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Der Bauer stirbtnicht nur in Tirol
Stirbt der Bauer in Tirol? Eine unnötige Frage, denn man weiß ja, daß der relative und absolute Schwund der landwirtschaftlich Tätigen als Maß für die Reife einer Industriegesellschaft gilt. Selbst in Entwicklungsländern, in denen die Landbevölkerung dank hoher Geburtenüberschüsse noch länger im Vormarsch war, hat diese Bewegung eingesetzt.
In Tirol ist der Abstieg der Bauern auch ohne solche Vergleiche beeindruckend. Im österreichischen Teil zählte 1961 noch ein Viertel der Bevölkerung ganz zur Land- und Forstwirtschaft, derzeit sind es kaum noch 6 Prozent und der weitere Rückgang erscheint unabwendbar.
Die wirtschaftliche Ursache dieser Entwicklung ist der Verfall des bäuerlichen Einkommens, relativ sowohl zum außeralpinen Raum als auch zum Ertrag nichtlandwirtschaftlicher Arbeit. Einerseits wird auch dem nicht-buchführenden Bauern klar, wieviel in den letzten 15 Jahren Milch und Zuchtvieh an Kaufkraft verloren haben, wenn er Betriebsmittel kaufen muß. Anderseits wissen die Zu- und Nebenerwerbsbauern, in Tirol fast zwei Drittel aller Bauern, wie sehr der Vergleich im Stundenlohn zuungunsten der Bauernarbeit ausfällt.
Ein Ende dieser Bedingungen ist nicht in Sicht. Hatte schon das Abkommen mit der EWG, 1974 im Interesse „der anderen Wirtschaft“ geschlossen, so ungünstige Folgen, so muß das Verlangen nach vollem Eintritt und der Blick auf den gegenseitigen und inneren Vernichtungskampf der einzelnen EWG-Landwirtschaften die schlimmsten Befürchtungen rechtfertigen.
Wenn Kohle, Erdöl und Erdgas, damit die importierten Dünge-und Futtermittel, so billig bleiben, wird nur ein kleiner Teil der österreichischen Landwirtschaft dem wachsenden Preisdruck standhalten, im Berg- und Kleinbauernland wegen der Produktionsnachteile nicht einmal der tüchtige Bauer. Überdies wird man bald den von der „wachsenden Wirtschaft“ ignorierten demographischen Kollaps, den Rückgang der Bevölkerung, im Nachlassen des Nahrungsbedarfs spüren. Allerdings sehen sich wachsame Bauern durch alle Anzeichen von Krise der industriellen Gesellschaft in der Meinung bestätigt, daß auch zur Jahrtausendwende die Bäume nicht in den Himmel wachsen und daß es vernünftige Gründe für das Abwarten und Ausharren gäbe.
Letzteres ist in Tirol dort leichter, wo Fremdenverkehr und Forstwirtschaft zusätzliche Einkommen bieten, also eher im Berggebiet als im Haupttal, wo freilich ein Drittel der Betriebe liegt.
Ein führender Tiroler Industrieller hat kürzlich den Schutz landwirtschaftlicher Flächen wegen der Uberproduktion als verfehlt erklärt, die Aufteilung in kleine Siedlerparzellen verlangt und den Gesichtspunkt der Krisenvorsorge mit dem Hinweis abgetan, daß jeder Schrebergärtner den Boden besser nütze als ein Bauer. Sein Kammerpräsident meinte, auch die Tiroler Landwirtschaft müsse EG-reif werden; ein Todesurteil, in Unkenntnis von Arbeit und ökologisch-landeskultureller Gesamtleistung des Bauern leichtfertig und überheblich ausgesprochen.
Wo sind Staatsmänner, die dem Auseinanderentwickeln Österreichs mit dichtbevölkertem industriellem Westen und entvölkertem agrarischem Osten ein Ende setzen? Wo sind die Staatsmänner, die unsere Agrarpolitik mit den Grundsätzen von Ökologie und Neutralität in Einklang bringen? Solange wir weder die einen noch die anderen haben, sterben die Bauern weiter, nicht nur in Tirol.
Der Autor ist Ordinarius für Geographie an der Universität Innsbruck.
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