeden Kompromiß mit den Tamilen. Am liebsten würden sie das Schlagwort der fünfziger Jahre „Sinhala only“, Singhalesisch als Staatssprache und Buddhismus als Staatsreligion, zu neuem Leben erwecken. Ihr politisches Minderheiten-Verständnis geht höchstens so weit, den Tamilen eigene Distrikträte, jedoch ohne finanzielle und verfassungsrechtliche Kompetenzen, zuzugestehen.

Auch die Haltung der tamilischen Autonomisten hat sich in den letzten Jahren verschärft. Bis 1983 war die „Vereinigte Tamilische Befreiungsfront“ unter der charismatischen Führung von Generalsekretär Amirthalingam jederzeit zu einem Dialog mit Co-lombos Staatspräsident Jayewar-dene bereit. Bloß einige radikale Jung-Tamilen, organisiert in mehreren Guerilla-Organisationen mit Trainingslager und Sitz im südindischen Tamil Nadu, glaubten die Unterdrückung durch die „rassistischen Singhalesen“ nicht mehr länger erdulden zu können. Sie verschrieben sich dem aktiven Widerstand, kauften bei den Waffenhändlern in Mittelost ihre Ausrüstung und ließen sich auch gleich bei den Palästinensern im Nahkampf ausbilden.

Die Reaktion der srilankischen Regierung auf die zunehmenden Uberfälle der Guerillas auf ihre Polizei und Armee-Posten in der Provinz Jaffna ließ nicht auf sich warten. Immer stärker wurde die Müitärpräsenz in der nördlichen Inselhälfte, und immer vehementer Angriff und Gegenschlag der feindlichen Truppen. Die Regierungssoldaten standen vor einem unbekannten Phänomen, und die Abwehr der Guerilla-Attacken richtete sich meist auch gegen die Zivilbevölkerung.

Sri Lankas ethnischer Graben hat sich seither nicht geschlossen. Viele Singhalesen fürchten sogar, Indien werde die Tamilen-Frage gelegentlich gewaltsam lösen, im Norden der Insel einmarschieren und sie zweiteilen: eine Art „Zypern-Lösung“ provozieren. Um diesem Gerücht ein Ende zu setzen, lud der indische Regierungschef Rajiv Gandhi, der den Konflikt im Nachbarland als Gefahrenherd für seine eigenen Südstaaten sieht, im vergangenen Juni Vertreter aus Colombo und die Tamilen zu „Friedensverhandlungen“ in den Himalaya-Staat Bhutan ein.

Zwei Gesprächsrunden brachten zwar ein gewisses persönliches Abtasten, aber noch keine Annäherung der unterschiedlichen Standpunkte: der Forderung nach einer autonomen Tamilen-Provinz „Ealam“ im Norden und Osten Sri-Lankas und dem Angebot Präsident Jayewardenes aus zwei getrennte selbständige Tamilen-Parlamente (Jaffna und Batticaloa) unter Ausklammerung der territorialen und sicherheitspolitischen Autonomie. Vor allem das von den Tamilen verlangte „homeland“, um der Gefahr der Unterwanderung durch singhalesische Siedler in Nord-Sri Lanka zu entgehen, und ihr Anspruch auf die Hafenstadt Trincomalee, die Colombo als strategisch wichtig ansieht, klammert die singhalesische Delegation von jedem möglichen Kompromiß aus.

Somit ist der Waffenstillstand, der parallel zu den Verhandlungen Mitte Juni in Kraft trat und im September für weitere drei Monate verlängert wurde, brüchig geworden. Zwischenfälle mit tödlichem Ausgang gibt es fast jeden zweiten Tag. Eine neutrale Uberwachungskommission ist deshalb am 5. November in Jaffna eingetroffen, um die Einhaltung der Waffenruhe zu garantieren und so auch den Weg zu einer diplomatischen Lösung des Sri Lanka-Konflikts neu zu ebnen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung