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Der babylonische Spitalskostenturm

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Kauft einer ein sehr teures Grundstück, etwa auf der Wiener Kärntner Straße, so ist er gut beraten, in die Höhe zu bauen: denn jedes zusätzliche Stockwerk reduziert die anteiligen Kosten des Grundstücks. Das ist übrigens auch der Grund, warum auf rarem Großstadtboden die (Hoch-jHäuser in die Höhe schießen, die Häuser am flachen Land dagegen selten mehr als zwei Stockwerke aufweisen.

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Kauft einer ein sehr teures Grundstück, etwa auf der Wiener Kärntner Straße, so ist er gut beraten, in die Höhe zu bauen: denn jedes zusätzliche Stockwerk reduziert die anteiligen Kosten des Grundstücks. Das ist übrigens auch der Grund, warum auf rarem Großstadtboden die (Hoch-jHäuser in die Höhe schießen, die Häuser am flachen Land dagegen selten mehr als zwei Stockwerke aufweisen.

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Diese simple Methode läßt sich auf vielen Gebieten anwenden. Dahinter steckt die Idee, die sogenannten „Fixkosten" an den Gesamtkosten so gering wie möglich zu halten.

Nun hat diese Theorie aber einen wesentlichen Haken: Ab einem bestimmten Punkt - vielleicht ist es in unserem Beispiel das fünfzehnte Stockwerk -verkehrt sich die Kostendegression in eine Kostenprogression; ab diesem bestimmten Punkt werden die Vorteile zu Nachteilen, wachsen die Kosten überproportional.

Das lernen Betriebswirte und Architekturstudenten schon in den ersten Semestern; zumeist beherzigen sie diese Theorie auch ein Leben lang - die Planer und Erbauer des Wiener Allgemeinen Krankenhauses (AKH) dürften davon jedoch noch nie etwas gehört haben. In mehrfacher Weise sind bei diesem Bau Gesetze der Logik schmählich verletzt worden.

Der erste schwere Regelverstoß wurde auf dem Gebiet der Finanzierung begangen. Der Bund und die Stadt Wien tragen je eine Hälfte der Finanzierungsausgaben dieses Monster-Projekts. Der Bundeszuschuß war seinerzeit die Voraussetzung dafür, daß dieser Bau überhaupt begonnen werden konnte.

Die Baudauer des Allgemeinen Krankenhauses wurde - wenn überhaupt - über den Daumen geschätzt. Von Beginn an unklar waren deshalb die Bau- und die Finanzierungskosten, ebenfalls völlig unklar war und ist übrigens immer noch die Dauer der Züsch ußleistung.

Jede Form der mittelfristigen Budgetplanung wird auf diese Weise zum Glücksspiel. Zudem engen die Finanzierungszuschüsse des Bundes dessen konjunkturellen Handlungsspielraum ein, da er seine Zuschüsse noch wird leisten müssen, wenn der Bau des Allgemeinen Krankenhauses vielleicht wirklich einmal beendet sein wird. In diesem Fall liegt dann der Beschäftigungseffekt der Finanzierungsausgaben bei Null.

Der fatale Hang der Wiener Kommunalbürokratie zu überdimensionierten Projekten hat keinesfalls - wie das gelegentlich von den Stadtvätern behauptet wird - zur Sicherung von Arbeitsplätzen in der Bundeshauptstadt beigetragen. Egon Matzner, Nationalökonom an der Technischen Universität in Wien, hält den „Trend zu Großprojekten auch für die Politik der Arbeitsplatzsicherung" für „bedenklich".

Während die kommunalen SuperProjekte von 1967 bis 1976 etwa ein Sechstel des Wiener Bauvolumens ausmachten, waren bei ihnen wegen des weit überdurchschnittlichen Mechanisierungsgrades nur 3,5 Prozent der Beschäftigten des Baugewerbes tätig.

Egon Matzner: „Die Spanne der direkten Beschäftigungseffekte zwischen Groß- und restlichen Projekten beträgt nahezu 1:5. Negative Auswirkungen auf die Beschäftigungslage sind bei Fortsetzung dieses Trends kaum zu vermeiden."

Der ärgste Regelverstoß bei der Planung und beim Bau des Allgemeinen Krankenhauses wurde (und wird auch weiterhin) bei der Kalkulation der Betriebskosten begangen: Nach übereinstimmender Meinung aller daran Beteiligten gibt es eine solche Kalkulation gar nicht.

Während der innerhalb des AKH-, Planungsteams für die Finanzen zuständige Direktor Gerhard Schwaiger „glaubt", daß die Betriebskosten im neuen Allgemeinen Krankenhaus um 40 Prozent höher liegen werden als beim alten AKH, gibt es der Wiener Finanzstadtrat Hans Mayr wesentlich billiger. Er sagt, es würden nur 20 Prozent sein, relativiert jedoch gleich den Wahrheitsgehalt seiner Behauptung mit dem ernüchternden Zusatz:

„In Wahrheit kann da niemand genaue Zahlen nennen." Jedenfalls weiß Mayr ganz genau, daß Spekulationen über Betriebskosten in Höhe von sieben Milliarden Schilling jährlich selbstredend „völlig irreal" sind. Woher er das weiß, sagt er allerdings nicht.

ÖVP-Gesundheitssprecher Günther Wiesinger hält sich dagegen an eine „international anerkannte Faustregel", wonach die jährlichen Betriebskosten etwa ein Fünftel bis ein Viertel der Errichtungskosten ausmachen würden.

Man muß auch diese Behauptung mit großer Vorsicht genießen. Es mag sein, daß es irgendwo auf der Welt ein Spital gibt, wo eine solche oder ähnliche Relation zwischen den Bau- und den Betriebskosten besteht. Zwingend logisch ist diese Relation deshalb noch lange nicht.

Richtig ist, daß weltweit die Betriebskosten für Spitäler im letzten Jahrzehnt wesentlich stärker gestiegen sind als das Bruttosozialprodukt. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer davon ist der große medizinisch-technische Fortschritt, besonders spektakulär in den Bereichen der Intensivmedizin, der Nuklearmedizin, der Strahlentherapie sowie in der orthopädischen Chirurgie und in der Herzchirurgie.

Dabei fallen die Kosten für die Investitionen gar nicht so sehr ins Gewicht wie die daraus resultierenden Folgekosten - vor allem im Personalsektor und durch den Umstand, daß durch die erweiterten medizinischen Möglichkeiten immer mehr Krankheiten behandelt werden können. Daraus erklärt sich übrigens der paradoxe Zustand, daß esv immer mehr Kranke gibt, je besser die Medizin wird. Häufig werden durch die neuen medizinischen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten Dauerpatienten geschaffen.

Ein weiterer Grund für die überproportionalen Kostensteigerungen im Spitalswesen ist die wachsende Nachfrage nach medizinischen Leistungen als Folge der immer höheren Lebenserwartung, der ungünstigen Altersstruktur, der Zunahme insbesondere von Verkehrsunfällen und der behandlungsintensiven Krankheiten.

Diese Kostenfaktoren lassen sich mittelfristig nur schwer abschätzen: völlig unberechenbar, wie das die AKH-Bürokraten darstellen, sind sie freilich auch nicht.

Ein wesentlicher Kostenfaktor aber liegt im Bereich der Betriebsführung eines Krankenhauses: die rationelle und wirtschaftliche Bereitstellung von Spitalleistungen. Wie schwer hier gesündigt wird, darüber berichtet der Rechnungshof schon seit einem guten Jahrzehnt in Fortsetzungen.

Ab einer bestimmten Krankenhausgröße wächst der Anteil der Fixkosten an den Gesamtbetriebskosten überproportional. Fraglos ist mit dem neuen Allgemeinen Krankenhaus diese „bestimmte" Betriebsgröße schon weit überschritten: In der Grazer Universitätsklinik kostet ein Bett rund 1000 Schilling, in der Innsbrucker Universitätsklinik schon 1200 Schilling, im neuen Wiener Allgemeinen Krankenhaus dagegen bereits 1800 Schilling.

In der Bundesrepublik Deutschland liegen die Bettenkosten übrigens tief unter dem österreichischen Durchschnitt (im relativ neuen Münchner Krankenhaus übrigens bei rund 900 Schilling). ,

Die extrem hohen Bettenkosten im Allgemeinen Krankenhaus sind die Folge der Zentralbauweise, die vielleicht nicht nur unmenschlich, sondern auch unwirtschaftlich ist. Es gibt durchaus seriöse Experten, die die Ursachen des AKH-Debakels in erster Linie bei den Planern dieses Monsterbaues ansiedeln. Nach dieser Meinung sei es heute völlig unmöglich, noch Ordnung in dieses Planungschaos zu bringen. Konsequenterweise mußte aus einem babylonischen Planungs-Turm ein babylonischer Kosten-Turm werden.

In dieser Situation ist die unrealistisch klingende Forderung nach einem Baustopp des Allgemeinen Krankenhauses durchaus nicht zynisch. Genaugenommen zeugt sie von tiefer Humanität gegenüber den Patienten dieses völlig undurchschaubaren Bauwerks und erst recht von hohem ökonomischen Verstand.

Eine solche Kurskorrektur erscheint heute schon aus politischen Gründen unmöglich. Das neue Allgemeine Krankenhaus ist für zu viele Architekten, Ärzte, Ex-Bürgermeister, Bürgermeister, Vizekanzler und Stadträte zu einem Denkmal der architektonischen, medizinischen und politischen Eitelkeit geworden, als daß man heute davon noch lassen könnte.

Wiens Finanzstadtrat Hans Mayr meint, daß es „bei einem Bau von dieser Größenordnung immer Schwierigkeiten gibt", womit er zweifellos recht hat. Mit einiger Sicherheit ist anzunehmen, daß diese Schwierigkeiten in Zukunft progressiv wachsen werden.

Daher aber war und ist die Mitarbeit diverser Firmen und Tochterfirmen an der Planung und Betriebsführung ein glänzendes Geschäft, weil die „Einmaligkeit" dieses Bauwerks naturgemäß auch „einmalige" Leistungen zu „einmaligen" Preisen zu rechtfertigen scheint.

Für die diversen Arbeitsgemeinschaften, für die ökodata, für die Med-Consult, ist das Allgemeine Krankenhaus in seiner jetzigen Form eine lebenslängliche Rente. Für die Steuerzahler wird es über Jahrzehnte hinaus zu einem Faß ohne Boden. Und für die Patienten, für die es ursprünglich errichtet wurde, könnte das Krankenhaus zu einem Haus werden, bei dem es an vielem krankt.

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